„Vielfalt kann in vielerlei Hinsicht die Wirtschaftsleistung fördern”

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DAAD-Alumna Dr. Anna D’Ambrosio ist Expertin für den Bereich Vielfalt. Sie erklärt, warum Unternehmen mit großer Vielfalt erfolgreicher sind als solche, die nicht auf Diversität setzen, und spricht über das Konfliktpotenzial, das durch eine vielfältige Belegschaft entstehen kann.

Frau Dr. D’Ambrosio, Sie erforschen die Auswirkungen, die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt hat. Können Sie uns mehr über Ihre Forschung erzählen?
Ich konzentriere mich vor allem auf zwei Aspekte der Migration. Zum einen, inwiefern kulturelle Vielfalt den Arbeitsmarkt und Innovationspotenziale beeinflusst, und zum anderen auf die Auswirkungen von Migration auf internationalen Handel und Investitionen.

Wie sind Sie auf dieses Forschungsthema gekommen?
Eigentlich hatte ich gar nicht vor, wissenschaftlich zu arbeiten, sondern wollte mich aktiv einbringen und etwas bewegen. Ich habe Entwicklungswissenschaft und Volkswirtschaftslehre studiert, weil ich vorhatte, für eine internationale Firma oder Organisation zu arbeiten. Nach meinem Masterabschluss habe ich in Brüssel gearbeitet. Da habe ich verstanden, wie wichtig es ist, Daten zu sammeln und zu analysieren, um meine Feststellungen und Beobachtungen zu stützen. Diese Begeisterung für Daten und mein Wunsch, gesellschaftliche Probleme anzugehen, haben mich zurück in die akademische Welt und zu meinem Forschungsthema geführt.

„Vielfalt kann in vielerlei Hinsicht die Wirtschaftsleistung fördern”

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DAAD-Alumna Anna D’Ambrosio ist Expertin für das Thema Vielfalt und Dozentin für Angewandte Wirtschaftswissenschaften am Polytechnikum Turin.

Das Thema Vielfalt lässt eine Reihe von Herangehensweisen zu. Unternehmen interessieren sich zum Beispiel für die Profitmöglichkeiten, während sich Aktivistinnen und Aktivisten gegen Diskriminierung einsetzen. Schließen diese beiden Sichtweisen sich gegenseitig aus?
Das ist eine entscheidende Frage, die mir Kopfzerbrechen bereitet, seit ich angefangen habe, mich mit dem Thema kulturelle Vielfalt zu befassen. Ich glaube nicht, dass die beiden Ansätze einander unbedingt ausschließen, aber es ist schwierig, sie unter einen Hut zu bringen. Ich glaube zum Beispiel daran, dass alle Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten. Es scheint allerdings so zu sein, dass die Integration von geringqualifizierten Zugewanderten mit vielfältiger kultureller Herkunft sich nicht immer positiv auf die Wirtschaft auswirkt. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht nur um Wirtschaftlichkeit geht, sondern es auch eine ethische Frage ist.

Sind vielfältige Firmen erfolgreicher, und wenn ja, warum?
Vielfalt kann in vielerlei Hinsicht die Wirtschaftsleistung fördern. Zugewanderte und sogenannte Gastarbeiter bringen länderübergreifende Kompetenzen mit, die sich positiv auf Handel und Investitionen zwischen ihrem Herkunfts- und dem Zielland auswirken können. Sie kennen die kulturell bedingten Vorlieben und Neigungen ihres Heimatlandes und können deshalb dabei helfen, Produkte und Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln. Bei experimentellen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Gruppen mit vielfältigeren Fähigkeiten erfolgreicher sind als einheitliche Gruppen. Und zwar auch dann, wenn Letztere im Hinblick auf das Lösen komplexer Probleme eigentlich höher qualifiziert sind. Vielfältige Sichtweisen ermöglichen einen differenzierteren Blick auf geschäftliche Möglichkeiten. Wenn verschiedene Ansichten aufeinandertreffen, werden Kenntnisse vertieft und der Status quo infrage gestellt. Aus all diesen Gründen konnte in vielen Studien belegt werden, dass Vielfalt zu höheren Gehältern, Innovation und wirtschaftlichem Wachstum führt.

