Wie digitale Bildungsprojekte die Herausforderungen der Pandemie als Chance nutzen
DAAD/Oliver Reetz
Die EU-Kommission fördert Projekte, die sich mit neuen Lehr- und Lernformaten auch relevanten gesellschaftlichen Fragen stellen.
In der Corona-Pandemie findet ein großer Teil des Hochschullebens digital statt. Das gilt nicht nur für die Lehre, sondern auch für den internationalen Austausch zwischen Forschenden und Studierenden. Darin steckt durchaus Zukunftspotenzial, wie die Projekte aus der Förderlinie „Erasmus+ Strategische Partnerschaften“ zeigen.
Der Name Erasmus+ steht für das Kennenlernen europäischer Länder und Kulturen, für die Verbesserung von Sprachkenntnissen und natürlich für Freundschaften über Ländergrenzen hinweg. Doch wie gelingt all das in Zeiten einer globalen Pandemie? Immerhin findet dieser Austausch nicht nur an der Hochschule statt, sondern eben auch in der Mensa oder der Wohngemeinschaft. Die Antwort lautet: mit Kreativität und neuen Formaten. So besuchen Gaststudierende nun digitale Lehrveranstaltungen, je nach Infektionsgeschehen im Heimatland oder im Gastland. Auch der internationale Austausch zwischen Forschenden findet inzwischen routiniert in virtuellen Räumen statt. Um genau diese Ausnahmesituation aktiv zu gestalten und sogar als Chance für die Zukunft zu nutzen, stellte die EU-Kommission zusätzlich zur bisherigen Förderung im Herbst 2020 einen dreistelligen Millionenbetrag zur Förderung von Projekten bereit, die neue Lern- und Lehr-Formate nutzen, um die Bildungssysteme gegen die durch die Pandemie verursachten Herausforderungen zu stärken und sich auch gesellschaftlich relevanten Fragen und Problemstellungen zu widmen. Für Projekte an deutschen Hochschulen standen 6,2 Millionen Euro in diesem Sonderaufruf zur Verfügung.
Aus den zahlreichen Bewerbungen beim DAAD wurden schließlich 23 Ideen ausgewählt, die in den nächsten zwei Jahren mit jeweils bis zu 300.000 Euro gefördert werden. „Die neuen Strategischen Partnerschaften betonen die Innovationskraft des Erasmus+ Programms: Sie können zukünftig einen wichtigen Teil zur Digitalisierung, aber auch zu mehr Diversität, Vielfalt und Nachhaltigkeit in der europäischen Hochschullandschaft beitragen“, sagt DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks. Die Bandbreite der in Angriff genommenen Herausforderungen ist groß und reicht von Bildungsformaten für Pflegepersonal oder Fachkräfte in Laboren bis hin zu Trainings in technischen Bereichen wie Photovoltaik oder Maschinenbau. Was sie alle verbindet, sind innovative Lernansätze, interkulturelle Austauschmöglichkeiten, eine Beschäftigung mit großen Fragen unserer Zeit und damit auch ein spezieller Blick auf eine Zukunft ohne Pandemie. Eine Auswahl von drei Projekten zeigt beispielhaft die Besonderheit dieses zusätzlichen Aufrufs.
Birk Grüling (25. Mai 2021)
International Collection of Virtual Patients – Digitized Education in Europe beyond the pandemic. Ein Projekt der Universität Augsburg.
Auch an den medizinischen Fakultäten findet die Mehrheit der Lehrveranstaltungen digital statt. Die Herausforderung: Der wichtige Patientenkontakt ist für die meisten Medizinstudierenden kaum möglich, jedenfalls außerhalb von freiwilligen Einsätzen auf Corona-Stationen. Als Ersatz dafür werden zunehmend sogenannte virtuelle Patienten (VPs) genutzt. Das sind interaktive Fallbeispiele, bei denen sich die angehenden Medizinerinnen und Mediziner etwa auf die Suche nach einer komplizierten Diagnose machen können und so ihre Analyse- und Problemlösungskompetenzen stärken. Ein Ansatz, der die Pandemie überstehen dürfte: Das Lernen mit virtuellen Patienten ist eine gute Ergänzung zu Klinikeinsatz und Vorlesungen – interaktiv, zeit- und ortsunabhängig dazu. Außerdem können so auch seltene Krankheitsbilder leichter durchgespielt werden. Das Projekt an der Universität Augsburg verfolgt zwei Ziele: Entstehen soll zum einen eine Sammlung von 125 mehrsprachigen virtuellen Patienten; darüber hinaus will man bei den Lehrenden an medizinischen Fakultäten stärker für die neue Lernform werben und Empfehlungen für ihren effektiven Einsatz im Lehrplan geben. Neben der Universität Augsburg sind fünf weitere Partnerhochschulen aus Frankreich, Polen, Portugal und Spanien beteiligt. Diese Internationalität schafft nicht nur neue Perspektiven für den weltweiten Austausch von Medizinstudierenden, sondern stärkt auch ihre interkulturellen Kompetenzen bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund.
