Internationale Hochschulkooperationen im Wandel: Herausforderungen kennen, Risiken bewerten, Chancen nutzen

ON PhotographyGermanyShutterstock

Die Zusammenarbeit deutscher Hochschulen mit internationalen Partnern steht vor vielen Herausforderungen: Aktuelle Sicherheitsrisiken oder außenpolitische Spannungen stellen bewährte Kooperationen auf den Prüfstand. Doch die Veränderungen im Zeichen der Pandemie bergen auch neue Chancen, wie die Leiterinnen und Leiter von drei DAAD-Außenstellen berichten.

Die Pandemie prägt den Alltag der Hochschulpartnerschaften derzeit enorm. Doch sie ist nicht die einzige Herausforderung, vor der die Hochschulen stehen. Politische Einflussnahmen, nationalistische Tendenzen oder eine schwierige Sicherheitslage vor Ort veranlassen Hochschulen, sich verstärkt mit den Risiken und Grenzen ihrer internationalen Kooperationen auseinanderzusetzen. Bei einigen Ländern, etwa dort, wo Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit stark eingeschränkt sind, steht gar im Raum, die Zusammenarbeit gänzlich auf Eis zu legen. Dieses Spannungsfeld wird in der Podiumsdiskussion „Wissenschaftskooperationen zwischen ,anything goes‘ und roten Linien – Brauchen wir einen neuen Wertekompass?“ reflektiert, die im Rahmen einer mehrtägigen Konferenz des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) stattfindet. Moderiert von Bildungsjournalist Dr. Jan-Martin Wiarda, diskutieren am 9. Juni ab 18 Uhr hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft. Unmittelbar vor der Podiumsdiskussion wird ein Lagebericht der DAAD-Außenstellen in Ägypten, China und Russland präsentiert.

Die Leiterinnen und Leiter der DAAD-Außenstellen in Brasilien, Indien und Tunesien berichten für DAAD Aktuell, vor welchen Herausforderungen die bilateralen Kooperationen derzeit in ihren Ländern stehen – und welche Chancen sich für deutsche Hochschulen bieten.
 

Dr. Jochen Hellmann, Leiter der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro (Brasilien)

Internationale Hochschulkooperationen im Wandel: Herausforderungen kennen, Risiken bewerten, Chancen nutzen

Felipe Mairowski

„Deutschland hat in Brasilien einen außerordentlich guten Ruf: Das Ingenieurwesen, Umwelttechnik, Autos und sogar der deutsche Fußball genießen hohes Ansehen. Der Wissenschaftsstandort Brasilien hat für deutsche Hochschulen einiges zu bieten: Vor allem in den Agrar-, Umwelt- und Naturwissenschaften oder der Stadtplanung verfügt die Forschung über ein sehr hohes Niveau, vor allem in den staatlich finanzierten Universitäten. Für viele junge Deutsche ist ein Studienaufenthalt interessant, weil man sich attraktive Hochschulen abseits der üblichen Verdächtigen in Europa suchen kann, die den eigenen Erfahrungshorizont erweitern und sich zudem gut im Lebenslauf machen. Jede oder jeder zehnte Einheimische hat deutsche Wurzeln, Brasilien ist ein sehr gastfreundliches Land. Dies alles erleichtert die bilaterale Zusammenarbeit.

In den vergangenen Jahren hat sich das deutsch-brasilianische Verhältnis etwas eingetrübt. Dies liegt nicht nur an der Pandemie, die gemeinsame Forschungsarbeiten derzeit erschwert, sondern auch an der politischen Entwicklung. Jair Bolsonaro, der seit 2019 amtierende Präsident, hat eine ideologische Weltanschauung, die sich von der seiner Amtskolleginnen und -kollegen in Deutschland und Europa bei Themen wie Umwelt, Diversität, Gleichberechtigung oder Recht deutlich unterscheidet. Das Image Brasiliens hat sich auch durch schwere Fehler in der Behandlung der Covid-Pandemie verschlechtert. Die finanzielle Situation der Hochschulen gibt Anlass zur Besorgnis. Diese Entwicklung hat jedoch schon vor Bolsonaro eingesetzt, da sich Brasilien seit 2015 in einer Wirtschaftskrise befindet. Die ökonomischen Schwierigkeiten erschweren es Hochschulen, bilaterale Forschungsprojekte zu gleichen Teilen zu finanzieren. Positiv ist bei all dem aber, dass die brasilianische Regierung Exzellenz in der Forschung erwartet. Nur die besten Universitäten sollen gefördert werden — und als ein Indikator gilt eine gute internationale Vernetzung in der Wissenschaft. Das birgt für deutsche Hochschulen also weiterhin gute Chancen für eine Hochschulpartnerschaft in Brasilien.“

Dr. Katja Lasch, Leiterin der DAAD-Außenstelle Neu-Delhi (Indien)

Internationale Hochschulkooperationen im Wandel: Herausforderungen kennen, Risiken bewerten, Chancen nutzen

Alexandru Spineanu

„Schon seit mehreren Jahrzehnten gibt es eine intensive Kooperation zwischen deutschen und indischen Hochschulen, die durch das vom BMBF finanzierte Austauschprogramm ‚A New Passage to India‘ weiter Aufschwung erhalten hat. Im Fokus des Interesses deutscher Hochschulen stehen oftmals die Indian Institutes of Technology (IIT), ein Netz technologisch ausgerichteter universitärer Bildungseinrichtungen, an denen hervorragende Studierende ausgebildet werden. Die Offenheit für Kooperationen ist groß – nicht nur an den IITs, sondern an allen indischen Hochschulen. Das liegt unter anderem daran, dass viele Lehrkräfte selbst im Ausland studiert und promoviert haben.

