„Wir müssen da rational herangehen“

AdobeStock

Nach dem Brexit: Wie können die wissenschaftliche Kooperation und der Austausch zwischen britischen und deutschen Hochschulen in Zukunft gestaltet werden? Welche Strategien werden jetzt wichtig? In unserem Doppelinterview erläutern Prof. Sally Mapstone, Rektorin und Vizekanzlerin der University of St Andrews, und Prof. Dr. Eva-Maria Feichtner, Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Universität Bremen, ihre Sichtweisen und Ideen. Beide waren bereits Teilnehmerinnen des DAAD Expert Panel „The New Normal after Brexit“ im März 2021.

Frau Prof. Mapstone, Frau Prof. Feichtner, wann haben Sie persönlich angefangen, sich auf den Brexit vorzubereiten – und was waren die ersten Fragen, mit denen Sie sich beschäftigen mussten?
Mapstone: Wir haben direkt am Tag nach dem Referendum begonnen, uns auf den Brexit vorzubereiten. Vier Jahre lang hatten wir jetzt ein „Brexit Preparedness Commitee“, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende und Lehrende Pläne ausgearbeitet haben, um Antworten auf diejenigen Entwicklungen zu finden, die einen Einfluss auf die Universität haben könnten – vor allem auf die internationalen Beziehungen. Eine der wichtigsten Fragen war, wie wir mit dem faktischen Wegfall von Erasmus+ umgehen können und dessen Ersetzung durch das Alan-Turing-Programm.

Feichtner: Mit meinem Eintritt in die Universitätsleitung im Oktober 2017 habe ich sehr zügig unsere Kooperation mit der Cardiff University intensiviert. Wir wollten hier schon länger eine forschungsrelevante Zusammenarbeit aufbauen. Mit Erasmus+ waren die Kooperationen zwar breit, aber nicht besonders tief. Das Bewusstsein, dass dies nach dem Wegfall von Erasmus+ im März 2023 nun umgestaltet werden muss, hat die Motivation erhöht, sich auf ausgewählte Partner zu fokussieren.   

Mapstone: Zu einem gewissen Grad würde ich zustimmen, dass bereits existierende Beziehungen wichtig sind – St Andrews zum Beispiel hat eine enge Partnerschaft mit der Universität Bonn, die wir schon vor dem Brexit etabliert hatten und ganz sicher weiterführen werden. Aber ich sehe keinen Grund, warum schottische, britische und deutsche Universitäten aufgrund des Brexits nun keine neuen Partnerschaften mehr aufbauen werden.

Was werden die grundlegenden Veränderungen in der Zusammenarbeit sein? Die Gebühren?
Feichtner: Die Gebühren sind letztendlich so hoch, dass sie für einen Großteil der Studierenden außerhalb der finanziellen Möglichkeiten liegen, wenn es keine bundesweiten Förderprogramme geben sollte. Vielleicht können wir im Rahmen von Kooperationsverträgen noch über den einen oder anderen Studienplatz verhandeln. Wir müssen überlegen, was wir den britischen Studierenden anbieten wollen und wie wir attraktiver werden können. Es wird ganz sicher auch darum gehen, spezifische kulturelle Erfahrungen noch mehr in den Vordergrund zu stellen. Das ist meiner Meinung nach ein zentraler Aspekt.

„Wir müssen da rational herangehen“

Universität Bremen

Prof. Dr. Eva-Maria Feichtner, Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Universität Bremen.

Wie könnte das in der Praxis aussehen?
Feichtner: Bei unseren Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern gibt es zum Beispiel interessante Sommerangebote, sogenannte „summer labs“, für internationale Studierende ausgewählter Partneruniversitäten, etwa Coventry University im Vereinigten Königreich. Sie umfassen eine Kombination aus Studienangebot in englischer Sprache, deutschem Sprachunterricht und kulturellem Programm sowie Praxiserfahrungen in regionalen Unternehmen.

Mapstone: Es wird eine Aufgabe der Universitäten im Vereinigten Königreich sein, Gaststudierenden aus Europa einen Besuch zu ermöglichen, den wir als sehr wichtig und wünschenswert betrachten. Da müssen wir als schottische und britische Universitäten gute Lösungen entwickeln. Manches wird also schwieriger werden. Aber wir hoffen, dass der Ruf der britischen Universitäten weiter dafür sorgt, dass unsere europäischen und insbesondere deutschen Partner es als lohnend betrachten, Beziehungen aufzubauen, die einen Austausch mit dem Vereinigten Königreich ermöglichen. 

„Wir müssen da rational herangehen“

Sophia Gerrard

Prof. Sally Mapstone, Rektorin und Vizekanzlerin der University of St Andrews.

Welche Hoffnung macht Ihnen das Alan-Turing-Programm? Kann es den Wegfall von Erasmus+ auf bestimmten Gebieten kompensieren?
Mapstone: Das Alan-Turing-Programm hat das Ziel, vor allem englischsprachige und weltweite Verbindungen zu fördern, während Erasmus+ primär auf Europa fokussiert ist und einen Schwerpunkt auf Spracherwerb legt – was aus meiner Sicht sehr wertvoll ist. Auf der anderen Seite wird das Turing-Programm auch kürzere Austauschaufenthalte ermöglichen und kann auf diese Weise von mehr Personengruppen genutzt werden als vorher Erasmus+.