future.film.education – Online Teaching and Diversity in European Film Schools. Ein Projekt der ifs internationale filmschule köln gmbh.
Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Relevanz von Vielfalt und Diversität wächst. Das hat auch positiven Einfluss auf Kunst- und Medienschaffende, die in ihren Werken die gesamte Bandbreite der Gesellschaft darstellen wollen. Genau hier setzt das gemeinsame Projekt der Filmschulen aus Köln, Budapest und Lissabon an: Sie greifen Themen wie Diversität und Inklusion kreativ in digitalen Lehr- und Lernformaten auf. Entstehen sollen dabei unter anderem ein Onlinepilotkurs „Vielfalt in Film und Medien“ sowie ein „Diversity in Film and Media Toolkit“, mit Erfahrungen und Best-Practice-Beispielen zur angemessenen Vermittlung von Vielfalt. Um ein breites Bewusstsein für diese wichtigen Aspekte bei Kulturschaffenden zu wecken, sollen alle entwickelten Formate später frei zugänglich per Open-Source-Lizenzen bereitgestellt werden. Damit wollen die Lehrenden einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten und gleichzeitig europäischen Film- und Kunsthochschulen die Gelegenheit bieten, die Thematik auf einfache Weise in den Lehrplan zu integrieren. Neben den künstlerischen Aspekten fließen deshalb auch Erkenntnisse aus Gender- und Queer-Studien oder Disability Studies ein. So wird die gesamte Bandbreite von Vielfalt und Inklusion thematisiert.
CoMMiTTEd – Covid, Migrants and Minorities in Teacher Education: A Fake News Observatory to promote Critical Thinking and Digital Literacy in Times of Crisis. Ein Projekt der Universität Hamburg.
Sogenannte Fake News sind inzwischen ein globales Problem: Vor allem Migrantinnen und Migranten sowie andere Minderheiten geraten dort häufig ins Visier von rechtsextremen Portalen und Hasspostings. Sie werden dabei zu „Sündenböcken“ für soziale, gesundheitliche oder wirtschaftliche Probleme im Land. Über die digitalen Medien und sozialen Netzwerke verbreiten sich derartige Gerüchte und Unwahrheiten schnell und erzielen dabei eine große Reichweite. Umso wichtiger ist die Stärkung der digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung, um Fake News zu erkennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das Projekt „ComMMiTTEd“ wurde von der Universität Hamburg gemeinsam mit Universitäten in Spanien, Portugal und den Niederlanden entwickelt. Es will Lehramtsstudierende zur Auseinandersetzung mit Fake News befähigen und damit digitale Kompetenzen im Schulalltag stärken. Dabei geht es etwa um fundierte Informationsbeschaffung zu Themen wie Migration und Minderheiten sowie einen verantwortungsbewussten Umgang mit sozialen Netzwerken. Geplant ist dabei unter anderem eine Onlinedatenbank für Fake News, die eine falsche Verbindung zwischen Migrantinnen und Migranten sowie Minderheiten einerseits und der Covid-19-Pandemie oder anderen kritischen Situationen andererseits herstellen. Dabei soll den Lehrenden mittelfristig auch Material zur Analyse und Entkräftung solcher Nachrichten zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich will das Projekt zwei Onlinelernmodule rund um kulturelles Bewusstsein und interkulturelle Kompetenzen entwickeln sowie ein E-Handbuch zu kritischen Mediendiskursen für Lehrkräfte.
Weiterführende Links
Alle Projekte, die im Rahmen des Erasmus-Sonderaufrufs „Digitale Bildung 2020“ gefördert werden, finden Sie hier.