„Ich übernehme ein gut bestelltes Haus“
DAAD/Jörg Sänger
Zum 1. April tritt Dr. Kai Sicks das Amt des DAAD-Generalsekretärs an und damit nach zehn Jahren die Nachfolge von Dr. Dorothea Rüland. In seinem ersten Interview beschreibt der neue Generalsekretär, warum er den DAAD für die kommenden Herausforderungen gut aufgestellt sieht und welche Akzente er in seiner Arbeit setzen möchte.
Herr Dr. Sicks, was bedeutet das neue Amt für Sie? Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe ganz besonders?
Die Aufgabe des DAAD, Menschen aus der ganzen Welt zusammenzubringen, empfinde ich als eine der schönsten Aufgaben überhaupt und mit Blick auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Gegenwart auch als außergewöhnliche Chance. Das Amt des Generalsekretärs stellt für mich vor diesem Hintergrund eine große Verantwortung, aber auch eine in höchstem Maße sinnhafte und persönlich bereichernde Tätigkeit dar. In den vergangenen fast 15 Jahren habe ich an verschiedenen deutschen Hochschulen gearbeitet und war dort in unterschiedlichen Funktionen mit der Internationalisierung dieser Hochschulen befasst. Nun kann ich meine Perspektive ausweiten und das Hochschul- und Wissenschaftssystem insgesamt in den Blick nehmen, auch das finde ich sehr reizvoll. Aufgrund meiner Erfahrungen kenne ich den DAAD sehr gut aus der Außensicht und habe schon häufig mit einigen der Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet. Die Menschen, die hier arbeiten, habe ich als außerordentlich weltgewandt, engagiert und gestaltungsfreudig kennengelernt. Mein Eindruck ist, dass es sich beim DAAD um eine sehr professionelle und dynamische Organisation handelt. Meine Vorgängerin Frau Dr. Rüland und ihr Team übergeben mir ein gut bestelltes Haus, und es ist für mich eine große Freude, dieses Haus nun in einer führenden Position zu übernehmen.
Welche Akzente möchten Sie in den ersten 100 Tagen und darüber hinaus im ersten Jahr setzen?
Die ersten 100 Tage sind für mich vor allem eine Zeit des Lernens und neuer Begegnungen. Ich freue mich darauf, möglichst viele der Menschen, die den DAAD ausmachen, und ihre Tätigkeitsbereiche kennenzulernen – und natürlich die wichtigen nationalen und internationalen Partner. Dass viele dieser Treffen virtuell stattfinden müssen, ist einerseits schade – andererseits macht es einige Begegnungen sogar leichter und schneller möglich. Ich möchte mir in dieser ersten Zeit ein möglichst gutes Bild von der Organisation machen und von den gegenwärtigen sowie zukünftigen Aufgaben, die vor uns liegen. Wie ich schon sagte, übernehme ich ein gut bestelltes Haus. Das ist eine hervorragende Voraussetzung, um wichtige Zukunftsthemen anzugehen, bei denen ich auch eigene Akzente setzen möchte. So will ich mich in den kommenden Monaten insbesondere dem Thema Nachhaltigkeit widmen. Ich stehe hinter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und bin davon überzeugt, dass wir dringend handeln müssen, um dem fortschreitenden Klimawandel Einhalt zu gebieten. Der DAAD hat alle Berechtigung, sich in diesem Zusammenhang selbstbewusst zu positionieren. In seiner Strategie 2025 und den Perspektivenpapieren zur Nachhaltigkeit hat er in den vergangenen Monaten wichtige Weichen bei diesem Thema gestellt, nach außen wie nach innen. Wir müssen uns auch schwieriger Themen wie der nachhaltigen Mobilität offensiv annehmen. Das bedeutet auch, dass wir die höchst intensive Kultur des akademischen Reisens, wie viele von uns sie noch bis 2019 praktiziert haben, nicht in dieser Weise fortsetzen können. Hier möchte ich gern gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im DAAD weitere Akzente setzen, wie Internationalisierung unter veränderten Randbedingungen gelebt werden kann.
Sieht in der Nachhaltigkeit ein wichtiges Zukunftsthema des DAAD: der neue Generalsekretär Dr. Kai Sicks.
Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie zudem für die Arbeit des DAAD in den kommenden Jahren? Was werden die zentralen Themen sein, und wie möchten Sie diese angehen?
Die Weiterentwicklung des internationalen akademischen Austauschs im Zeichen der Postpandemie wird auch über Fragen der Nachhaltigkeit hinaus eine große Herausforderung sein. Digitalisierung spielt hierbei eine ganz entscheidende Rolle, deren Chancen und Grenzen wir heute viel konkreter einschätzen können als noch vor einem Jahr. Auf dieser Basis können wir nun die Balance zwischen digitalen und Präsenz-Elementen in der internationalen Zusammenarbeit ganz neu verhandeln. Grundsätzlich bietet Digitalisierung in meinen Augen die große Gelegenheit, internationalen Austausch flexibler und stärker auf die Bedürfnisse einzelner Zielgruppen auszurichten und damit deutlich intensiver zu gestalten. Wichtig ist mir auch das Thema „Chancengerechtigkeit und Diversität“. Das ist schon heute eine Stärke des DAAD, der Menschen aus allen Regionen der Welt Zugänge zum deutschen Hochschulsystem erschließt und dieses dadurch um einiges vielfältiger macht. Auch die Förderungen des DAAD etwa für geflüchtete Studierende in Deutschland und anderen Ländern eröffnen Bildungswege und schaffen Chancen unter schwierigen Rahmenbedingungen. In Zukunft sollte der DAAD die Förderung von benachteiligten Personengruppen noch stärker auch im Rahmen der Auswahlverfahren und Programmgestaltung berücksichtigen. Diversität und Exzellenz bestärken sich in meinen Augen wechselseitig.
