Fördert Auslandsmobilität die wissenschaftliche Karriere?
Petra Nölle
Dr. Nicolai Netz forscht am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) unter anderem zur Mobilität von Hochqualifizierten.
Mit „DAAD Forschung kompakt“ bietet der DAAD ab sofort eine neue Publikationsreihe, die aktuelle wissenschaftliche Befunde für die Hochschulpraxis verständlich und nutzbar machen soll. Für die erste Ausgabe hat Dr. Nicolai Netz vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) die Forschungsergebnisse zu der Frage zusammengefasst, welchen Einfluss internationale Mobilität auf wissenschaftliche Karrieren hat.
Herr Dr. Netz, Sie haben gemeinsam mit Ihren Kolleginnen Svenja Hampel und Valeria Aman einen Forschungsüberblick zur Wirkung internationaler Wissenschaftlermobilität erstellt, den sie vor Kurzem in der renommierten internationalen Fachzeitschrift „Research Evaluation“ veröffentlicht haben. Können Sie uns bitte kurz erläutern, welche Wirkungen Sie hier genau betrachtet haben und warum dies für die deutschen Hochschulen von Interesse ist?
In unserem systematischen Review haben wir untersucht, welchen Einfluss internationale Mobilität auf die Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat. Dabei haben wir unter internationaler Mobilität sowohl zeitweilige Auslandsaufenthalte als auch Formen längerfristig angelegter internationaler Migration verstanden. Durch die Gruppierung existierender Studien nach den Karrieredimensionen, die sie untersuchen, konnten wir die folgenden Teilforschungsfelder identifizieren: Studien zum Einfluss internationaler Mobilität auf die wissenschaftlichen Netzwerke, die wissenschaftliche Produktivität, die berufliche Stellung, die wissenschaftliche Rezeption, die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung, die Veränderung der Wissensbasis, den Zugang zu Forschungsinfrastrukturen und Finanzierungsquellen sowie auf die Gewinnung von symbolischem Kapital – also Reputationsgewinne durch Aufenthalte an prestigeträchtigen Institutionen.
Zwar standen bei uns nicht die Auswirkungen internationaler wissenschaftlicher Mobilität auf Heimat- und Gasthochschulen im Fokus, aber unsere Analyse kann Hochschulverantwortlichen Aufschluss darüber geben, ob sich Programme zur Förderung internationaler wissenschaftlicher Mobilität eigentlich lohnen. Sowohl Hochschulverantwortlichen als auch den betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hilft unser Forschungsüberblick bei der Beantwortung der Fragen: Verbessert sich die wissenschaftliche Arbeit und verläuft die Karriere steiler, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Zeit im Ausland verbringen? Und welche Risiken gehen mit internationaler Mobilität einher?
In welchen Bereichen zeigen sich denn die eindeutigsten bzw. stärksten Effekte der Wissenschaftlermobilität? Und gibt es vielleicht auch Bereiche, in denen die Befunde eindeutig für schwache oder vielleicht sogar fehlende Effekte sprechen?
Die analysierten Studien zeigen recht deutlich, dass internationale Mobilität zum Ausbau wissenschaftlicher Netzwerke beiträgt. Zudem gibt es Hinweise, dass internationale Mobilität die wissenschaftliche Produktivität und Rezeption, das heißt die Anzahl der Publikationen sowie Zitationen, erhöhen kann. Auch den beruflichen Aufstieg kann internationale Mobilität begünstigen. Sie scheint jedoch ebenso mit durchschnittlich längeren befristeten Beschäftigungsverhältnissen einherzugehen. Bezogen auf Karrieredimensionen wie die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung, das wissenschaftliche Fachwissen, den Zugang zu Forschungsinfrastruktur und -finanzierung sowie Reputationsgewinne, gibt es ebenfalls vereinzelte Hinweise auf positive Effekte internationaler Mobilität. Die letztgenannten Dimensionen wurden aber deutlich seltener und auf Basis weniger belastbarer Forschungsdesigns untersucht.
Und wo sehen Sie noch den größten Forschungsbedarf in Bezug auf die Wirkungen der Wissenschaftlermobilität, das heißt, wo ist die Befundlage bisher eher unklar?
Ich persönlich finde die Frage sehr spannend, ob internationale Mobilität die Qualität und Innovativität von Forschungs- und Lehrleistungen beeinflusst. Falls ja: Woran liegt dies genau? Erwerben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch Auslandsaufenthalte wirklich solidere Methodenkompetenzen und innovativeres Fachwissen als im Rahmen rein national ausgerichteter Karrieren? Gerade im Kontext der Corona-Pandemie haben solche Fragen weiter an Bedeutung gewonnen. Über viele Monate waren wir nun gezwungen, uns auf digitalen Wegen auszutauschen. Lassen sich auf diesen Wegen letztlich ähnliche Ergebnisse erzielen wie durch persönliche Aufenthalte im Ausland? Worin liegen genau die Vorteile von persönlichen Auslandsaufenthalten einerseits und digitaler Kommunikation andererseits? Wie immer in den Sozialwissenschaften ist auch die Frage nach der Kausalität relevant: Sind die beobachteten Auswirkungen internationaler Mobilität wirklich auf die Auslandsaufenthalte zurückzuführen, oder lassen sie sich größtenteils durch die Eigenschaften der Personen erklären, die sich für einen Auslandsaufenthalt entscheiden?
Interview: Dr. Jan Kercher (24. Juni 2021)
Zur Person
Dr. Nicolai Netz hat Fremdsprachen, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Bonn, Florenz und Maastricht studiert und in Soziologie an der Universität Hannover promoviert. Seit 2008 erforscht er am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) die Bildungs- und Erwerbsverläufe von Studierenden sowie Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Aktuell leitet er am DZHW eine Nachwuchsgruppe, welche die Ursachen und Auswirkungen der Mobilität von Hochqualifizierten untersucht.