Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

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Deutschland steht vor einer richtungsweisenden Wahl.

Internationale Deutschland-Expertinnen und -Experten erleben die Abschlussphase des Bundestagswahlkampfes auf Einladung des DAAD aus nächster Nähe. Dabei stehen Besuche in wissenschaftlichen Einrichtungen und Begegnungen mit Politikerinnen und Politikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten im Vordergrund. Die Wahlbeobachterreise wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA) gefördert. Mit welchen Erwartungen kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Deutschland? 

Der diesjährigen Bundestagswahl kommt durch das Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel ein historischer Charakter zu. Für die internationale Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten, die auf Einladung des DAAD einen differenzierten Blick auf die letzten Tage des Wahlkampfes werfen können, ist dieser Deutschlandbesuch sicher einer der aufschlussreichsten. Denn die zwölf Teilnehmenden erhalten während der DAAD-Wahlbeobachterreise vom 21. bis 27. September nicht nur einen direkten Einblick in die Wahllokale und den deutschen Wahlprozess, sondern haben im Vorfeld Gelegenheit, ein Gefühl für den gegenwärtigen Zustand der Bundesrepublik zu entwickeln und ihre wichtigsten (Zukunfts-)Themen kennenzulernen. Dafür besuchen sie zum Beispiel die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle und das dortige Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, treffen Bundestagskandidatinnen und -kandidaten verschiedener Parteien und knüpfen Kontakte zum ARD-Hauptstadtstudio.  

Im Vorfeld der Reise haben einige Teilnehmerinnen, unter anderem aus den USA, Brasilien und England, zwei Fragen beantwortet, die auf ihre persönliche Beziehung zu Deutschland und ihre Erwartungen an die Reise abzielen. Im Nachgang der Reise sollen wiederum zwei Fragen erhellen, welche Begegnungen die Teilnehmerinnen besonders bewegt haben und wie sie die gewonnenen Erkenntnisse nutzen werden.


Prof. Dr. Atsuko Kawakita, Historikerin, University of Tokyo

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

privat


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich bin Deutschlandhistorikerin. Seit Jahren unterrichte ich an japanischen Universitäten Neuere und Neueste Geschichte Deutschlands, und seit April 2020 bin ich Direktorin am Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der Universität Tokyo (DESK). Das DESK ist eines der 20 Exzellenzzentren, die weltweit mithilfe der Förderung des DAAD eingerichtet wurden und sich mit der Forschung und Ausbildung im Bereich der Deutschland- und Europastudien sowie der Öffentlichkeitsarbeit für Deutschland beschäftigen.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Es sind gleich mehrere Aspekte, die ich sehr interessant finde. Vor allem die Frage, wie die politische Landschaft Deutschlands nach Angela Merkel aussehen wird: Wie entscheiden die Deutschen nach 16 Jahren Stabilität unter Merkel über die weitere politische Entwicklung ihres Landes? In diesem Zusammenhang finde ich es spannend, wie viel Unterstützung die Grünen und die AfD von den Wählern erhalten werden. Themen, die auch viele Japaner interessieren, sind das Zusammenleben mit Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten, die Unterschiede zwischen Ost und West 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sowie die unterschiedlichen Meinungen und die Konsensbildung bezüglich der Covid-19-Pandemie in Deutschland. In Japan herrscht Politikverdrossenheit und Abscheu gegenüber allem Politischen, vor allem in jüngeren Generationen. Ich bin deshalb sehr neugierig, ob vor allem jüngere Leute in Deutschland Interesse an der Wahl zeigen.


Prof. Dr. Corine Defrance, Historikerin, Centre national de la recherche scientifique, Université de Paris 1-Panthéon-Sorbonne

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Ladan Rezaeian


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich habe sowohl eine starke berufliche als auch eine persönliche Beziehung zu Deutschland. Als Historikerin interessiere ich mich besonders für die Akteure und Prozesse der Annäherung und Versöhnung sowie die deutsch-französischen Bindungen. Anfang der 1990er Jahre kam ich regelmäßig für längere Aufenthalte nach Deutschland, zunächst nach Mainz und später nach Bonn als Postdoc-Stipendiatin. 2011/2012 wurde ich als Gastprofessorin an die Freie Universität Berlin eingeladen. Dort hat es mir dann so gut gefallen, dass mein Partner und ich seitdem eine Wohnung in Berlin haben. Mein Mann ist Deutscher – und gleichzeitig französischer Beamter. Wir arbeiten und leben zwischen beiden Ländern, zwischen beiden Sprachen. Paris, Mainz, Berlin: Das sind unsere wichtigsten Ankerpunkte. In den letzten zwei Jahren haben wir wegen der Coronakrise fast ausschließlich in Deutschland gelebt.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Erstmal habe ich mich sehr über diese Einladung gefreut – ich wusste nicht, dass der DAAD ausländische Gäste zu einer Wahlbeobachterreise einlädt. Das Wort „Wahlbeobachtung“ lässt erst einmal an UN-Missionen denken, an Länder im demokratischen Wandel. Das Prinzip, Ausländerinnen und Ausländer zur Wahlbeobachtung einzuladen, um das deutsche System und die aktuellen Herausforderungen in Deutschland besser zu verstehen und mit Akteuren und Experten zu diskutieren, ist an sich schon eine faszinierende Idee. Persönlich freue ich mich besonders auf die Treffen mit den Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien, die Teilnahme an unterschiedlichen Wahlkampfveranstaltungen und auf die Bundestagswahl selbst am 26. September, mit der Feldbeobachtung in den Wahllokalen und dem Wahlabend in den Parteizentralen. Thematisch interessiere ich mich wahrscheinlich am meisten für die Fragen von Wissenschaft, Integration, Ökologie und auch für die Reflexion über die Herausforderungen der Pandemiekrise.


