Für ein neues Miteinander
Anika Büssemeier
Die Schriftstellerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga engagiert sich für Freiheits- und Frauenrechte sowie politische Veränderung in Simbabwe.
Die DAAD-Alumna Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe ist Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels 2021. Wir trafen sie in Berlin zum Gespräch.
Frau Dangarembga, spätestens seit Sie den Friedenspreis 2021 erhalten haben, ist weithin bekannt, dass Sie drei außerordentliche Romane geschrieben haben. Nicht so bekannt ist, dass Sie auch Theaterstücke schreiben und Filme machen. Wie entscheiden Sie, welche künstlerische Ausdrucksform Sie nutzen?
Es war eigentlich keine bewusste Entscheidung, in verschiedenen Medien zu arbeiten. Es hat sich einfach so ergeben. Was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich Geschichten erzählen will. Und das mache ich in dem Medium, das mir zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung steht. Als ich zum Beispiel an der University of Zimbabwe studierte, war ich im Theaterclub; da war klar, dass ich Theaterstücke schreibe. Aber bald merkte ich, dass außerhalb der Universität wenig Theater stattfand. Darum habe ich mich auf Belletristik konzentriert. Als ich meinen ersten Roman beendet hatte, stellte ich fest, dass es schwierig ist, einen Verlag zu finden ...
… Sie haben vier Jahre auf die Antwort Ihres ersten Verlags gewartet.
Ich hoffe, so lange muss ich nicht noch einmal warten. Jedenfalls war das der Zeitpunkt, als ich mich dem Film zugewandt habe. Nachdem ich etwas Erfahrung in einer simbabwischen Produktionsfirma gesammelt hatte, entschied ich mich, Film zu studieren. So kam ich nach Berlin.
Sie haben an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert, gefördert durch den DAAD. Was hat diese Zeit für Ihre künstlerische Entwicklung bedeutet?
Die DAAD-Stipendien waren ganz entscheidend in meinem Leben. Ich habe sie immer zu einem Zeitpunkt erhalten, als ich eine Veränderung in meiner aktuellen Lebenssituation brauchte. Ich wusste: Wenn ich meine Integrität mir selbst gegenüber bewahren will, dann muss ich meinen eigenen Weg finden. Die Stipendien haben mir diesen Raum gegeben: die Welt anders zu sehen, mich mit anderen Menschen auszutauschen – Menschen, die ich sonst nie getroffen hätte. So konnte ich erfahren, dass es für mich etwas jenseits der Norm gab. Die Stipendien haben das ermöglicht und mich dadurch wesentlich geprägt.
„Die DAAD-Stipendien waren ganz entscheidend in meinem Leben“: Tsitsi Dangarembga, Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels 2021.
Der britischen Zeitung „The Guardian“ haben Sie einmal gesagt, dass Sie sich im Jahr 2000 entschieden haben, nach Simbabwe zurückzukehren, weil „zu der Zeit niemand in Deutschland an Schwarzen Erzählungen interessiert war“. Wie sieht es im Jahr 2021 aus?
Allgemein sehe ich Fortschritte – wir denken heute über Inklusion und Diversität in der Gesellschaft nach. Deutschland halte ich für ein Land, das sich besser mit diesen Themen auseinandersetzt als einige andere Länder. Deutschlands Umgang erscheint mir nuancierter und dort, wo Programme eingerichtet werden, werden sie auch so gut wie möglich umgesetzt. Mit „so gut wie möglich“ meine ich, dass auch Kritik angenommen wird.
Allerdings reicht die Bereitschaft zur Inklusion meist nicht über nationale Grenzen hinaus. Nur innerhalb dieser Grenzen setzen die Länder des Nordens Maßnahmen um, damit sich all ihre Bürgerinnen und Bürger zugehörig fühlen. Aber das muss auch auf globaler Ebene geschehen: Wir leben in einer Weltordnung, die durch westlichen Kolonialismus hergestellt wurde. Und Systeme der Unterdrückung und Aneignung passen sich den jeweils aktuellen Umständen an. Global betrachtet sind wir noch weit entfernt von Inklusion und einem Trend zu mehr Gerechtigkeit.
In Ihren Büchern spielt Ubuntu eine Rolle, eine Philosophie aus dem südlichen Afrika, die das Bewusstsein betont, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Auch in Ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises haben Sie Ubuntu thematisiert und mit europäischen Traditionen des Individualismus kontrastiert. Stark verkürzt: „Mir geht es gut, weil es dir gut geht“ statt „Ich denke, also bin ich“. Ist Ubuntu die Lösung für eine bessere, gerechtere Welt?
Nein, ich sage nicht, dass Ubuntu die Lösung ist. Sonst hätte es uns schon deutlich neue Wege aufgezeigt. Momentan haben wir eher eine romantische, hoffnungsvolle Beziehung zu Ubuntu. Aber wir müssen uns auch eingestehen, dass es ja einmal Gesellschaften gab, die nach dem Prinzip von Ubuntu strukturiert waren. Es gelang ihnen nicht, gegen äußere Herausforderungen zu bestehen. Diese Strukturen gibt es nun nicht mehr, und ob es uns gefällt oder nicht, wir können die Zeit nicht zurückdrehen.
Was wir aber tun können, ist, positive Aspekte zu identifizieren, um sie auf realistische Weise in die Zukunft zu tragen. Zum Beispiel das fundamentale Konzept, dass das „Ich“ nicht an die Stelle des „Wir“ treten kann. Im europäischen Denken seit der Aufklärung war aber genau das der Fall, die Bedeutung des „Ich“ wurde überhöht. Ich denke, dass Individualisierung auch ihre Berechtigung hatte, aber nun ist es wichtig, die Grenzen dieser Individualisierung zu überwinden, damit wir zu einer neuen Art von Gemeinschaft finden können. Es ist ein Prozess. Jedenfalls können wir nicht zu Philosophien zurückkehren, die auf anderen Etappen unserer Menschheitsreise einmal angemessen waren.
Interview: Judith Reker (25. Januar 2022). Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im LETTER Ausgabe 3/21.
Zur Person
Tsitsi Dangarembga studierte Psychologie an der University of Zimbabwe und Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Der DAAD förderte sie mit einem viermonatigen Kurzstipendium im Fach Psychologie und einem zweijährigen Stipendium im Fach Film und Fernsehen. Die Schriftstellerin und Filmemacherin engagiert sich für Freiheits- und Frauenrechte sowie politische Veränderung in Simbabwe. In ihrer preisgekrönten Romantrilogie „Aufbrechen“, „Verleugnen“ und „Überleben“ beschreibt Dangarembga am Beispiel einer heranwachsenden Frau den Kampf um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und weibliche Selbstbestimmung in Simbabwe.