Deutsch-norwegisches Erfolgsmodell auf See
Hochschule Emden/Leer
Studierende im Labor der Hochschule Emden/Leer bei der Ausbildung am Simulator, zum Beispiel mittels elektronischer Seekarten.
Die Hochschule Emden/Leer und die Western Norway University of Applied Sciences in Haugesund, Norwegen, haben vor fünf Jahren den gemeinsamen internationalen Masterstudiengang mit Doppelabschluss „Maritime Operations“ gegründet. Unterstützt wird die Umsetzung durch eine Förderung des DAAD im Rahmen des Programms „Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss“. Das außergewöhnliche Studienfach erfreut sich großer Beliebtheit und zieht Studierende aus aller Welt an.
Eine Reise vom niedersächsischen Leer in Ostfriesland nach Haugesund, einer Handelsstadt an der Küste Norwegens, ist nicht einfach: Entweder geht es mit dem Flugzeug von Hamburg über Kopenhagen nach Oslo und nach Haugesund, oder man gelangt mit der Bahn nach mehrmaligem Umsteigen ans Ziel. Im Sommer lässt sich auch die Fähre vom dänischen Hirtshals nach Kristiansand oder Stavanger in Norwegen nehmen und dann ein Bus. Unabhängig vom Verkehrsmittel dauert der Trip in jedem Fall einen ganzen Tag. Doch das hinderte die Hochschule Emden/Leer und die Western Norway University of Applied Sciences vor fünf Jahren nicht daran, den außergewöhnlichen Masterstudiengang „Maritime Operations“ an den Standorten Leer und Haugesund zu etablieren.
Beide Hochschulen sind bekannt für ihre maritime Ausbildung und ihre enge Verbindung zur maritimen Industrie. Der viersemestrige Studiengang verknüpft die jeweiligen Profile in idealer Weise miteinander: „Als Hochschule mit dem Schwerpunkt nachhaltige Schifffahrt bringen wir unsere Erfahrungen im Bereich Green Shipping ein, bei dem wir das neue Maritime Technikum mit modernster Ausstattung nutzen. Dazu gehören unter anderem ein Schlepptank, ein Windkanal, eine Strömungsrinne und ein Labor für Schiffsakustik“, sagt der Dekan Prof. Dr. Marcus Bentin von der Hochschule Emden/Leer. Haugesund bringe Erfahrungen aus dem Schifffahrtsbusiness im Bereich Öl und Gas sowie aus der Versorgung von Plattformen im Offshore-Geschäft mit ein. Das erste Semester startet für alle Studierenden in Haugesund, wo die Grundlagen für das wissenschaftliche Arbeiten, zum Beispiel auf dem Gebiet der Schiffssicherheit, gelegt werden. Im zweiten Semester in Leer stehen Themen wie operatives Schiffsmanagement, Schiffstechnologie sowie Forschung und Simulationsversuche zur Strömungsmechanik auf dem Studienplan. Ab dem dritten Semester müssen sich die Studierenden spezialisieren – entweder in Leer in Richtung nachhaltiges maritimes Management oder in Haugesund auf dem Gebiet operativer Vorgänge wie etwa der Planung und Durchführung von Offshore-Prozessen mit der abschließenden Masterarbeit im vierten Semester. Die Förderung des DAAD in Form von Mobilitäts- und Aufenthaltsstipendien für Studierende setzt einen zusätzlichen Anreiz.
Ein Team, zwei Hochschulen: Studiengangskoordinatorin Wenke Meyer und Prof. Dr. Marcus Bentin von der Hochschule Emden/Leer mit Johanne Marie Trovåg, Leiterin des Departments Maritime Studies an der Western Norway University of Applied Sciences (v. l.).
