„Überraschend erfreuliche Zahlen“
Eric Lichtenscheidt
Dr. Jan Kercher ist DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken.
Der DAAD hat auch in diesem Jahr in der ersten Dezemberhälfte eine Schnellumfrage zu den Einschreibezahlen der internationalen Studierenden im aktuellen Wintersemester durchgeführt. Teilgenommen haben 158 von 268 Mitgliedshochschulen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Drei Fragen an Dr. Jan Kercher, DAAD-Experte für externe Studien und Statistiken, der die Ergebnisse erläutert.
Herr Kercher, der DAAD prognostiziert auf Basis einer Befragung der deutschen Hochschulen trotz der aktuellen Coronaentwicklung deutlich steigende Zahlen bei den internationalen Studierenden. Wie ist das zu erklären?
Das sind tatsächlich überraschend erfreuliche Zahlen. Mindestens 330.000 internationale Studierende sind mehr, als man im Sommer zu hoffen gewagt hätte. Um das erklären zu können, muss man sich bewusst machen, dass die Coronalage zum Zeitpunkt der Bewerbung und Zulassung der aktuellen Erstsemester – also zwischen Juli und September – noch eine andere war. Deutlich weniger Studierende dürften also in diesem Wintersemester Probleme mit der Einreise nach Deutschland gehabt haben als im letzten Jahr. Zudem haben auch 2021 wieder viele Hochschulen in Deutschland die bereits bewährte Onlineeinschreibungen für den Fall angeboten, dass die Studierenden zum Semesterstart noch nicht vor Ort sein konnten.
Es gibt aber noch weitere Gründe, die den deutlichen und erfreulichen Anstieg der Zahlen erklären. Zum einen haben sich die Zahlen bei den Gast- und Austauschstudierenden, die nur für ein oder zwei Semester nach Deutschland kommen, nach einem deutlichen Einbruch im Vorjahr sehr schnell erholt. Hier berichtet knapp die Hälfte der deutschen Hochschulen von steigenden und nur ein gutes Viertel von weiter gesunkenen Zahlen. Das war erwartbar, weil die meisten dieser Studierenden aus dem europäischen Raum kommen und hier Reisebeschränkungen zu Beginn des Wintersemesters keine Rolle spielten.
Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass sich bei den internationalen Masterstudierenden, die einen Abschluss in Deutschland anstreben, ebenfalls eine positive Tendenz zeigt. Im Bachelorstudium haben wir hingegen vermutlich das Problem, dass im letzten Jahr aufgrund der Reisebeschränkungen deutlich weniger internationale Studieninteressierte mit einer Studienvorbereitung an einem deutschen Studienkolleg beginnen konnten. Das zieht nun sinkende Erstsemesterzahlen nach sich. Im Vorjahr profitierten wir noch davon, dass viele Studieninteressierte bereits vor Corona in Deutschland eine Studienvorbereitung begonnen hatten. Daher wirkte sich die Pandemie hier nur geringfügig auf die Erstsemesterzahlen aus. Die Zahlen im Masterstudium werden also sehr viel unmittelbarer vom Verlauf der Pandemie beeinflusst als die Zahlen im Bachelorstudium, wo wir es immer mit einer gewissen Verzögerung zu tun haben.
Welche sonstigen Entwicklungen zeigen sich in den Umfragedaten?
Wir haben dieses Jahr erstmals auch nach den Entwicklungen bei den zehn wichtigsten Herkunftsländern internationaler Studierender gefragt. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede, was die neu eingeschriebenen Studierenden oder Erstsemester angeht. Von einer Zunahme berichten die Hochschulen vor allem in Bezug auf die Türkei, den Iran, Indien, Italien und Frankreich. Bei China, Syrien und Kamerun hingegen berichten mehr Hochschulen von einer Abnahme der Zahlen. Dabei muss man beachten, dass es sich bei diesen Entwicklungen nicht nur um Coronaeffekte handelt. Bei der Türkei ist zum Beispiel eine deutlich steigende Zahl von Studierenden mit Fluchthintergrund festzustellen. Und die abnehmenden Zahlen in Bezug auf Syrien beobachten wir ebenfalls nicht erst jetzt, da die meisten Studieninteressierten, die 2015 oder 2016 nach Deutschland gekommen sind, mittlerweile schon im Hochschulsystem angekommen sind.
Interessant ist auch: Ein deutlich größerer Anteil der befragten Hochschulen als 2020 berichtet, dass so gut wie alle internationalen Erstsemester, nämlich mindestens 90 Prozent, bereits in Deutschland sind. Vor einem Jahr galt dies nur für 40 Prozent der Hochschulen, jetzt meldeten es mit 63 Prozent fast zwei Drittel. Allerdings zeigt sich in den Umfragedaten auch die sich verschärfende Coronasituation: So waren 31 Prozent der befragten Hochschulen mit reiner Präsenzlehre ins Wintersemester eingestiegen, im Dezember hatte sich dieser Anteil aber auf nur noch 7 Prozent reduziert. Gleichzeitig ist der Anteil der Hochschulen, die sich ausschließlich auf digitale Fernlehre konzentrieren, von nur einem Prozent auf 14 gestiegen. Die große Mehrheit der deutschen Hochschulen setzte allerdings von Anfang an auf ein Mischmodell aus Präsenz- und Fernlehre.
Wie belastbar sind diese Umfragedaten aus Ihrer Sicht?
Ich halte die Zahlen für sehr belastbar, da an den über 150 Hochschulen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, knapp zwei Drittel aller internationalen Studierenden in Deutschland eingeschrieben sind. Hinzu kommt: Gerade bei den Hochschulen, an denen die große Mehrheit der internationalen Studierenden eingeschrieben ist, hatten wir auch die höchste Rücklaufquote. Die größte Unsicherheit gibt es in den Daten dort, wo es ohnehin um eher wenige Studierende geht, also vor allem bei den kleineren Hochschulen.
Wir haben mittlerweile zudem die Erfahrung mit der Umfrage aus dem Vorjahr. Da fiel der Rücklauf sehr ähnlich aus, und es haben sich diesmal auch wieder überwiegend dieselben Hochschulen beteiligt wie 2020. Das bedeutet, dass wir nun etwas besser einschätzen können als vor einem Jahr, wie aussagekräftig die Stichprobe für die Gesamtheit der deutschen Hochschulen ist. Wir haben deshalb auch bewusst bei den prognostizierten Studierendenzahlen keine einzelnen Werte mehr angegeben, sondern einen Wertebereich. Denn trotz des guten Rücklaufs können wir natürlich nicht sagen, wie sich die Zahlen bei den Hochschulen entwickelt haben, die nicht an der Umfrage teilgenommen haben. Daher haben wir unsere Prognosen bewusst vorsichtig angesetzt. Das heißt, selbst wenn die Entwicklung bei den nicht befragten Hochschulen deutlich negativer ausgefallen ist als bei den befragten Hochschulen, sollten unsere Prognosen trotzdem noch richtig liegen. Alles andere würde mich sehr wundern.
(21. Dezember 2021)