Feichtner: Ja, das ist ein Vorzug, der oft nicht bekannt ist: die neue Möglichkeit von Kurzzeit-Aufenthalten. 

Besteht die Gefahr, dass durch den Brexit die Internationalität in Bildung und Forschung abnimmt?
Feichtner: Nicht unbedingt. Ich denke, man kann durch eine intelligente Mischung aus echtem Austausch und digitaler Zusammenarbeit Erfahrungen ermöglichen, die man zuvor nicht hatte. Vielleicht kommen wir dadurch zu anderen Modalitäten des wissenschaftlichen Austausches. Das wird der Wissenschaft nicht schaden. Wer vor der Pandemie nicht imstande war, um die Welt zu reisen, hatte es manchmal nicht einfach. Heute können virtuelle Formate die Teilhabe am wissenschaftlichen Leben für eine breitere Gruppe möglich machen. Plötzlich spielen das Reisebudget oder andere Hemmnisse der Mobilität nicht mehr die gleiche Rolle wie noch vor fünf Jahren.

Mapstone: Da würde ich Prof. Feichtner zustimmen. Was die Zusammenarbeit betrifft, reden wir aus meiner Sicht über eine sehr lange Perspektive: Die Universität von St. Andrews wurde im Jahr 1413 gegründet und viele unserer Akademikerinnen und Akademiker haben über Jahrhunderte ihre Ausbildung nicht nur in England, sondern auch in Paris, Köln oder Amsterdam erhalten. Ich denke, es ist unglaublich wichtig, diesen zeitlichen Zusammenhang zu sehen. Viele von uns bedauern den Austritt aus der Europäischen Union, aber ich glaube nicht, dass die Beziehungen zwischen schottischen, britischen und speziell deutschen Universitäten nun ernsthaft beschädigt werden. 

Prof. Mapstone, könnte sich der Fokus an Ihrer Universität aufgrund der Veränderungen bei Erasmus+ und Turing-Programm dennoch mehr in Richtung USA, Kanada oder Asien verschieben?
Mapstone: Ich glaube nicht, dass es für eine solche Umorientierung einen guten Grund gibt. Europäische Universitäten werden unsere engen Partner bleiben, allein schon aus geografischen Gründen. Wir haben als Universität schon lange extensive Beziehungen mit den USA. Aber ich denke, es wäre ein Fehler, wenn wir als eine Konsequenz aus dem Brexit bereitwillig unsere Beziehungen zu europäischen Universitäten abbrächen, die in so vielen Bereichen natürliche Partner für uns sind. Unsere langjährige strategische Partnerschaft mit der Universität Bonn beispielsweise umfasst den erfolgreichen Austausch von Studierenden und Mitarbeitenden und seit 2018 auch gemeinsame Forschungsprogramme auf allen Ebenen zum Thema Nachhaltigkeit. Im November 2020 hatten wir in Brüssel eine erste gemeinsame Veranstaltung, damals natürlich virtuell. Wir planen, diese Zusammenarbeit auch nach dem Brexit zu intensivieren. 

Prof. Feichtner, was kann das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) in diesem Zusammenhang leisten?
Feichtner: Es kann unterstützen, wenn eine Universität eine Kooperation aufbauen will. Beratungsangebote hat der DAAD immer schon gemacht, sie sind sehr hilfreich. KIWi kann die Vernetzung unter den Universitäten noch stärker anregen und sie zusammenbringen – etwa wenn eine Universität sich einer Region oder einem Land besonders widmen will.

Der Brexit hat eine emotionale Komponente, weil die kulturelle Verbindung zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich recht groß ist. Sehen Sie das auch so?
Feichtner: Der kulturelle Aspekt ist sehr wichtig: Wir müssen aufpassen, dass sich ein Studium nicht komplett vom Studienort löst, weil Lehrveranstaltungen und Doktorandenprogramme natürlich schon regelmäßig auf Englisch stattfinden. Was bedeutet es dann noch, in Amsterdam, Warschau oder Bremen zu studieren? Gerade nach dem Brexit können und sollten Universitäten in diesem Bereich viel tun: Von Welcome-Sprachangeboten über kulturelle Events bis zu speziellen Veranstaltungen für internationale Studierende können wir einiges machen, um für Studierende attraktiv zu sein.

Mapstone: Ich denke, es ist kaum vorstellbar, dass Emotionen dabei keine Rolle spielen. Aber unsere Herangehensweise an den Brexit muss rational sein. Und es ist eine Verpflichtung für Universitäten, zu diesen engen Beziehungen beizutragen, den Austausch zu ermöglichen und die unglaublich wichtige kulturelle Verbindung zu erhalten. Das wäre auch für mich persönlich das Wichtigste.

Interview: Torben Dietrich (20. Juli 2021)