Das Corona-Paradox: Studierende zieht es ins Ausland
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Der Trend, im Ausland zu studieren, ist ungebrochen.
Es ist anders, als man vermuten könnte: Bei den Stipendienprogrammen für ein Studium im Ausland meldet der DAAD zum Teil sprunghaft steigende Bewerberzahlen. Auch möchten mehr internationale Masterstudierende nach Deutschland kommen.
Intern beim DAAD heißt es das „Corona-Paradox“: Nicht weniger, sondern mehr Studierende wollen mithilfe des DAAD ins Ausland – trotz der Pandemie, trotz steigender Kosten oder erschwerter Einreise. Die Zahl der Bewerbungen für Stipendien im Jahr 2021 sind steil gestiegen. „Alle Sparten verbuchen Zuwächse, am stärksten die Master-Stipendienprogramme“, sagt Dr. Simone Burkhart, Leiterin des Bereichs Grundsatzfragen und finanzielle Leistungen in der Abteilung Stipendien beim DAAD. Eine mögliche Erklärung: Der DAAD hat sein Angebot noch besser bekannt gemacht. So habe die Stipendienabteilung in den letzten Jahren noch enger mit der Kommunikationsabteilung im DAAD kooperiert und die Angebote insbesondere zu den Ausschreibungszeiten intensiver beworben, so die Bereichsleiterin. Als Beispiel führt sie die Initiative „studieren weltweit – ERLEBE ES!“ zur Förderung der Auslandsmobilität von Studierenden an deutschen Hochschulen an, die der DAAD zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen hat.
Ein weiterer Grund: Der DAAD hat seine Stipendien noch passgenauer auf den Bedarf der Studierenden zugeschnitten, sein Stipendienportfolio klarer strukturiert und Programme überarbeitet. Gerade die Stipendien für ein Masterstudium im Ausland sind nun als eigenes Programm viel deutlicher herausgestellt worden. Zudem wurden die Bewerbungsfristen zum Beispiel für Nordamerika von eineinhalb auf knapp ein Jahr vom Antragseingang bis zur Ausreise verkürzt. Studierende können so kurzfristiger planen.
Dr. Simone Burkhart, Leiterin des Bereichs Grundsatzfragen und finanzielle Leistungen in der Abteilung Stipendien beim DAAD: „Studierende möchten ihre Chancen verfolgen.“
DAAD bietet flexible Lösungen
Auch die Promotionsstipendien sind jetzt in einem einheitlichen Programm zusammengefasst. „So findet jede und jeder, was ihrem oder seinem Bedarf entspricht“, sagt Burkhart. Die Förderung von bis zu einem Jahr kann aufgeteilt werden, wenn zwischendurch ein Aufenthalt zu Hause nötig ist. Zudem können Stipendiatinnen und Stipendiaten ihre Promotion durch Forschungen in zwei Ländern voranbringen. Alle bewilligten Stipendien können während der Pandemie verschoben werden, so dass niemand mit seiner Bewerbung warten muss. „Wäre der DAAD ein Unternehmen, würden wir von Kundenorientierung sprechen“, so Burkhart.
Warum steigen die Bewerberzahlen trotz Corona? Viele Studierende, vermutet sie, möchten an ihren Plänen festhalten, sich nicht von vornherein beschränken, sondern ihre Chance verfolgen. Der DAAD findet für vieles flexible Lösungen“, versichert Burkhart. „Wenn zum Beispiel keine Reise möglich ist und das Studium online von zu Hause begonnen werden muss, geht das auch.“
Corona spiegelt sich in der Wahl des Studienlandes
Trotz erhöhter Studien- und Visagebühren ist Großbritannien in Europa der Spitzenreiter unter den beliebtesten Studienländern. Beim Zielland Vereinigtes Königreich verzeichnet der DAAD einen Zuwachs von 41 Prozent, von 243 auf 343 Studierende. „Das ist verständlich, denn nach wie vor ist Großbritannien auch international das zweitbeliebteste Studienland nach den USA“, sagt Wolfgang Gairing, Referatsleiter West-, Nord- und Südeuropa. Aber es sind schon Ausweichbewegungen zu beobachten. So sind die Studierendenzahlen für die nächsten europäischen Länder im DAAD-Ranking stärker gestiegen: in Schweden von 85 auf 137 (ein Zuwachs von 61 Prozent), in den Niederlanden von 74 auf 116 (57 Prozent), in der Schweiz von 46 auf 101 (120 Prozent) und in Dänemark von 46 auf 98 (105 Prozent). Das Nachbarland Österreich hat mit 181 Prozent den größten Sprung nach vorn zu verzeichnen: von 27 auf 76. „Die Motivationslage ist unverändert“, erklärt Gairing. „Für leistungsstarke Studierende gehört ein Auslandsaufenthalt einfach dazu. Meist haben sie auch ihre Karriere fest im Blick, und der Auslandsaufenthalt als nächster Baustein erlaubt einfach auch kein Abwarten.