Ist das Konfliktpotenzial in gemischten Gruppen größer als in einheitlichen?
Bei Vielfalt denkt man vielleicht an Kommunikationsprobleme, Misstrauen und schlechteren sozialen Zusammenhalt. Am grundlegendsten äußert sich das in Sprachproblemen. Es gibt viele Studien, die belegen, dass Menschen dazu neigen, Verbundenheit mit Leuten zu empfinden, die ihnen ähnlich sind. Das fördert den Informationsfluss und die Zusammenarbeit. Vielfalt, insbesondere in Form von sichtbaren Merkmalen, wird oft mit Schubladendenken, Vorurteilen und Konflikten in Verbindung gebracht. Dennoch zeigen die meisten Studien, dass in wohlhabenderen und inklusiver aufgestellten Gesellschaften die positiven Effekte tendenziell überwiegen.

Ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin kann gleichzeitig zwei oder noch mehr Minderheitsgruppen angehören. Beeinträchtigt das den beruflichen Erfolg?
Das ist auf jeden Fall möglich. Nehmen wir an, ich bin schwarz, identifiziere mich als Frau und arbeite in einem Unternehmen, wo die meisten Mitarbeitenden weiße Männer sind. In einem solchen Umfeld werde ich vermutlich verschiedenen Schwierigkeiten begegnen und sowohl Sexismus als auch Rassismus erleben. Dadurch wird es für mich schwieriger, meine Meinung mitzuteilen und mir Gehör zu verschaffen. Aus wirtschaftlicher Sicht hat das negative Folgen. Wenn Talent zufällig über verschiedene Kategorien von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt ist, verpasst das Unternehmen möglicherweise die Chance, eine wichtige andere Meinung zu hören, die seine Innovationsfähigkeit steigern könnte.

Haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Minderheiten angehören, stärker unter der Coronapandemie zu leiden?
Ja und nein. Einerseits wissen wir, dass Corona sich deutlich stärker auf Frauen und Minderheiten auswirkt, sodass es für sie schwierig sein kann, überhaupt auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Für Mitglieder von Minderheiten, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, ist es aber durch die fehlende physische Präsenz gegebenenfalls einfacher, ihre Ideen mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit Vorgesetzten zu teilen, als im persönlichen Austausch. Der zweite Teil meiner Antwort ist aber noch eine Hypothese. Ich kann noch nicht sagen, inwieweit diese Vermutung zutrifft.

Wie hängen Politik und Vielfalt zusammen?
Ich arbeite derzeit an einem Artikel über politischen Populismus und Verletzungen am Arbeitsplatz und habe ein paar beunruhigende Dinge herausgefunden. Unter anderem scheint es so zu sein, dass Migrantinnen und Migranten an Orten, an denen viele Menschen rechtspopulistische Parteien wählen, einem deutlich höheren Risiko von Verletzungen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Außerdem hat sich gezeigt, dass an solchen Orten die Bereitschaft sehr viel höher ist, Zugewanderten gefährliche Aufgaben zu übertragen. Meine Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass Hassreden – also öffentlich zum Ausdruck gebrachte Vorurteile gegenüber Minderheiten sowie Migrantinnen und Migranten – direkte Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Menschen haben.

Rebecca Hahn (17. August 2021)
Dieser Text erschien zuerst im Alumniportal Deutschland.

 

Zur Person

Anna D’Ambrosio ist Dozentin für Angewandte Wirtschaftswissenschaften am Polytechnikum Turin. Ihren Doktortitel in Entwicklungsökonomie erwarb sie an der Universität Trient, Italien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören internationale Ökonomie, Wirtschaftsgeografie und Arbeitsökonomie. Sie ist Expertin für die Bereiche Bestimmungsfaktoren und Auswirkungen von Migration, Direktinvestitionen im Ausland und Außenhandel sowie die Wirkungsevaluation öffentlicher Politik. Sie unterrichtet und forscht in Zusammenarbeit mit dem System der Vereinten Nationen, insbesondere mit dem internationalen Ausbildungszentrum der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Als DAAD-Stipendiatin hat sie am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Deutschland geforscht. Im November 2020 erhielt Anna D’Ambrosio den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten und vom DAAD verliehenen Ladislao-Mittner-Preis im Bereich Wirtschaftswissenschaften.