„Südkorea ist sehr gut darin, Forschungsergebnisse zu verwerten“

AdobeStock

Blick über Seoul: Das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) lädt am 21. Januar 2022 ein zum Onlineworkshop „Deutsch-Südkoreanische Zusammenarbeit in angewandten Wissenschaften: Erfahrungen aus der Praxis“.

Lars Bergmeyer, Leiter des DAAD-Informationszentrums in Seoul, Südkorea, wirbt in einem virtuellen Workshop des Kompetenzzentrums internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) am 21. Januar 2022 für Kooperationen zwischen deutschen und südkoreanischen Hochschulen. Im Interview spricht er darüber, worin sich die beiden (Bildungs-)Kulturen voneinander unterscheiden und wo sie sich ähnlicher sind, als man vermuten würde. 

Herr Bergmeyer, Sie sind seit 2018 für den DAAD in Seoul. Wie erleben Sie als Deutscher die koreanische Kultur?
Einerseits sind Deutschland und Südkorea natürlich sehr unterschiedliche Länder. Es wird immer gesagt, dass Deutschland individualistischer ist und Korea eher gruppenbezogen. Das stimmt grundsätzlich auch, aber es ist nicht mehr so starr wie bisher. Ein großer Unterschied zu Deutschland liegt nach wie vor in der starken Hierarchie-Orientierung im Beruf und in der koreanischen Familie. Wenn man als Dozentin oder Dozent an der Uni ist, verbeugen sich die Studierenden häufig. Sehr ausgeprägt ist auch die Ausrichtung an Renommee und Prestige. Dann gibt es aber auch viele Dinge, die überraschend ähnlich sind. So existiert ein starkes Verbundenheitsgefühl, das Koreanerinnen und Koreaner Deutschland gegenüber empfinden, gerade auch wegen der Wiedervereinigungsthematik. Ein weiterer Grund liegt in der Tatsache, dass beide Länder nach Kriegen gesellschaftlich und wirtschaftlich am Boden lagen und sich dann wieder hochgekämpft haben. Diese Wertschätzung der Arbeit ist auch etwas, was viele Südkoreaner mental mit Deutschland verbindet. 

„Südkorea ist sehr gut darin, Forschungsergebnisse zu verwerten“

Privat

Leitet das DAAD-Informationszentrum in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul: Lars Bergmeyer.

Was macht Südkorea interessant für deutsche Hochschulen?
Südkorea ist ein Land mit einer sehr starken Bildungsorientierung. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung steht Südkorea seit Jahren zusammen mit Israel an der Spitze mit fast 4,5 Prozent des Bruttosozialprodukts, bei Deutschland sind es etwa 3 Prozent. In Korea gibt es eine vielfältige Universitätslandschaft mit Forschungsschwerpunkten in zukunftsorientierten Bereichen wie Halbleiter, Batterietechnologien oder Künstlicher Intelligenz. Viele koreanische Studierende sind äußerst zielstrebig, was für deutsche Hochschulen sicherlich auch nicht uninteressant ist.

Trifft das Bild noch zu, nach dem die Menschen in Südkorea extrem leistungsorientiert sind?
Ja und nein. Koreanische Studierende sowie Forscherinnen und Forscher sind grundsätzlich sehr leistungsorientiert, das trifft durchaus noch zu. Andererseits gibt es in Südkorea eine Entwicklung, dass sich junge Menschen zunehmend Gedanken über eine ausgewogene Work-Life-Balance machen. In Korea ist es üblich, sehr viele Arbeitsstunden zu leisten. Das fängt schon in der Schule mit teilweise 14-stündigen Schultagen inklusive Nachhilfe an. Hier findet derzeit ein Umdenken statt. Viele der Jüngeren sind nicht mehr bereit dazu und wollen mehr Zeit für ihr Privat- und Familienleben. Auch deswegen zieht es Studierende ins Ausland, wo sie zwar weiterhin ihre Karriereziele verfolgen können und das auch mit einer gewissen Vehemenz tun, aber wo sie gleichzeitig ihren Traum von einem ausgewogeneren Lebensstil umsetzen können. Seit Jahren nimmt die Zahl der koreanischen Studierenden zu, die an deutsche Hochschulen gehen; momentan studieren dort etwa 6.400.