Welche Herausforderungen erwarten Sie für den DAAD als Organisation?
Postpandemische Aufgaben stellen sich auch im DAAD selbst: Ich möchte gerne schon bald in die Diskussion einsteigen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen und werden. Das betrifft etwa die Frage nach den räumlichen und technischen Rahmenbedingungen der Büroarbeit: In welchem Ausmaß wollen wir mobil arbeiten, welche Rolle wird der feste eigene Arbeitsplatz im DAAD spielen, wie organisieren wir uns, damit uns die Vielzahl an Vernetzungs- und Kommunikationsgelegenheiten nicht überfordert, wie sieht es mit Dienstreisen aus? – um nur einige Beispiele zu nennen. Insgesamt können wir nun neu justieren, wie wir unsere Arbeit so gestalten, dass sie effektiv ist und zugleich unseren Bedürfnissen gerecht wird, etwa dem nach sozialem Austausch.
Sie haben fast vier Jahre lang das Dezernat Internationales der Universität Bonn geleitet, zuvor waren Sie unter anderem Geschäftsführer des Bonner Graduiertenzentrums. Sie kennen die Perspektive der deutschen Hochschulen als Zielgruppe des DAAD also sehr genau. Wo benötigen diese Ihres Erachtens vor allem Unterstützung bei der Internationalisierung?
Für die Internationalisierung der Hochschulen hat der DAAD in meinen Augen eine herausragende Bedeutung. Ohne die Stipendiatinnen und Stipendiaten des DAAD wäre das internationale Leben an deutschen Hochschulen um ein Vielfaches ärmer! Und ohne das Programm Erasmus+ könnte nur ein Bruchteil der Studierenden internationale Erfahrungen sammeln. Auch in der Projektförderung unterstützt der DAAD so viele Menschen auf ihrem internationalen Lebensweg – für die Hochschulen sind all diese Aktivitäten die Grundlage und das Elixier, um sich überhaupt international aufstellen zu können. Außerdem möchte ich zwei Tendenzen herausheben, die für die Hochschulen in meinen Augen aktuell immer wichtiger werden und bei denen sie auf Unterstützung durch den DAAD angewiesen sind. Das erste sind die Chancen, die sich im Rahmen der Europäischen Hochschulen ergeben. Sie bieten die Möglichkeit, den Austausch innerhalb Europas flexibler zu gestalten, internationale digitale oder hybride Kooperationen fest in Curricula zu verankern und auf diesem Weg internationale Studienerfahrungen noch stärker zur Regel zu machen. Mit dem nationalen Begleitprogramm für deutsche Hochschulen flankiert der DAAD diese Initiative der EU. Als zweite Tendenz mache ich aus, dass die internationale akademische Zusammenarbeit mit einigen Ländern der Welt stärker politisiert und teils auch stärker reglementiert ist als früher. Die Hochschulen bedürfen mehr denn je der Orientierung und Beratung bei der Ausgestaltung solcher internationalen Kooperationen – mit Blick sowohl auf Chancen als auch auf Fallstricke. Der DAAD mit seiner reichen Expertise ist hier als Ratgeber sehr geschätzt. Ich möchte an dieser Stelle das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) nennen, dessen Einrichtung ich in meiner vorherigen Tätigkeit an der Universität Bonn sehr begrüßt habe.
Wie schätzen Sie die Bedeutung Bonns als internationale Wissenschaftsstadt ein und die Tatsache, dass der DAAD – neben dem Hauptstadtbüro Berlin – in Bonn seine Zentrale hat?
Das Profil der Stadt, das durch Themen wie Nachhaltigkeit, internationale Zusammenarbeit, Wissenschaft und Telekommunikation geprägt ist, hat sich gerade in Zeiten der Pandemie als zukunftsfähig und attraktiv erwiesen. Der Standort Bonn genießt, das weiß ich auch aus meiner Zeit an der Universität Bonn, ein hohes Prestige, gerade im Ausland – das beweisen auch die vielen internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die hier dauerhaft oder vorübergehend tätig sind. Dabei spielt das Etikett als „ehemalige Hauptstadt“ eine immer geringere Rolle. Für den DAAD ist Bonn daher auch im 21. Jahrhundert ein ausgezeichneter Standort, und als Wahlbonner habe ich auch die Lebensqualität in der Stadt in den vergangenen Jahren schätzen gelernt. Gleichzeitig halte ich es für wichtig, dass der DAAD weiterhin im engen Dialog mit der Politik steht. Vor diesem Hintergrund spielt auch das Berliner Büro eine eminente Rolle, die in Zukunft sicherlich nicht kleiner werden wird. Ganz grundsätzlich dürfte aber die Bedeutung der „Verortung“ in den kommenden Jahren eher ab- als zunehmen.
Sie waren während Ihrer Ausbildung auch selbst im Ausland: in Österreich und in den USA. Inwieweit hat diese Auslandserfahrung Sie persönlich geprägt?
Meine Auslandsaufenthalte habe ich als sehr bereichernd wahrgenommen: Durch neue Freundschaften konnte ich ganz neue Perspektiven auf die Welt entdecken, auch frühere Selbstverständlichkeiten infrage stellen – nicht nur was die Einschätzung des deutschen im Vergleich zum österreichischen Kaffee betrifft. Unter anderem während meiner Promotion am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien habe ich gelernt, wie motivierend und inspirierend die Arbeit in internationalen Teams ist – menschlich und akademisch. Daher freue ich mich, in meinem neuen Amt als Generalsekretär des DAAD nun anderen jungen Menschen und Forschenden solche lebensprägenden Erfahrungen ermöglichen zu können.
Peter Nederstigt (31. März 2021)