„Polen gilt nach wie vor als Geheimtipp“
NAWA - Pressematerial
Unterzeichnung des Kooperationsvertrags zwischen DAAD und der polnischen Nationalen Agentur für den Akademischen Austausch (NAWA): der deutsche Botschafter in Warschau Dr. Arndt Freytag von Loringhoven, DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks, NAWA-Direktorin Dr. Grażyna Żebrowska und Polens Vize-Bildungsminister Wojciech Murdzek (v. l.).
Der DAAD und die polnische Nationale Agentur für den Akademischen Austausch (NAWA) wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen und haben deshalb einen Kooperationsvertrag geschlossen. Welche Ziele der Vertrag verfolgt und wie intensiv die Beziehungen mit dem osteuropäischen Nachbarland bereits sind, erklärt Dr. Martin Krispin, Leiter der DAAD-Außenstelle Warschau.
Herr Dr. Krispin, DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks hat gerade einen Kooperationsvertrag mit der polnischen Nationalen Agentur für den Akademischen Austausch (NAWA) unterzeichnet. Was ist der Hintergrund bzw. warum gerade jetzt?
Die NAWA wurde erst vor wenigen Jahren von der polnischen Regierung als nationale Mobilitätsagentur für Polen ins Leben gerufen und ist, wie sie selbst betont, noch eine junge Organisation. Mit ihrem Auftrag, die polnischen Hochschulen in ihren Internationalisierungsbestrebungen zu unterstützen und Stipendien für Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Polen und dem Ausland zu vergeben, ist sie in vielerlei Hinsicht ein natürlicher Partner des DAAD. Der Wunsch, die vielfältigen Anknüpfungspunkte in unseren jeweiligen Zielen und unserem Förderhandeln zum Anlass zu nehmen, um zukünftig auch einmal gemeinsame Förderinstrumente für den deutsch-polnischen akademischen Austausch zu entwickeln, bestand schon seit einiger Zeit. Das Jahr 2021 bot sich nun besonders für die Unterzeichnung einer solchen Absichtserklärung an, da vor genau 30 Jahren die deutsch-polnischen Nachbarschaftsverträge in Bonn unterzeichnet wurden, die seinerzeit die bilateralen politischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellten. Als DAAD und NAWA wollten wir im Jubiläumsjahr dieser Verträge symbolisch an den Aufbruch von damals anknüpfen und in unseren akademischen Beziehungen einen neuen Impuls setzen. Mit dem Kooperationsvertrag haben wir nun einen Rahmen geschaffen, der diesem Willen Ausdruck verleiht.
Dr. Martin Krispin leitet seit 2020 die DAAD-Außenstelle in der polnischen Hauptstadt Warschau.
Wie intensiv ist der wissenschaftliche Austausch zwischen Polen und Deutschland, und wie hat er sich in den vergangenen Jahren entwickelt?
Der deutsch-polnische akademische Austausch entwickelt sich seit Jahren positiv. Polen nimmt beispielsweise als wichtiges Programmland an Erasmus+ teil. Das Land ist in Osteuropa Partner Nummer eins für deutsche Hochschulen, und mit über 1.600 Hochschulkooperationen ist das Netz institutioneller Partnerschaften damit sogar noch enger als etwa mit dem Vereinigten Königreich, was häufig gar nicht bekannt ist. Der DAAD fördert jedes Jahr rund 3.800 Deutsche sowie Polinnen und Polen in über 50 Programmen für einen Aufenthalt im jeweiligen Nachbarland. Was vielleicht noch wichtiger ist: Für polnische Studierende ist Deutschland nach wie vor das beliebteste Zielland in Europa für einen Studienabschluss, und erfreulicherweise steigt auch die Zahl deutscher Studierender, die sich für ein Studium in Polen entscheiden, seit einigen Jahren erstmals deutlich. Mit aktuell rund 1.800 eingeschriebenen Deutschen an polnischen Unis ist diese Zahl natürlich noch ausbaufähig, aber der Trend zeigt in die richtige Richtung. Es hilft uns als DAAD, dass die NAWA jetzt umfassender für den Studienstandort Polen wirbt, denn damit werden viele junge Menschen auch unsere DAAD-Förderangebote noch stärker wahrnehmen. Derzeit ist es aber nach wie vor so, dass – obwohl Polen unser direkter Nachbar ist – das Land und seine Hochschulen für deutsche Studierende immer noch als Geheimtipp gelten. Wir sind daher überzeugt, dass der Austausch mit Polen noch viel Potenzial hat und seine Möglichkeiten bislang noch bei Weitem nicht ausgeschöpft sind.
Welchen Beitrag leisten der DAAD und der Kooperationspartner NAWA schon jetzt für den Austausch zwischen den beiden Nachbarländern? Und welche Ziele in der akademischen Zusammenarbeit haben sich beide Partnerorganisationen für die Zukunft gesetzt?
DAAD und NAWA kooperieren schon heute im „Programm des projektbezogenen Personenaustauschs“ (PPP), das der DAAD mit vielen Ländern in der Welt unterhält und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird. Hierbei können Forschergruppen aus Deutschland und Polen Mobilitätsmittel zur Durchführung ihrer gemeinsamen Forschungsprojekte erhalten, häufig sind das übrigens junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Programm gibt es bereits seit 1999. Es wanderte 2017 aus der früheren Zuständigkeit im polnischen Bildungsministerium in das Portfolio der neu gegründeten NAWA. Jedes Jahr werden rund 20 Forscherinnen und Forscher aus Deutschland sowie 20 aus Polen gefördert. Auch hier entwickelt sich die Zahl der Anträge positiv. Da größere Wissenschaftsprojekte sehr häufig aus kleineren Vorhaben entstehen, leistet dieses Programm schon heute einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung deutsch-polnischer Forschungskooperationen. Als DAAD möchten wir den wissenschaftlichen Austausch mit unserem östlichen Nachbarland in Zukunft erneuern und ausbauen. Wir erfahren hierzu großes Interesse von polnischer Seite, wo das Hochschulsystem derzeit eine wichtige Phase der Modernisierung und Internationalisierung durchläuft. Wir sehen Erneuerung und Ausbau dabei auch als unseren Beitrag zur europäischen Integration und den europäischen Dialog, der auf einer politischen Ebene aktuell vor vielfältigen Herausforderungen steht und manchmal zu sehr verdeckt, wie eng unsere Verbindungen eigentlich schon sind. Da freut es uns sehr, dass das Interesse deutscher und polnischer Universitäten an Kooperationen so rege ist: Allein 2020 konnte der DAAD zum Beispiel neun neue deutsch-polnische Kooperationen in das Programm „Ostpartnerschaften“ aufnehmen, das noch auf die sogenannte neue Ostpolitik von Kanzler Willy Brandt zurückgeht und das als Förderlinie eine echte Erfolgsgeschichte ist. Dem deutsch-polnischen akademischen Austausch haben solche Initiativen stets sehr gutgetan, und wir würden uns freuen, wenn die Kooperation von DAAD und NAWA im Jubiläumsjahr der deutsch-polnischen Freundschaftsverträge von 1991 hierzu einen Beitrag leisten könnte.
Treffen in der polnische Nationalen Agentur für den Akademischen Austausch (NAWA) mit Vertreterinnen und Vertretern polnischer Wissenschaftsorganisationen im September 2021.
Peter Nederstigt (30. September 2021)