Hochschul-Integrationspreis 2021
Stefan Zeitz
Der Hochschul-Integrationspreis 2021 wurde im Stadtbad Oderberger in Berlin verliehen.
Am 9. Juni haben das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der DAAD in Berlin drei Hochschulprojekte ausgezeichnet, die sich um die Integration von jungen Menschen mit Fluchtbiografie in Studium und Arbeitsmarkt besonders verdient gemacht haben. Preisträger sind die HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen, die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie die Hochschule Hannover.
Was können wir tun, um talentierten jungen Menschen mit Fluchtgeschichte eine akademische und berufliche Perspektive in Deutschland zu eröffnen? Als Reaktion auf die hohen Zuwanderungszahlen war diese Frage vor gut fünf Jahren der Startpunkt für ein langfristig ausgerichtetes Maßnahmenpaket, das der DAAD mit Fördermitteln des BMBF initiiert hat. Seither begleiten die Hochschulprogramme Integra und Welcome Geflüchtete aktiv bei der Studienvorbereitung und während ihres Studiums. Mit PROFI gibt es seit 2020 ein drittes Programm, das die Brücke in den Arbeitsmarkt schlägt. Was die Hochschulen, unterstützt durch die Programme, bis heute erreicht haben, ist beeindruckend: Rund 40.000 Studieninteressierte mit Fluchtbiografie haben bereits an den sprachlichen und fachlichen Integra-Kursen teilgenommen. Derzeit zählt der DAAD mehr als 350 studentische Initiativen, die mit Unterstützung des Welcome-Programms aktiv sind. Die Willkommensinitiativen helfen pro Jahr über 20.000 Geflüchteten bei der Integration auf dem Campus und darüber hinaus.
Dieses großartige Engagement soll der Hochschul-Integrationspreis, vom BMBF und dem DAAD in diesem Jahr erstmals vergeben, sichtbarer machen. Die Jury hat drei vorbildliche Initiativen aus 40 Bewerbungen ausgewählt. Sie zeigen eindrucksvoll, wie mit guten Ideen und engagierten Menschen die Integration von Geflüchteten in Studium, Gesellschaft und Arbeitsmarkt gelingen kann. Die Preisträger in den drei Kategorien „Brücke ins Studium“, „Brücke in die Gesellschaft“ und „Brücke in den Arbeitsmarkt“ haben das BMBF und der DAAD am 9. Juni feierlich ausgezeichnet. Die Preisgelder von jeweils 10.000 Euro sind für weitere Integrationsideen der Hochschulen bestimmt.
Hochschul-Integrationspreis 2021 – drei Erfolgsgeschichten
Ausgezeichnet: Prof. Dr. Joybrato Mukherjee (DAAD; links) und Dr. Michael Meister (BMBF; rechts) mit den Preisträgerinnen und Preisträgern: Dr. Frauke Drewes und Ghazi Alomar von der HAWK sowie Mehmet Selim Alimoglu und Prof. Dr. Thomas J. Schult von der Hochschule Hannover. Nicht im Bild: Vertreterinnen und Vertreter der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Gewinner in der Kategorie „Brücke ins Studium“
Die HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen erhält den Hochschul-Integrationspreis 2021 für ihr erfolgreiches Gesamtkonzept, das sich an Studieninteressierte und Studierende mit Fluchthintergrund richtet. Unter anderem erreichen die Projekte „HAWK open“ und „HAWK start plus“ jedes Jahr rund 300 junge Menschen. Kennenlernen und Austausch in lockerer Runde stehen genauso auf dem Programm wie die unterstützende Begleitung der Geflüchteten bei der Vorbereitung auf und den Einstieg in das Studium. Hier geht’s zum Filmporträt.
Gewinner in der Kategorie „Brücke in die Gesellschaft“
Gemeinsam Zeit verbringen – und dabei etwas lernen: Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erhält den Hochschul-Integrationspreis 2021 für ihr Projekt „kulturgrenzenlos e. V.“, das vom Welcome-Programm gefördert wird. In das 2016 gegründete studentische Begegnungsprojekt bringen sich mittlerweile 35 Studierende ehrenamtlich ein. Der Verein initiiert Tandemprojekte zur gemeinsamen Freizeitgestaltung, erarbeitet Ideen für gesellschaftliches Engagement oder initiiert Aktionen wie „kulturgrenzenlos on Campus“, die die Integration der Geflüchteten auf dem Campus fördern – mit internationalen Sprach- und Frauencafés oder Veranstaltungen und Mitmachaktionen, die in die Gesellschaft wirken. Hier geht’s zum Filmporträt.
Gewinner in der Kategorie „Brücke in den Arbeitsmarkt“
Die Hochschule Hannover erhält den Hochschul-Integrationspreis 2021 für ihr Projekt „Refugeeks – Coding Academy Hannover“, das seit 2020 durch das Hochschulprogramm PROFI unterstützt wird. „Refugeeks“ qualifiziert Geflüchtete mit Programmierkenntnissen in den Fachbereichen Data Science und Web Technology für den deutschen Arbeitsmarkt. Die zwölfmonatige Intensivschulung endet mit der IHK-zertifizierten Qualifikation „IT-Experte Data Science/Web Technology“ und schließt ein Praktikum bei einem lokalen Unternehmen mit ein. Die Hochschule unterstützt die Geflüchteten auch darüber hinaus – etwa beim Vertiefen ihrer Sprach- und Fachkenntnisse oder mit Tipps und Beratung zu Bewerbungsgesprächen sowie allgemein zum Start in den Arbeitsmarkt. Hier geht’s zum Filmporträt.
