Neues Programm fördert Forschung zur deutschen Kolonialherrschaft

cc by-nc-nd/3.0/de/ (Bundesarchiv, Bild 146-1984-041-07, Fotograf: o.A.)

Deutsche Kolonialherrschaft: Reichsfinanzminister Bernhard Dernburg lässt sich während seines Besuchs in den deutschen Kolonien (1907) von Afrikanern tragen. 

Ein vom Auswärtigen Amt finanziertes Stipendienprogramm soll mehr Licht in das dunkle Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte bringen. „German Colonial Rule“ ermöglicht bis zu acht Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, über die deutsche Kolonialvergangenheit und ihre Auswirkungen auf die betroffenen Länder zu promovieren. Der DAAD hat das neu aufgelegte Programm jetzt ausgeschrieben.

Die deutsche Kolonialherrschaft ist kein Ruhmesblatt der deutschen Geschichte. 1904 hatten sich in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, die Herero gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben. Diese Rebellion schlug eine rund 15.000 Mann starke Armee unter Führung des Generalleutnants Lothar von Trotha nieder. Die Herero wurden erbarmungslos verfolgt – mit dem Ziel der Vernichtung. Dabei wurden schätzungsweise 65.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama getötet. Die Opferzahlen sind bis heute umstritten. Weit mehr als ein Jahrhundert später entschuldigte sich die Bundesregierung im Mai dieses Jahres für den deutschen Völkermord und versprach, 1,1 Milliarden Euro als Wiedergutmachung an Herero und Nama zu zahlen.

Der Genozid an Herero und Nama ist nur ein Ereignis in einer jahrzehntelangen Historie der Ausbeutung. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs herrschten die Truppen des Deutschen Kaiserreichs über das drittgrößte Kolonialreich nach dem Britischen Empire und Frankreich. Dazu gehörten unter anderem das heutige Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Teile Ghanas, die Stadt Qingdao in China sowie mehrere Inseln im Westpazifik und in Mikronesien. Zunehmend dringt die Beschäftigung mit der deutschen Kolonialvergangenheit in das öffentliche Bewusstsein: Die Provenienz von Kunstgegenständen in völkerkundlichen Museen wird diskutiert, über die Rückgabe von Raubkunst wird verhandelt, und Straßen, die an historisch umstrittene Persönlichkeiten erinnern, sollen umbenannt werden. Doch vieles, was sich vor mehr als 100 Jahren in den Kolonien abspielte, ist bislang nur wenig erforscht.

„Wichtiges Zeichen weltweiter Annäherung“
Die Bundesregierung will deshalb mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der deutschen Vergangenheit bringen: Sie hat den DAAD beauftragt, das vom Auswärtigen Amt mit 1,2 Millionen Euro finanzierte Stipendienprogramm „German Colonial Rule“ aufzulegen. Es ermöglicht bis zu acht Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, das politische Handeln der verantwortlichen Regierungsstellen im Deutschen Kaiserreich sowie die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen auf die betroffenen Länder zu erforschen. „Die Forschung der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den ehemaligen Kolonialregionen gemeinsam mit deutschen Hochschulen ist ein wichtiges Zeichen weltweiter Annäherung. Damit tragen wir als DAAD dazu bei, historische und moralische Verantwortung für das entstandene Leid der Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens zu übernehmen“, sagt DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. Dies schaffe die Grundlagen für künftige internationale Wissenschaftskooperationen in der Kolonialforschung.

Am Puls des Silicon Valley

Eric Lichtenscheidt/DAAD

DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.

„Die Vielfalt der möglichen Promotionsthemen ist groß“, betont Dr. Holger Finken, der beim DAAD das Referat Forschungsprogramme leitet und das neue Stipendienprogramm koordiniert. Dies könnten beispielsweise Biografien von Personen sein, die damals in den Kolonien als Direktoren oder Staatssekretäre in der Kolonialabteilung oder in anderer gehobener Funktion für das Deutsche Kaiserreich arbeiteten. Untersuchungen zur Rolle deutscher Verwaltungsbehörden in den Bereichen Recht, Handel oder Militär, der Raub von Kunstobjekten aus den Kolonien oder Vergleiche zur Kolonialpolitik verschiedener Länder seien genauso von Interesse für die heutige Forschung wie theoretische Studien zu Kolonialismus und Rassismus. „Die Kolonialzeit war keine historische Fußnote. Sie prägt das Leben von Milliarden von Menschen bis heute“, betont Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. Mit dem Stipendienprogramm „German Colonial Rule“ werde man dieses viel zu lange vernachlässigte Kapitel der deutschen Geschichte aufarbeiten.

Neues Programm fördert Forschung zur deutschen Kolonialherrschaft

Jorinde Gersina

Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt.

Fokus auf Geschichts-, Politik- und Kulturwissenschaften
Vor allem an Promovierende aus den Geschichts-, Politik- und Kulturwissenschaften richtet sich das binationale Programm. Bis zum 31. August können sich Interessierte vorzugsweise aus den ehemaligen Kolonialstaaten noch beim DAAD bewerben. Eine internationale Auswahlkommission entscheidet anschließend über die Anträge. Geplant ist, dass die Stipendiatinnen und Stipendiaten sowohl von einer Hochschule in ihrem Heimatland als auch von einer deutschen Universität betreut werden. Von deutscher Seite aus nehmen zum Beispiel die Humboldt-Universität Berlin, die Universität Greifswald oder die Universität zu Köln an dem Programm teil und verleihen auch den Promotionstitel. Deutschkenntnisse, die beispielsweise die Recherche in Archiven nach den Spuren der Vergangenheit ermöglichen, sind Voraussetzung für die Bewerbung.

Neues Programm fördert Forschung zur deutschen Kolonialherrschaft

Privat

Dr. Holger Finken, Leiter des DAAD-Referats Forschungsprogramme.

Als Einstieg in das Programm beginnt im Dezember ein viermonatiger Deutschkurs, bevor die Promovierenden ab April 2022 maximal vier Jahre lang für ihre Promotion forschen können. „Das Stipendienprogramm wurde zunächst als Pilotprogramm aufgelegt. Bewährt es sich, ist eine Fortsetzung denkbar“, sagt Programmleiter Finken. Der Bedeutung der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte ist man sich beim Auswärtigen Amt bewusst: „Die Anerkennung historischer Verantwortung ist Voraussetzung dafür, gemeinsam die Zukunft zu gestalten“, sagt Staatsministerin Michelle Müntefering.

Benjamin Haerdle (3. August 2021)