Derzeit herrscht in Indien wegen der Corona-Pandemie ein Ausnahmezustand, auch an den Hochschulen. Bis diese wieder in einen geordneten Regelbetrieb kommen, wird es noch dauern. Allerdings eröffnet die Pandemie auch neue Chancen. So hat die Regierung den 100 führenden Universitäten des Landes erlaubt, reine Onlinestudiengänge ohne eine aufwendige Akkreditierung anzubieten. Das erschließt neue Möglichkeiten der internationalen Kooperation. Zudem treibt die indische Regierung die Internationalisierung der Hochschulen voran. So verfügte sie kürzlich, dass jede der rund 1.000 Universitäten und etwa 30.000 Colleges ein International Office gründen soll. Dies ist ein wichtiger Schritt für den Aufbau von Partnerschaften auch an kleineren Hochschulen in Indien, und es hilft den deutschen Hochschulen: Sie haben künftig eine zentrale Anlaufstelle.

Deutsche Hochschulen sollten bei der Kontaktanbahnung mit indischen Partnern auch für einige politische Themen sensibel sein. Die Wissenschaftsfreiheit ist laut des Academic Freedom Index (AFI) in Indien in den letzten Jahren kontinuierlich eingeschränkt worden. Insbesondere die Sozial- und Geisteswissenschaften sehen sich punktuell politischer Einflussnahme ausgesetzt. So wird etwa die Visa-Vergabe für internationale Sprecherinnen und Sprecher auf Veranstaltungen, bei denen die Beziehungen zu China oder der Kaschmir-Konflikt auf der Agenda stehen, von der Regierung gesondert überprüft. Hinzu kommt, dass Indien verstärkt darauf achtet, Wertschöpfungsketten und damit verbunden etwa Patente im Land zu belassen. Das sollte man als deutsche Hochschule, die mit einem indischen Partner zusammenarbeiten möchte, künftig im Auge behalten.“

Dr. Renate Dieterich, Leiterin der DAAD-Außenstelle Tunis (Tunesien)

Zehn Jahre Arabischer Frühling: zwischen Aufbruch und Reformstau

DAAD Tunis

„Tunesien leidet derzeit sehr unter den Folgen der Pandemie, etwa durch den Zusammenbruch des Tourismus und die Phasen des Lockdowns, zumal das Land wirtschaftlich schon seit einigen Jahren in eine tiefe Krise geraten ist. Der Staat hat weniger Geld zur Verfügung, dies werden auch die Hochschulen zu spüren bekommen. In den marginalisierten Regionen, insbesondere im Süden, wirkt sich die schlechte Wirtschaftslage besonders stark aus. Bereits bestehende soziale Spannungen werden sich vermutlich verstärken. Dies überschattet die eigentlich positiven Bedingungen für die partnerschaftliche Zusammenarbeit, denn die Hochschulen in Tunesien sind äußerst offen für internationale Kooperationen. Deutschland steht hoch im Kurs, das deutsche Wissenschaftssystem genießt einen ausgezeichneten Ruf. Nach dem Arabischen Frühling hat an den Hochschulen eine offene Diskussionskultur Einzug gehalten, akademische Gremien und Leitungspositionen werden nun demokratisch gewählt. Seither konnte der Austausch mit Deutschland durch die DAAD-Programme der Deutsch-Arabischen Transformationspartnerschaft enorm an Fahrt gewinnen. Das gegenseitige Interesse ist spürbar und dauerhaft gestiegen. 

An tunesischen Universitäten haben nicht zuletzt naturwissenschaftliche und technische Fächer ein hohes Niveau. Die Studienplätze sind sehr begehrt, und nur die besten Abiturientinnen und Abiturienten können diese Fächer studieren. Von Vorteil ist auch die Multilingualität im Maghreb. Sie macht es den Studierenden leichter, mit Deutsch eine weitere Sprache zu erlernen. Ein gutes Beispiel für den Erfolg tunesischer Studierender in Deutschland ist das Regierungsstipendienprogramm mit Tunesien für ingenieurwissenschaftliche Fächer. Hier fördert der DAAD gemeinsam mit dem tunesischen Hochschulministerium seit Jahrzehnten sehr erfolgreich besonders begabte junge Menschen für ein komplettes Studium an einer deutschen Hochschule. Viele von ihnen kennen aber nur die großen bekannten Universitäten. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) sind unter den Studierenden in Tunesien dagegen bislang weniger bekannt. Sie könnten noch stärker auf sich aufmerksam machen. Das wäre umso wichtiger, als bei dem hohen theoretischen Ausbildungsniveau die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventinnen und Absolventen dringend gestärkt werden muss.“


Benjamin Haerdle (27. Mai 2021)