Maritimes Geschäft braucht internationalen Studiengang
Bei den Studierenden stößt das Angebot, das auf einen Numerus Clausus verzichtet, auf große Resonanz. „Zwischen 200 und 300 Bewerbungen erreichen uns jedes Jahr“, sagt Wenke Meyer, Koordinatorin des Studiengangs an der Hochschule Emden/Leer. Zunächst ausgerichtet für 25 Studierende, startete der Doppelstudiengang im Wintersemester 2017/2018 mit 19 Erstsemestern, zuletzt schrieben sich 2021/2022 rund 70 Studierende ein. Das Besondere dabei: Die meisten sind internationale Studierende, etwa aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Nigeria oder Brasilien. Das sei der Grund gewesen, warum man sich in Leer um einen Doppelstudiengang bemüht habe, sagt Marcus Bentin. „Das maritime Geschäft ist international – egal, ob in der Logistik, im Schiffsbau, in der Meerestechnik oder der Offshore-Windenergie. Deshalb braucht es auch einen internationalen Studiengang, der dann erfolgreich wird, wenn sich internationale Partner zusammentun und sich Studierende rund um den Globus dafür interessieren.“ Der Professor für Schiffstechnik denkt dabei auch zurück an seine eigene Promotion an der japanischen Universität Hiroshima: „Dort kam eine interessante Forschungsgemeinschaft aus aller Welt zusammen; genauso habe ich mir das auch immer für den Master hier bei uns vorgestellt.“
Doch die unterschiedliche Herkunft der Studierendenschaft bringt auch immer wieder Herausforderungen mit sich. „Für Studierende aus Nicht-EU-Staaten kann es schwierig sein, ein Visum zu bekommen und das Sperrkonto für den Finanzierungsnachweis des Studiums einzurichten. Deswegen wissen wir nie mit letzter Sicherheit, wie viele das Studium tatsächlich antreten werden“, sagt Wenke Meyer. Manche formellen Studienvoraussetzungen seien schwierig zu prüfen: Sind die Englischkenntnisse der Bewerberinnen und Bewerber ausreichend? Passt der vorhergehende Bachelorabschluss zum Masterprogramm? Ist die Hochschule, an der der Bachelorabschluss erworben wurde, akkreditiert? Die Überprüfung der Studienvoraussetzungen übernimmt die Western Norway University of Applied Sciences, da die Studierenden dort das erste Semester antreten. Bleiben Unklarheiten, entscheidet eine gemeinsame Auswahlkommission beider Hochschulen über die Studienaufnahme.
Der Kontakt zwischen den beiden Institutionen ist ohnehin eng. „Unser Joint Master ist ein gemeinsam durchgeführter Studiengang, bei dem den Absolventinnen und Absolventen ein gemeinsames Abschlusszeugnis ausgehändigt wird. Das bedarf einer stetigen Zusammenarbeit“, sagt Meyer. Dabei sind die Rahmenbedingungen an den Hochschulen zum Teil sehr unterschiedlich. So müssen etwa die norwegischen Lehrkräfte weniger Semesterwochenstunden anbieten als die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Bei den Lehrinhalten gibt es hierzulande mehr Präsenzunterricht als in Haugesund, und während auf deutscher Seite jeder Studiengang eine eigene Prüfungsordnung hat, gilt am norwegischen Hochschulstandort nur eine für alle Studiengänge.
Im neuen Maritimen Technikum der Hochschule Emden/Leer stehen den Forschenden unter anderem ein Windkanal, ein Schlepptank sowie ein Labor für Schiffsakustik zur Verfügung.
Enge Zusammenarbeit
Dennoch bremsen diese Unterschiede den gemeinsamen Studiengang nicht aus – im Gegenteil. Der norwegische Partner in Haugesund ist voll des Lobes über die Kooperation mit der Hochschule Emden/Leer und erinnert an die Anfänge. „Schon die ersten Gespräche waren positiv, als Marcus Bentin über ein Erasmus-Stipendium für Gastdozenturen zu uns kam“, erinnert sich Johanne Marie Trovåg, Leiterin des Departments Maritime Studies. Die Phase von der Idee bis zur Genehmigung des Programms sei aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen den beiden Einrichtungen mit 1,5 Jahren erstaunlich kurz gewesen. „Diese Kooperation hat sich im Laufe der Jahre verstärkt, wir kommunizieren als eine Einheit“, konstatiert sie. Auch von deutscher Seite zieht man eine erfolgreiche Zwischenbilanz. „Es gibt in Niedersachsen nicht viele Joint-Master-Programme, und dieser hier hat ein außergewöhnliches Thema. Wir haben viel Herzblut und Zeit investiert, die in meinem Fall sicherlich nicht durch meine W2-Professur abgedeckt ist“, sagt Bentin.
Die Mühen haben sich gelohnt: Das binationale Studium erfreut sich zunehmender Beliebtheit, die Zahl der Studierenden wächst. Auch deren Jobaussichten sind gut: Weil die EU mit dem Green Deal den Ausstoß von CO2 in der Schifffahrt um mindestens 50 Prozent reduzieren möchte, steht die weltweite Handelsflotte vor dem Umbau – die Absolventinnen und Absolventen des deutsch-norwegischen Joint-Master-Programms könnten ihren Teil zu einer erfolgreichen Umsetzung beitragen.
Benjamin Haerdle (29. März 2022)
Weiterführende Links
Der Masterstudiengang „Maritime Operations“ mit Doppelabschluss erhält seit 2017 eine Förderung des DAAD im Rahmen des Programms „Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss“. Diese ermöglicht es der Hochschule Emden/Leer, ihre Studierenden aus dem Joint Master mit einem Mobilitäts- und Aufenthaltsstipendium für den Aufenthalt in Norwegen auszustatten sowie unter anderem Sprachkurse und anteilige Personalkosten für die Betreuung des Studiengangs zu finanzieren.