“ Die Abschreckungswirkung der Pandemie liege nicht in der Größenordnung einer Naturkatastrophe, trotz Einschränkungen lasse sich im Zielland online studieren. Doch spiegele sich Corona in der Wahl des Studienlandes: „Da haben europäische Länder einen Vorsprung. Wer dort studiert, hat im Notfall mehr Rückreisemöglichkeiten und muss nicht befürchten, dass der einzige Weg per Flugzeug plötzlich versperrt ist.“
Wolfgang Gairing, Referatsleiter West-, Nord- und Südeuropa im DAAD: „Für leistungsstarke Studierende gehört ein Auslandsaufenthalt einfach dazu.“
Magnet USA: Teuer, aber Weltspitze in der Forschung
Doch selbst die USA, nach wie vor das beliebteste Zielland für internationale Studierende, verbuchten nach mehreren Jahren Rückgang einen Anstieg um 60 Prozent, bei den Masterstudiengängen sogar um 156 Prozent. Auch Gabriele Knieps, Referatsleiterin Nordamerika, sieht das neue, übersichtliche und flexible Angebot des DAAD mit der Verkürzung der Antragsfristen als eine wahrscheinliche Ursache für den Zuwachs: „15 Prozent der Studierenden haben ihren Studienaufenthalt mit Stipendium online begonnen, 25 Prozent haben die Möglichkeit genutzt, ihn zu verschieben“, berichtet sie. Vielleicht hat auch hier das Corona-Paradox mitgespielt: dass die Pandemie den Willen Studierender, ihr Projekt jetzt umzusetzen, sogar gestärkt hat.
Gabriele Knieps, Referatsleiterin Nordamerika im DAAD: „Flexibleres DAAD-Angebot trägt zu steigender Nachfrage bei.“
Benedikt Brisch, Leiter der DAAD-Außenstelle New York, macht ähnliche Erfahrungen: „Trotz der Sorgen um die transatlantischen Beziehungen in den vergangenen Jahren war zu sehen, dass die US-Hochschulen sehr zukunftsorientiert und partnerschaftlich agieren. In der Pandemie haben vermutlich viele deutsche Studierende gemerkt, dass akademische Mobilität ein sehr kostbares Gut darstellt. Das fördert die Motivation, den attraktiven Standort USA anzuvisieren.“ Die Vereinigten Staaten versprechen nach seiner Beobachtung viel: „In erster Linie ist allen bewusst, dass die USA einen Spitzenplatz in der Wissenschaft einnehmen und Talenten viele Chancen bieten.“ Die hohen Studiengebühren an US-Hochschulen stellten zwar eine Hürde dar, sie verschafften den Hochschulen aber Ressourcen für Betreuung und Ausstattung: „Häufig können Studierende in den USA schon früh im Grundstudium mit Forschung in Kontakt kommen, und es gibt viel Raum für Kreativität, etwa in ,makerspaces‘ und ,innovation incubators‘ auf dem Campus.“
Benedikt Brisch, Leiter der DAAD-Außenstelle New York: „Akademische Mobilität ist ein kostbares Gut.“
Brisch sieht zudem Gründe, warum in den letzten 15 Jahren vermehrt Studierende aus den USA nach Deutschland gekommen sind: „Natürlich haben die zunehmenden Studienangebote in englischer Sprache den Einstieg erleichtert. Aber auch der Ruf Deutschlands als offenes Land mit Willkommenskultur, viel Kreativität in Kunst und Popkultur sowie einer starken Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Gruppe der US-Studierenden an deutschen Hochschulen von 2014 bis 2019 um 17 Prozent gewachsen ist.“ Insgesamt hat sich die Zahl internationaler Studierender, die sich um ein Masterstipendium des DAAD für einen Studienaufenthalt in Deutschland bewerben, um knapp 20 Prozent auf über 5.000 erhöht.
Wolfgang Thielmann (11. März 2021)