„Globale Diskurse brauchen Freiräume“

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Blick über Berlin: Wie sehen andere Länder Deutschland während der Pandemie? Die Studie Außenblick gibt interessante Antworten.

Wie nehmen andere Länder Deutschland während der Coronapandemie wahr? Antworten auf diese Frage liefert die Studie „Außenblick – Internationale Perspektiven auf Deutschland in Zeiten von Corona“. Für die gemeinsame Erhebung des DAAD, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Goethe-Instituts wurden 620 internationale Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Internationale Zusammenarbeit, Kultur und Wirtschaft befragt. Frederike Berje, Referentin für Studien beim Goethe-Institut, über Kultur als Geflecht und die großen Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit.

Frau Berje, warum hat sich das Goethe-Institut an der Außenblick-Studie beteiligt? Und für welche Aspekte interessiert sich Ihre Institution besonders?
Das Goethe-Institut steht für internationalen Austausch und das Schaffen von Freiräumen. Als das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland haben wir auch die Aufgabe, die deutsche Sprache zu fördern, die kulturelle Zusammenarbeit zu stärken und über Deutschland zu informieren. Deshalb interessiert uns natürlich, wie Deutschland in der Welt wahrgenommen wird. Viele Gesprächspartnerinnen und -partner der Studie Außenblick haben aus persönlichen Erfahrungen berichtet, wie wichtig deutsche Sprachkenntnisse für das Ankommen in Deutschland sind. Ein ebenso zentrales Ergebnis für uns ist die Bedeutung, die dem internationalen Kultur- und Wissensaustausch beigemessen wird. Gerade die Art und Weise des Austauschs wird positiv hervorgehoben: fair, facettenreich, kooperativ und kreativ. Gleichzeitig war die Studie eine wunderbare Gelegenheit, gemeinsam mit dem DAAD und der GIZ als zwei weiteren großen Organisationen der internationalen Zusammenarbeit die fachlichen Schwerpunkte aller drei Organisationen zusammenzudenken und die verschiedenen Netzwerke zu nutzen, um einen Eindruck zu erhalten, wie Deutschland im Ausland wahrgenommen wird. 

In der Studie wird viel von „Wertschätzung und Respekt für Deutschland“ gesprochen. Wie erleben Sie diese positive Haltung in der täglichen Arbeit der Goethe-Institute im Ausland? 
Aus meiner persönlichen Erfahrung in anderen Ländern kann ich bestätigen, dass Deutschland häufig mit Wertschätzung und Respekt betrachtet wird. Von 2017 bis 2019 habe ich am Goethe-Institut Libanon erlebt, dass es ein großes Interesse an Zusammenarbeit, Austausch und Voneinanderlernen gibt. Und das in ganz unterschiedlichen Bereichen: von modernem Tanz über Elektromusik bis hin zu langen Diskussionen, um die Positionen verschiedener Philosophinnen und Philosophen, beispielsweise zum Thema Freiheit, miteinander zu vergleichen. Darüber hinaus gibt es ein großes Interesse an den Strukturen, die sich in Deutschland recht erfolgreich etabliert haben: etwa am Föderalismus, an der Förderung von Kunst und Kultur sowie auch an den interdisziplinären Wahlmöglichkeiten im Studium. 

„Globale Diskurse brauchen Freiräume“

Alia Haju

Frederike Berje, Referentin für Studien in der Abteilung Strategie und Evaluation beim Goethe-Institut.

Was begründet das Interesse an Deutschland im Ausland? Warum wollen die Menschen vor Ort Deutsch lernen und interessieren sich für unsere Kultur?
Die Ergebnisse der Studie Außenblick haben gezeigt, dass Deutschland vor allem für die stabile Demokratie, die starke Wirtschaft, das leistungsfähige Bildungssystem, die anwendungsorientierte Forschung und das reiche kulturelle Angebot geachtet wird. Das sind die Einschätzungen von internationalen Expertinnen und Experten, die unser Land sehr gut kennen. Für viele Menschen im Ausland ist Deutschland aber auch einfach ein Staat unter vielen anderen. Das heißt, es müssen erst einmal Möglichkeiten geschaffen werden, um mit Deutschland in Kontakt zu kommen und Interesse zu wecken. Das geschieht zum Beispiel über Kultur- und Bildungsprogramme sowie langfristig angelegte Kooperationen. Ich würde Kultur nicht als einen Container betrachten, der in Deutschland gefüllt, mit dem Etikett „unsere Kultur“ versehen und dann in die Welt verschickt wird. Kultur ist auch in Deutschland regional, sie ist in einer Stadt oder einem Häuserblock so unterschiedlich, dass die Vorstellung von Kultur als Geflecht der komplexen Realität viel eher entspricht. Wenn wir uns Kultur als ein Geflecht vorstellen, entdecken wir auch stärker das Verbindende und Gemeinsame über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Das kann das Interesse für eine bestimmte Musikrichtung, die Begeisterung für eine Autorin oder einen Autor oder aber auch das Teilen von Werten wie Meinungs-, Kultur- und Wissenschaftsfreiheit sein. 