Am 21. Januar veranstaltet das KIWi einen Workshop, der auch solche Aspekte vertiefen wird. Was erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Es geht um die Chancen und Herausforderungen einer Kooperation. Im Workshop werden die Wissenschaftsreferenten beider Länder auftreten, darüber hinaus kommen auch Vertreterinnen und Vertreter deutscher Hochschulen zu Wort, die schon konkrete Erfahrungen gemacht haben in der akademischen Zusammenarbeit mit Südkorea. Wir werden also über Grundsätzliches sprechen, aber es geht auch um ganz konkrete Erfahrungswelten. Wir wollen zudem ein wenig den Blick auf die starke Entwicklung lenken, die Südkorea im Bildungsbereich gemacht hat. Im Land gibt es inzwischen 191 Universitäten, und der Akademisierungsgrad unter den 25- bis 34-Jährigen beträgt etwa 70 Prozent. 

„Südkorea ist sehr gut darin, Forschungsergebnisse zu verwerten“

Privat

Lars Bergmeyer (Mitte, hintere Reihe) mit Kolleginnen und Kollegen sowie Prof. Frank Schwartze, Vizepräsident für Forschung und Internationales der TH Lübeck (hinten links), 2019 auf der Bildungsmesse „Study Abroad“ in Seoul, Südkorea.

Was können denn deutsche Hochschulen von Südkorea lernen?
Die Zeiten, in denen Südkorea ein Schwellenland war, sind längst vorbei. Inzwischen begegnen sich beide Länder auf Augenhöhe. Korea mag in der Grundlagenforschung nicht so stark sein wie Deutschland, dafür aber umso stärker in der Verbindung anwendungsnaher Forschung und der Platzierung am Markt in Form von Produkten. Südkorea ist sehr gut darin, Forschungsergebnisse zu verwerten und damit Geld zu verdienen. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt, bei dem sich deutsche Hochschulen etwas abschauen können. 

Was gefällt Ihnen persönlich an Südkorea?
Ich bin vor vier Jahren in ein Land gekommen, das sich sehr dynamisch entwickelt. In der Pandemie waren viele erstaunt darüber, dass dieses kleine Südkorea Strategien gefahren hat, die besser und effizienter waren als das, was viele westliche Länder getan haben. Es ist zudem ein Land im kulturellen Aufbruch, in dem starre Traditionen und Gewohnheiten infrage gestellt werden. Ich finde es sehr spannend, diese Entwicklungen sozusagen live mitzubekommen. 

Klaus Rathje (18. Januar 2022)

Zur Person

Lars Bergmeyer ist seit 2008 für den DAAD tätig und absolvierte zwei Germanistik-Lektorate, die ihn nach China und in die Mongolei führten. Bevor er 2018 die Leitung des DAAD-Informationszentrums in Seoul übernahm, arbeitete er im Informationszentrum Islamabad in Pakistan. Er studierte Politikwissenschaften und Germanistik in Köln, Bonn und Mumbai, Indien.

Virtueller Workshop am 21. Januar 2022 zur Deutsch-Südkoreanischen Zusammenarbeit

Das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) veranstaltet am Freitag, den 21. Januar 2022, von 9 bis 10:30 Uhr einen Onlineworkshop zum Thema „Deutsch-Südkoreanische Zusammenarbeit in angewandten Wissenschaften: Erfahrungen aus der Praxis“. Der Workshop richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter deutscher Hochschulen und wissenschaftlicher Einrichtungen, die sich über Potenziale und Herausforderungen in Bezug auf akademische Kooperationen austauschen wollen.