Was kosten Studienvisa?

Lukas Klose

Internationale Studierendenmobilität ist global gesehen von großer Ungleichheit geprägt, sagt Prof. Dr. Emanuel Deutschmann.

Mit „DAAD Forschung kompakt“ bietet der DAAD eine Publikationsreihe, die aktuelle wissenschaftliche Befunde für die Hochschulpraxis verständlich und nutzbar machen soll. In der zweiten Ausgabe berichtet Dr. Emanuel Deutschmann, Juniorprofessor für Soziologische Theorie an der Europa-Universität Flensburg und Associate am Migration Policy Centre des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz, über seine global vergleichende Analyse zu den Kosten von Studienvisa.

Herr Deutschmann, Sie beschäftigen sich in Ihrer Analyse mit den Antragskosten für Studienvisa. Was war der Anlass für diese Untersuchung?
Die Analyse ist Teil eines größeren Forschungsprojekts, des Global Mobilities Project. Uns interessiert, wie Menschen weltweit über Ländergrenzen hinweg mobil sind und welche Hindernisse und Ungleichheiten es hierbei gibt. Eine wichtige Hürde für Auslandsreisen ist oft die Beantragung eines Visums. Man braucht dafür einen Reisepass und weitere Dokumente, muss oft den Weg zu einem Konsulat auf sich nehmen, und nicht zuletzt kostet ein Visum Geld. An diesem Punkt wollten wir mit unserem Projekt ansetzen und systematisch offenlegen, was die Beantragung eines Visums kostet, je nachdem, aus welchem Land man kommt und in welches Land man gehen möchte. Wir haben diese Daten für verschiedene Visakategorien gesammelt, unter anderem für Tourismus-, Business- und eben auch für Studienvisa.

Ein zentraler Befund Ihrer Analyse ist, dass es je nach Herkunftsregion der Studierenden massive Unterschiede zwischen den Kosten für Studienvisa gibt. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu erklären?
Die Unterschiede sind tatsächlich enorm: Studierende aus Afrika oder Asien zahlen teils mehr als das Doppelte für die Beantragung eines Studienvisums als Studierende aus Europa. Und noch größer ist die Ungleichheit, wenn man die unterschiedlichen Wohlstandsniveaus einbezieht. In Westeuropa entsprechen die Kosten für ein Studienvisum nur dem Bruchteil eines durchschnittlichen Tageseinkommens. In Zentralasien hingegen müsste man fast drei, in Subsahara-Afrika sogar mehr als fünf Wochen arbeiten, um ein Visum beantragen zu können. Für große Teile der Bevölkerung ist das nicht finanzierbar. Unsere Untersuchung von Tourismusvisa zeigt, dass es nicht die eine Erklärung für diese globalen Ungleichheiten gibt, sondern mehrere Mechanismen zusammenkommen: Es kann Staaten darum gehen, in internationalen Beziehungen Signale zu setzen (und z. B. als Zeichen freundschaftlicher Beziehungen Visagebühren selektiv abzuschaffen), darum, die Bearbeitungskosten von Visaanträgen wieder reinzuholen oder sogar Gewinne zu erwirtschaften, oder darum, nichtdemokratische Staaten zu sanktionieren. Kulturelle Nähe (gleiche Sprache, gleiche Religion) spielt ebenso eine Rolle, und auch Diskriminierung gegenüber ärmeren Ländern und Rassismus sind als Gründe nicht auszuschließen. Ich vermute, dass bei Studienvisa eine ähnliche Kombination unterschiedlicher Erklärungsmechanismen zusammenkommt. Aufgrund der etwas kleineren Fallzahl ist das aber schwerer nachzuweisen.

In Ihrem Beitrag bewerten Sie die aktuelle Situation bei den Visakosten sehr kritisch. Welche Änderungen wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Zunächst einmal ist uns in reichen Ländern wie Deutschland oft nicht bewusst, wie mächtig unsere Reisepässe sind. Da wir selbst kaum jemals ein Visum beantragen müssen, können wir uns nur schwer vorstellen, welche Hürden Menschen in anderen Teilen der Welt in den Weg gelegt werden. Toll gemachte Webseiten wie passportindex.org können dabei helfen, für diese globalen Ungleichheiten ein Gefühl zu bekommen. Aber natürlich ist es hauptsächlich ein strukturelles Problem, das nur durch institutionelle Veränderungen gelöst werden kann. Da die beschriebenen Ungleichheiten nicht nur für die betroffenen Studierenden ungerecht sind, sondern auch dazu führen, dass sich wertvolle Talente von Menschen aus dem Globalen Süden nicht entfalten können, würden aus meiner Sicht alle Seiten gewinnen, wenn Visakosten anders gestaltet würden. Eine Möglichkeit wäre, von Studierenden aus ärmeren Ländern geringere Gebühren zu verlangen ‒ also genau umgekehrt zum jetzigen System. Eine andere Lösung bestünde darin, ganz auf Gebühren für Studienvisa zu verzichten. Da Studierende eine verhältnismäßig kleine Gruppe von international Reisenden darstellen, dürften sich die finanziellen Einbußen für die Staaten in Grenzen halten. Und die Forschung zeigt, dass die Beseitigung von Visarestriktionen zu besseren Bewerbungen führt und dass Aufnahmeländer sogar dort finanziell von internationalen Studierenden profitieren, wo diese weitreichende staatliche Förderung erhalten. Eine Win-win-Situation also.

Interview: Dr. Jan Kercher (20. Januar 2022)