Intensiver Austausch in den Naturwissenschaften
Eckart Rühl
Die staatliche Universität St. Petersburg: Hier befindet sich das Verbindungsbüro für das German-Russian Interdisciplinary Science Center (G-RISC). Das naturwissenschaftlich ausgerichtete G-RISC ist eins von fünf Exzellenzzentren weltweit, das der DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA) fördert.
Im German-Russian Interdisciplinary Science Center (G-RISC) vernetzen sich junge Forscherinnen und Forscher aus Russland und Deutschland zu ausgewählten naturwissenschaftlichen Themenbereichen. G-RISC ist sowohl in Berlin als auch in St. Petersburg beheimatet und wird als eines von fünf Exzellenzzentren durch den DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert. Ziel ist es, in enger Zusammenarbeit den binationalen Austausch junger Talente zu fördern und mit interdisziplinärer Forschung maßgebenden naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu Leibe zu rücken.
Russland ist wichtig. Das gilt sowohl in politischer und wirtschaftlicher als auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Dass die deutsch-russische Zusammenarbeit – bei allen nachvollziehbaren politischen Differenzen – nach wie vor gedeiht, dazu leistet das German-Russian Interdisciplinary Science Center, kurz G-RISC, seit mehr als zehn Jahren einen bedeutenden Beitrag. Denn die gemeinsame Forschung ist einer jener Kanäle, auf denen Austausch und Kommunikation zum Wohle aller weitergehen.
Eine lange naturwissenschaftliche Tradition
In der Praxis vernetzt das G-RISC die Schlüsselkompetenzen führender Universitäten und Forschungslabore beider Länder in den Fächern Physik, Physikalische Chemie, Mathematik und Geophysik. Das Ziel: eine stabile Plattform für interdisziplinäre naturwissenschaftliche Forschung zu schaffen, mit dem Fokus auf Grundlagen- und angewandter Forschung.
Die Koordinierungsbüros von G-RISC befinden sich an der Freien Universität Berlin und der Staatlichen Universität St. Petersburg. Beide Länder und Städte verbindet eine lange naturwissenschaftliche Tradition, die mit dem Exzellenzzentrum gegenseitig gestärkt und ausgebaut werden soll. Eine der weiteren großen gemeinsamen Kooperationen war beispielsweise in den 2000er-Jahren der Aufbau des Russisch-Deutschen Labors an der Elektronen-Speicherring-Anlage BESSY-II in Berlin, das eng mit G-RISC kooperiert.
Hohes Engagement der jungen Forschungs-Community
Das G-RISC verbindet in seinem Netzwerk aber nicht nur die beiden Initiatoren, sondern insgesamt rund 60 Städte allein in Deutschland. „Eine Übersicht der Querverbindungen unserer Projekte liest sich wie der Routenplan einer großen Fluglinie“, sagt Prof. Dr. Eckart Rühl, der wissenschaftliche Koordinator des Projekts in Deutschland. „Die Vernetzung findet derzeit aufgrund der Pandemielage verstärkt virtuell statt“, erklärt er. „Darüber sind wir natürlich unglücklich, vor allem die jungen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.“ Rund 440 Forschungsgruppen in 130 Instituten in beiden Ländern bilden zwar eine beachtliche Gemeinschaft, die es ihren Mitgliedern ermöglicht, im jeweiligen Partnerland einige Wochen lang Spitzenforschung in interdisziplinären Forschungsgruppen zu betreiben. „Aber die persönlichen Eindrücke fehlen zumeist bei virtuellen Projekten“, bedauert Rühl. „Wo sie können, reisen die jungen Kollegen und Kolleginnen aber immer noch ins jeweilige Partnerland. Dafür nehmen sie oft auch einen hohen coronabedingten Aufwand auf sich, das ist wirklich bemerkenswert.“
Hohe Standards, kaum administrative Hürden
Bei allen Hindernissen, die es sonst für wirtschaftliche oder politische Verbindungen zwischen Deutschland und Russland geben mag, unterliegt der wissenschaftliche Austausch im Rahmen des G-RISC kaum behördlichen Einschränkungen. Die wissenschaftlichen Standards für die geförderten Projekte hingegen sind hoch: Nur innovative, binationale Vorhaben bekommen eine Chance auf finanzielle Unterstützung.