Wie ist der Eindruck in den Goethe-Instituten im Ausland – wie wird die Rolle Deutschlands in der Coronapandemie bewertet?
Goethe-Institute gibt es in 98 Ländern. Da unterscheiden sich die jeweiligen Situationen vor Ort selbstverständlich stark. Mit der Studie Außenblick konnten wir feststellen, dass die Rolle Deutschlands bei der Bewältigung der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 im Ausland sehr positiv bewertet wurde. Für Irritationen hat der Umgang mit der zweiten Welle gesorgt: Hier wurden im Ausland organisatorische Probleme und eine schleichende Abnahme der Disziplin wahrgenommen. 

In der Außenblick-Studie kommen auch mahnende und kritische Stimmen zu Wort. Worauf blicken die Menschen im Ausland kritisch, und wie wird diese Kritik in der täglichen Arbeit der Goethe-Institute vor Ort aufgegriffen?
Für Kopfschütteln sorgt unter den befragten Personen zum Beispiel die ausgeblendete Kolonialgeschichte Deutschlands. Das ist eine Auseinandersetzung, die äußerst wichtig ist – gerade auch, um Machtstrukturen der Gegenwart zu verstehen. Die Goethe-Institute befassen sich in verschiedenen Formaten, wie der Reihe Museumsgespräche oder dem Onlinemagazin „Latitude”, bereits seit mehreren Jahren mit diesem Thema, aber die Fragen, wie wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen und wie wir eine gemeinsame, global gerechtere Zukunft gestalten können, müssen weiter diskutiert und erprobt werden. Als große Herausforderungen, die die internationale Zusammenarbeit in den kommenden Jahren prägen, wurden in der Studie die Schlagworte Klimawandel, Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen, Flucht und Migration, wachsende Ungleichheit zwischen Ländern, Digitalisierung und Veränderung des Arbeitslebens sowie Demokratiekrise genannt. Das sind sehr große und entscheidende Themen, über die wir global nachdenken und diskutieren müssen. Damit solche globalen Diskurse stattfinden können, braucht es Freiräume, in denen verschiedene Positionen zusammengebracht und frei ausgehandelt werden können. 

Besonders populistische und extremistische Tendenzen in Deutschland werden im Ausland mit Sorge betrachtet. Wie können Goethe-Institute diesen Sorgen begegnen und dabei selbst ein Zeichen gegen Intoleranz setzen?
Es macht nachdenklich, wenn viele Gesprächspartnerinnen und -partner berichten, dass sie in den letzten Jahren in Deutschland mehr Ablehnung sowie weniger Toleranz und Freundlichkeit gespürt haben. Hier sollten wir genau hinhören und nach den Ursachen fragen. Kulturelle Differenz und Diversität verstehen wir als Bereicherung, weil in der Begegnung mit der Vielfalt gesellschaftliches Lernen möglich wird. Deutschland ist Teil einer zunehmend globalisierten Welt, und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind auch nur transnational zu bewältigen. Mit unserer Arbeit wollen wir deswegen auch einen Beitrag dazu leisten, dass interessante Stimmen, Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Ausland Eingang in hiesige Debatten und Lernprozesse finden.

Was war für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis aus der Studie? 
Für mich persönlich war es wunderbar, zu sehen, wie vielfältig die Erfahrungen der Befragten mit Deutschland waren, wie differenziert sie sich mit unterschiedlichen Themen befasst haben und wie aus dieser Auseinandersetzung und dem Austausch langfristige Kontakte entstanden sind. Sich mit anderen auszutauschen bedeutet, immer wieder auch zuzuhören und zu lernen. Genau das haben wir mit dieser Studie getan.

Der internationale Austausch findet hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder in Präsenz statt. Welche Lehren ziehen die Goethe-Institute aus den vergangenen Monaten, und welche Wünsche haben Sie für die zukünftige internationale Zusammenarbeit und damit auch für das Bild Deutschlands im Ausland? 
In den letzten Monaten wurden sehr viele gute digitale Formate an den Goethe-Instituten weltweit entwickelt und ausgebaut. Auch die Studie Außenblick wurde rein digital durchgeführt. Es ist schön, dass wir uns digital weiterhin mit Menschen weltweit austauschen können. Voraussetzung für die offenen und sehr ehrlichen Antworten in den Interviews war ein großes Vertrauen in unsere Arbeit – Vertrauen, das durch jahrzehntelange Arbeit und direkte Kontakte vor Ort aufgebaut wurde. Wie gestalten wir also zukünftig den globalen Kultur- und Bildungsaustausch? Wie nutzen wir die Vorteile und bringen die digitale und die physische Welt weiter zusammen? Das sind Fragen, über die wir in Zukunft weiter gemeinsam nachdenken werden.

Die Fragen stellte Birk Grüling (12. August 2021).

Weitere Informationen

Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Mit 158 Instituten in 98 Ländern fördert es die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein aktuelles Deutschlandbild. Durch Kooperationen mit zahlreichen Partnereinrichtungen weltweit verfügt das Goethe-Institut insgesamt über rund 1.000 Anlaufstellen.