Statements anlässlich der Verleihung
Dr. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, lobte den Einsatz der Hochschulen: „Ich möchte den Menschen, die in den Studienkollegs und Hochschulen tätig sind, ganz herzlich Danke sagen, dass sie sich für die Integration der Geflüchteten in diesem Maße engagieren. Wir können im fünften Jahr der Hochschulprogramme durchaus stolz darauf sein, dass wir bei der Integration von Geflüchteten in Studium und Arbeitsmarkt so viel erreicht haben.“
DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee stellte die wichtige Schlüsselfunktion der Hochschulen heraus: „Mit ihrer Arbeit und ihrem vielseitigen Engagement sind die Projektverantwortlichen und Studierenden zu Brückenbauern zwischen Hochschule und Gesellschaft, aber auch zu Wegbegleitern und Lotsen für viele Menschen in eine selbstbestimmte, persönliche, akademische und berufliche Zukunft geworden.“
Podiumsdiskussion: „Weitere Brücken aufbauen“
Auf dem Podium (v. l.): Moderatorin Najima El Moussaoui; „Refugeeks“-Teilnehmer Anmar Aziz; Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen; Dr. Cornelia Schu, Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR); Prof. Dr. Thomas J. Schult, Hochschule Hannover, Leiter des Projekts „Refugeeks“.
Welche Schlüsse können wir aus dem Erreichten ziehen? Wie können wir den Schwung mitnehmen und weitere Brücken vom Studium in den Arbeitsmarkt aufbauen? Im Anschluss an die Preisverleihung diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Hochschule und Wissenschaft über die Bilanz der Hochschulprogramme und künftige Herausforderungen. Das Thema auf dem Podium: „Bildungsintegration weiterdenken“.
Das Ärmelhochkrempeln und der lange Atem haben sich gelohnt, doch es ist „noch Musik drin“: So könnte man das Stimmungsbild auf dem Podium zu fünf Jahren Hochschulprogramme kurz zusammenfassen. Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, Grünen-Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, betonte, dass sich das Ineinandergreifen der Programme Integra, Welcome und PROFI bewährt habe – insbesondere, dass diese nicht nur die Integration auf dem Campus, sondern auch in die Gesellschaft hinein in den Blick nähmen. Auch Dr. Cornelia Schu vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR), hält den Ansatz für richtig, einen „Instrumentenkasten zu entwickeln, der von der Studienvorbereitung bis in den regionalen Arbeitsmarkt wirkt“. Die Menschen noch weiter zum Ankommen zu ermuntern sei wichtig, damit die Integration in die Gesellschaft gelinge. Die Podiumsteilnehmer sind sich aber auch einig, dass Integration und Bildungsintegration eine Daueraufgabe ist, die ein Follow-up braucht. Kai Gehring: „Verbesserungspotenzial erkenne ich bei der Brücke nach Deutschland und ins Studium, was zum Beispiel die Visavergabe, das Vereinfachen rechtlicher Rahmenbedingungen, das Anerkennen der bisherigen Studienleistung oder neue Ansätze zur Verringerung der Abbruchquote betrifft.“ Potenzielle Felder, um die Einmündung in die Berufswelt zu verbessern, sieht der Politiker auch bei Anpassungsqualifizierung, Sprachförderung, Coachings oder Mentoring.
Mehr Vernetzung mit dem regionalen Arbeitsmarkt
Wie Integration im besten Fall gelingen kann, schildert Anmar Aziz, ehemaliger „Refugeeks“-Kursteilnehmer mit Fluchtgeschichte. Nach seiner neunmonatigen Intensivschulung in den Bereichen Data Science und Web Technology und einem dreimonatigen Praktikum in Hannover fühle er sich „angekommen“ im deutschen Arbeitsmarkt und auch im sozialen Leben. Der Preisträger der Kategorie „Brücke in den Arbeitsmarkt“, Prof. Dr. Thomas J. Schult von der Hochschule Hannover, unterstreicht in dem Zusammenhang, wie wichtig es ist, früh auf die Zielunternehmen im Arbeitsmarkt zuzugehen. „Wir haben auf Jobmessen den Firmen, die Fachkräfte suchen, unser Konzept und das Curriculum vorgestellt. So konnten wir ein Gefühl dafür entwickeln, wo im Arbeitsmarkt wir besonders gut landen können, denn Informatik ist ein großer Bereich.“ Auch die anderen Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer betonten die Notwendigkeit, proaktiver auf die regionale Wirtschaft zuzugehen und um Hochschulen, internationale Studierende und die potenziellen Arbeitgeber stärker miteinander in Kontakt zu bringen. Dr. Cornelia Schu: „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass vor allem internationale Studierende mit dem deutschen Arbeitsmarkt und seinen Regularien nicht so vertraut sind, keine Netzwerke haben und vielleicht auch die Vielfalt der Jobs nicht kennen. Es ist wichtig, schon im Studium diese Brücke zu bauen, das heißt Studierende und potenzielle Arbeitgeber zu vernetzen.“
Mit vielfältigen Biografien und Bildungssystemen umgehen
Die Vernetzung sei auch deshalb wichtig, weil erst durch einen persönlichen Kontakt beider Seiten das zertifikatsorientierte System in Deutschland an Flexibilität gewinne. Schus Plädoyer: „Wir sollten als Land flexibler und offener werden. Wenn Menschen mit Berufserfahrung und akademischem Abschluss nach Deutschland kommen, sollten sie nicht ein Studium vom ersten bis zum letzten Semester absolvieren müssen.“ Perspektivisch sei ein hochschulübergreifendes Anpassungsformat bzw. ein smartes Anerkennungsprogramm der richtige Weg, damit Studierende mit Fluchtbiografie sowie internationale Studierende fit für den Arbeitsmarkt in Deutschland werden.
Vera Haase (18. Juni 2021)