„Tapetenwechsel für neue Kontakte, Impulse und Perspektiven“
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. Thomas Zittel ist Inhaber des Max-Weber-Lehrstuhls. Dieser ist an das Center for European and Mediterranean Studies (CEMS) der New York University angebunden.
Als „ausgewiesenen Brückenbauer“ zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten lobt ihn DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee: Dr. Thomas Zittel, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, übernahm zum Wintersemester 2021/2022 den renommierten Max-Weber-Lehrstuhl an der New York University (NYU). Im Interview spricht Zittel über seine Post-Pandemiepläne an der NYU, die Bedeutung des Max-Weber-Lehrstuhls und seine persönliche Beziehung zu den USA.
Herr Professor Zittel, welche Situation erleben Sie gerade in New York – konnten Sie in diesem Wintersemester Ihre Studentinnen und Studenten schon persönlich treffen?
In der Lehre waren wir glücklicherweise nun erstmals wieder in Präsenz. Das ist eine mehr als willkommene Entwicklung für die Studierenden und hat meine Vermittlungsarbeit erheblich erleichtert. In der Organisation von Veranstaltungen mit externen Kolleginnen und Kollegen gibt es noch Einschränkungen. Hier mussten wir auf virtuelle Formate ausweichen.
Welche Themen deutscher und europäischer Politik stehen denn bei Ihnen auf der Agenda für die nächsten zwei Jahre?
Mich beschäftigen Fragen, die im Zusammenhang mit Demokratiequalität und Demokratieentwicklung stehen. Dabei geht es konkret einerseits um das sinkende Vertrauen, das der etablierten Politik von den Bürgerinnen und Bürgern entgegengebracht wird, und worin die Gründe dafür zu suchen sind. Andererseits interessiert mich die institutionelle Entwicklung von Demokratie im historischen und internationalen Vergleich und die damit verbundene Frage nach den Formen und Ursachen von Demokratiewandel.
Können Sie Ihren Forschungsaktivitäten derzeit in vollem Umfang nachgehen?
So gut es die Lage eben zulässt: Meine Forschung findet im Rahmen internationaler Netzwerke statt und ist stark mit laufenden Arbeiten an meiner Heimatinstitution verbunden, der Goethe-Universität Frankfurt. In diesen Zusammenhängen waren elektronische Kommunikationskanäle auch vor der Pandemie eine unverzichtbare Arbeitsbasis. Der ebenfalls wichtige persönliche Kontakt im Rahmen von Konferenzen, Workshops und Arbeitstreffen ist durch die Pandemie stark reduziert. In New York erschwert die Situation erste persönliche Begegnungen, die nicht in den elektronischen Raum verlagert werden können. Das erhoffte Abklingen der pandemischen Lage wird hier in Zukunft eine Vernetzung durch Workshops in New York und durch Kooperationen innerhalb der New York University wieder besser möglich machen.
Die NYU ist als Stadtcampus an unterschiedlichen Standorten in New York organisiert. Dadurch entsteht eine große Nähe zum Alltag in der Metropole.
Eine bedeutende Institution der New York University – und Teil Ihres Verantwortungsbereiches – ist das Deutsche Haus im Stadtteil Greenwich. Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie dort setzen?
Es ist so, dass das Deutsche Haus als eigenständiges Institut der Universität ein breites Sprachangebot in Verbindung mit einem kulturellen Programm anbietet. Als Inhaber der Max-Weber-Professur bin ich im Ideenaustausch mit der Direktorin, Juliane Camfield, und mit der zuständigen Mitarbeiterin für die kulturellen Veranstaltungen, Sarah Girner. Die Zusammenarbeit mit beiden ist sehr gut und eng. In meinem ersten Herbstsemester konnten wir bereits zwei Veranstaltungen zur Bundestagswahl 2021 und zur Kanzlerschaft Angela Merkels erfolgreich realisieren, aufgrund der Pandemie allerdings nur in einem digitalen Format. Für die geplanten Veranstaltungen im Frühjahr 2022 zum Thema der Politischen Kultur in Deutschland werden wir das genauso handhaben müssen.
Das ist schade.
In der Tat, da die Räumlichkeiten im Deutschen Haus wirklich sehr schön sind.
Herr Professor Zittel, was bedeutet der Max-Weber-Lehrstuhl für Sie persönlich hinsichtlich der Möglichkeiten für Forschung und Lehre?