Prof. Gisela Dachs, Sozialwissenschaftlerin, DAAD Center for German Studies, Hebrew University, Jerusalem

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Hebrew University


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich bin in Bayern aufgewachsen, habe das Land aber nach dem Abitur für acht Jahre in Richtung Paris verlassen und danach als Erwachsene nur vier Jahre in Deutschland gelebt – als politische Redakteurin bei der „ZEIT“ in Hamburg. Mein Blick auf das Land ist daher seit langem eher einer von außen, auch wenn mir als Journalistin und Wissenschaftlerin vieles seit jeher stets vertraut geblieben ist.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Mich interessieren alle Themen, die den Wandel betreffen, dem sich Deutschland entweder bereits unterzogen hat, etwa bei Migrationsfragen, oder der weiterhin ansteht, zum Beispiel in der Digitalisierung. Das betrifft ebenso die politische Kultur, auf die ich sehr gespannt bin und die hoffentlich in den direkten Gesprächen mit den Abgeordneten fassbar wird.


Prof. Dr. Hope M. Harrison, Historikerin, The George Washington University, Washington, D.C.

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Colette Kent


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich habe eine sehr enge Beziehung zu Deutschland, Berlin ist quasi meine zweite Heimat. Seit mehr als 30 Jahren reise ich fast jedes Jahr dorthin, und ich habe mehrmals in Berlin gewohnt – für ein Jahr oder mehrere Monate. Meine Freunde in Berlin sind wie eine Familie für mich. Diese lange Beziehung zu Berlin hat vor allem berufliche Wurzeln: Ich habe zwei Bücher über die Berliner Mauer geschrieben. Schon seit mehr als 20 Jahren gebe ich einen Kurs über „Deutschland von 1945 bis in die Gegenwart“, deshalb beobachte ich die Entwicklungen in Deutschland immer sehr intensiv.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Ich interessiere mich besonders für die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen den alten und neuen Bundesländern. Ich habe mich lange mit dem Kalten Krieg und der DDR beschäftigt und mit den Auswirkungen dieser Zeit auf die Gegenwart.


Prof. Kristina Spohr, Historikerin, London School of Economics and Political Science

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Dermot Tatlow, PenguinRandomhouse


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Das Rheinland – Düsseldorf – ist meine alte Heimat, und die Geschichte der deutschen Außenpolitik des 20. und 21. Jahrhunderts im globalen Kontext eines meiner zentralen Forschungsfelder. Dabei war ich schon immer an bundesdeutscher Politik im Sinne von politics and policy, leadership and governance interessiert – aufgrund meiner deutsch-finnischen Wurzeln auch immer aus der Außenperspektive.  

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Speziell reizt mich der Besuch in Halle, weil ich die Stadt noch nicht kenne. Ich bin gespannt, welcher Blick sich von dort auf die Entwicklung und Perspektiven der deutschen Industrie sowie der Weltwirtschaft auf dem Weg aus der Coronakrise heraus eröffnet. Ich freue mich auch, mehr über die Sicht der Leopoldina zu erfahren und darüber, wie und inwieweit Wissenschaft für Politik und Gesellschaft nutzbar gemacht werden kann. Dazu gehört für mich auch die Frage, wie man das Augenmerk der Politikerinnen und Politiker noch stärker auf die Notwendigkeit des Aneignens wissenschaftlicher Erkenntnisse lenken kann.


Leila Sterenberg, Journalistin, TV Globo, Rio de Janeiro

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Persönliches Archiv


Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Die Muttersprache meines Vaters war Jiddisch. Und weil ich mich schon früh für die deutsche Kultur und Geschichte interessiert habe, lernte ich als Mädchen auch die deutsche Sprache. Dadurch konnte ich dreimal nach Deutschland reisen – zuletzt 2014 – und einige Persönlichkeiten interviewen: etwa den Schauspieler Daniel Brühl, den Schriftsteller Bernhard Schlink oder den Politiker Frank-Walter Steinmeier. Auch persönlich bin ich Deutschland noch stark verbunden: Ich habe Freunde und Freundinnen dort und einige Male auch schon meinen Urlaub in Deutschland verbracht – zuletzt 2019, als ich am Berlin-Halbmarathon teilgenommen habe.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Die Bundestagswahl in diesem Jahr ist sehr wichtig für Deutschland und die Welt, weil sie das Ende der Merkel-Ära markiert. Für mich ist die spannendste Frage: Welche Koalition wird die Bundesregierung bilden? Rot-Rot-Grün oder eine Ampelkoalition werden unterschiedliche Folgen für die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft und für die internationalen Beziehungen nach sich ziehen – vor allem in einem Moment so vieler gemeinsamer Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemie, Terrorismus und Migration. Für eine Reporterin ist es natürlich sehr wertvoll, einen wichtigen zeitgeschichtlichen Moment wie diese Bundestagswahl vor Ort zu beobachten und zu erleben.

Torben Dietrich (21. September 2021)