Der akademische Erfolg des deutsch-russischen Projekts lässt sich unter anderem an der hohen Zahl der Veröffentlichungen in referierten Fachzeitschriften feststellen – in den letzten zehn Jahren waren das mehr als 200. Zusätzlich zum wissenschaftlichen Austausch und der Netzwerkarbeit organisiert das G-RISC Konferenzen und Workshops. Die wissenschaftlichen Themen spannen sich über die gesamte Bandbreite der Fächer: Die Bearbeitung von Nano-Materialien mit Laser-Werkzeugen wird genauso erforscht wie die Vermessung der Eisdecke im Permafrost mit spezieller Radartechnik. Ein echtes Highlight für die russisch-deutsche Forschungs-Community ist die jährliche Verleihung des Russian-German Young Scientist Award seit 2015. Sie ist eine vorzügliche Gelegenheit, das Spektrum der naturwissenschaftlichen Leistungen am G-RISC sichtbar zu machen.
Dr. Björn Gebhard von der Universität Leipzig zu Gast an der Russischen Universität der Völkerfreundschaft in Moskau.
Preiswürdige Forschung und herzliche Gastfreundschaft
Einer der letztjährigen Preisträger ist Dr. Björn Gebhard von der Universität Leipzig. In der Kategorie „Best Project of Germans Performing Research in Russia“ im Bereich Mathematik wurde er für seine Arbeit „The Vlasov-Poisson equation in domains with toroidal symmetry“ mit dem Young Scientist Award ausgezeichnet. „Das System ist ein mathematisches Modell zur Beschreibung eines Hochtemperatur-Plasmas, bestehend aus Elektronen und positiven geladenen Ionen, wie sie etwa in experimentellen Fusionsreaktoren auftreten“, erklärt Gebhard seine Forschung. Ein Hauptproblem hierbei sei es, das Plasma über einen möglichst langen Zeitraum „beisammenzuhalten“.
Diese enge Verzahnung mit der Praxis ist eine herausragende Eigenschaft des G-RISC bei der Erforschung von Lösungen für herausfordernde naturwissenschaftliche Fragestellungen. Insofern passt die Ausrichtung des Exzellenzzentrums nahezu perfekt in das aktuelle deutsch-russische Themenjahr „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020-2022“. „Ein Schatz, den es zu hüten gilt“, so bezeichnete der ehemalige Außenminister Heiko Maas das Themenjahr, welches der Vertiefung der deutsch-russischen Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen dienen soll. Gleiches könnte auch für das G-RISC gelten.
Dr. Björn Gebhard aus Leipzig reiste für sein Forschungsprojekt zweimal nach Russland und kann damit als Testimonial für die belastbare und nicht selten auch herzliche Verbindung zwischen den Ländern dienen. „Bei beiden Aufenthalten habe ich mich mathematisch und, wichtiger noch, auch auf zwischenmenschlicher Ebene immer sehr willkommen und geschätzt gefühlt“, sagt er und betont: „Die Gastfreundschaft der Gruppe rund um Alexander Skubachevskii, den Direktor des mathematischen Instituts an der Russischen Universität der Völkerfreundschaft (RUDN), ist enorm!“
Der Schlüssel für das Gelingen dieses deutsch-russischen Exzellenznetzwerks ist sicher die sehr lange Partnerschaft der beiden Universitäten in Berlin und St. Petersburg: Schon mitten im „Kalten Krieg“, vor mehr als 50 Jahren, haben beide Institutionen Verbindungen geknüpft und daraus bis heute eine tragfähige und zuverlässige Beziehung aufgebaut – zum Vorteil beider Seiten.
Torben Dietrich (9. Dezember 2021)
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Fünf Exzellenzen weltweit
Das DAAD-Programm „Exzellenzzentren in Forschung und Lehre” wurde 2009 vom Auswärtigen Amt (AA) initiiert und seitdem finanziell gefördert. Das Ziel der an renommierten Universitäten angesiedelten Exzellenzzentren in Chile, Kolumbien (zwei Zentren), Russland und Thailand ist es, die besonderen Stärken der deutschen Wissenschaft herauszustellen und die internationale Vernetzung im Bereich der exzellenten Nachwuchsausbildung voranzutreiben.