Für mich persönlich bedeutet die Professur einen Tapetenwechsel, der mit neuen Perspektiven, Kontaktchancen und Möglichkeiten verbunden ist. Der vorübergehende Wechsel nach New York gibt mir außerdem neue Impulse für bestehende Strukturen und Aktivitäten, besonders durch den Kontakt mit amerikanischen und internationalen Studierenden. Am Ende geht es im Rahmen der Professur um die Vermittlung deutscher und europäischer Politik in einem Studienkontext, der sich doch sehr vom Regelbetrieb an deutschen Hochschulen unterscheidet.
Das klingt interessant. Was sind die größten Unterschiede?
Vor allem die kulturelle Vielfalt der Studierenden. Die ist an sehr guten amerikanischen Universitäten wie der NYU im Vergleich zu Deutschland größer. Hinzu kommt eine starke Identifikation der Studierenden mit der Hochschule. Die steht in Zusammenhang mit dem hohen Wettbewerbsgrad um Studienplätze und dem erfolgreichen „Branding“ der Spitzenuniversitäten. Die hervorragende Studienorganisation spielt dabei auch eine erhebliche Rolle, vor allem die sehr viel bessere Betreuungsrelation und die exzellente Organisation der Lehre.
Welche Bedeutung hat das Engagement des DAAD für den Max-Weber-Lehrstuhl?
Der DAAD ist hier in New York ein wichtiges Bindeglied zum deutschen politischen und gesellschaftlichen Kontext. Das bezieht viele Akteurinnen und Akteure mit ein, die entweder Teil der deutschen Politik oder an ihr interessiert sind. Die pandemische Situation hat leider vielen Aktivitäten Grenzen gesetzt. Ich bin aber sicher, dass eine Normalisierung der Lage 2022 auch zu der einen oder anderen konkreten Kooperation führen wird.
Was war der Keim Ihres Interesses an den USA?
Der Ursprung liegt tatsächlich in einem DAAD-Stipendium, welches mir ein Studienjahr an der Johns Hopkins University in Baltimore ermöglichte. Dort hatte ich das Glück, dass das Institut sehr gute, international sichtbare Fachvertreterinnen und -vertreter hatte und durch die Nähe zu Washington D.C. auch stark an die politische Praxis in der Hauptstadt angebunden war. Die Chance zur qualitativen Interviewforschung in Washington und die Teilhabe an den politischen Geschehnissen haben mich damals enorm inspiriert.
Und eine emotionale Bindung entstand auch …
Richtig. Die amerikanische Kultur der Eigenverantwortung hat mich eingenommen, auch die Vielfalt des Landes und die im europäischen Vergleich stärkere Gewichtung von Chancen im Abgleich zu vorhandenen Risiken.
Aktuelle politische Themen wie Versuche in einzelnen US-Bundesstaaten, den Wahlprozess gesetzlich zu verändern – sind das Themen, die auch in Ihren Untersuchungen jetzt und in Zukunft eine Rolle spielen?
Die Demokratieentwicklung stellt ein zentrales Thema in meiner Arbeit dar. Ich sehe die mehr als problematische Entwicklung in den USA mit Sorge. Aber die ist nicht auf die USA beschränkt und kann auch in Europa beobachtet werden. Das sollte uns daran erinnern, dass auch Rückentwicklungen der Demokratie möglich sind. Die Frage nach den Ursachen und dem Ausmaß dieses sogenannten “backsliding”, ist ein wichtiges Thema meiner Forschung und meiner Lehrveranstaltungen.
Torben Dietrich (8. Februar 2022)
Weitere Informationen
Der Max-Weber-Chair
Der nach dem deutschen Soziologen Max Weber benannte Lehrstuhl wurde 1994 vom DAAD und der New York University (NYU) ins Leben gerufen. Gemeinsam mit weiteren 19 German Studies-Dozenturen in Nordamerika ist er Teil der Nordamerika-Strategie des DAAD. Ziel ist es, deutsche und europäische Themen sowie theoretische und methodische Ansätze mit Deutschlandbezug im Lehrprogramm führender nordamerikanischer Hochschulen zu stärken. Seit dem Auslaufen der zehnjährigen DAAD-Förderung wird der Lehrstuhl durch das Stiftungsvermögen der NYU finanziert; die Organisation des Ausschreibungs- und Auswahlverfahrens liegt weiterhin beim DAAD. Vor Prof. Dr. Thomas Zittel hatten unter anderem bereits Prof. Dr. Claus Leggewie, Prof. Dr. Detlef Pollack, Prof. Dr. Christiane Lemke-Dämpfling und zuletzt Prof. Dr. Christian Martin den Lehrstuhl inne.