„Der enge Schulterschluss mit Frankreich ist wichtiger denn je“

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Nach der Wahl in Frankreich: Was bedeutet die erneute Präsidentschaft von Emmanuel Macron für die Hochschulen im Land?

Frankreich hat gewählt: Emmanuel Macron ist der neue alte Präsident. Christiane Schmeken, Abteilungsdirektorin Strategie im DAAD und von 2012 bis 2017 Leiterin der DAAD-Außenstelle Paris, erklärt im Interview, was an den diesjährigen Wahlen anders war und was die zweite Amtszeit Macrons für die Zusammenarbeit mit dem Nachbarland bedeutet.

Das Ergebnis der Stichwahl zwischen dem liberalen Präsidentschaftskandidaten und Amtsinhaber Emmanuel Macron und seiner rechtspopulistischen Konkurrentin Marine Le Pen wurde auch von Deutschland aus mit viel Hoffen und Bangen erwartet. Wie haben Sie das empfunden im Vergleich zu den letzten Stichwahlen, die Sie damals vor Ort miterlebt haben?
In meiner Zeit in Frankreich hatte ich das Privileg, gleich zwei Präsidentschaftswahlen vor Ort mitzuerleben. 2012 war Marine Le Pen als drittstärkste Kandidatin im ersten Wahlgang mit 17,9 Prozent der Stimmen deutlich abgeschlagen hinter dem sozialistischen Wahlsieger François Hollande (29 Prozent) und dessen Gegenspieler Nicolas Sarkozy (27,2 Prozent). Auch wenn die Öffentlichkeit sich damals schockiert zeigte, dass die Rechtsaußen-Politikerin auf Platz drei gelandet war, gelang es Le Pen, mit der Präsidentschaftswahl 2017 zur Zweitplatzierten aufzusteigen. Im ersten Wahlgang lag der Kandidat der neugegründeten liberalen Bewegung „La République en marche“, Emmanuel Macron, mit 24 Prozent der Stimmen gerade einmal drei Prozent vor Le Pen. Im zweiten Wahlgang stimmten dagegen fast 66 Prozent der Wähler für Macron und stellten damit unter Beweis, dass sie keine Rechtsaußenkandidatin als Präsidentin wünschten.

Das Besondere bei dieser Stichwahl war, dass die traditionellen französischen Parteien – Sozialisten wie Konservative – nicht mehr im Spitzenfeld vertreten waren. 2022 war einerseits eine Art Wiederholung von 2017, bei der sich erneut die selben Protagonisten gegenüberstanden, aber auch ganz anders, weil es sich nun um den Wettstreit zwischen Amtsinhaber und Herausfordererin handelte. Überraschend ist, dass Marine Le Pen im ersten Wahlgang deutlicher als 2017 hinter Emmanuel Macron lag, nicht aber im zweiten Wahlgang. Der amtierende Präsident schlug seine Gegenkandidatin mit 58,5 Prozent weitaus weniger klar als 2017. Viele sehen hierin den Beweis, dass sich die französische Öffentlichkeit zunehmend eine rechtspopulistische Führung vorstellen kann. Vielleicht liegt das schwächere Abschneiden von Emmanuel Macron aber auch einfach darin begründet, dass sein Stern nach einer ersten, über weite Strecken schwierigen Amtszeit gesunken ist.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass in der Stichwahl kein Kandidat oder keine Kandidatin für die weiterhin starke linke Strömung in der Bevölkerung stand. Die fast 22 Prozent Wählerinnen und Wähler, die für den Altlinken Jean-Luc Mélenchon stimmten, haben es in Teilen offensichtlich vorgezogen, nicht zu wählen. Dies spiegelt sich auch in der rekordverdächtigen Zahl der Enthaltungen. Unterm Strich denke ich, dass die Angst vor einem Wahlsieg von Le Pen in Deutschland größer war als in Frankreich. Auch wenn die Rechte unübersehbar erstarkt und Marine Le Pen ihr Image geschickt aufpoliert, geht es den meisten Menschen in Frankreich nach wie vor darum, der politischen Elite einen Denkzettel zu verpassen, und nicht darum, eine ausländerfeindliche, antieuropäische Regierung an die Macht zu bringen.

Internationalisierung, Interdisziplinarität und Digitalisierung verknüpfen

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Frankreich-Expertin Christiane Schmeken leitete von 2012 bis 2017 die DAAD-Außenstelle Paris. Heute ist sie Direktorin Strategie im DAAD.

Emmanuel Macron übernimmt das Präsidentenamt für weitere fünf Jahre. In der Hochschulpolitik hat er einige Akzente gesetzt, beispielsweise durch seinen Impuls zur Gründung von Europäischen Hochschulen. Inwieweit ist in seiner zweiten Amtszeit Kontinuität zu erwarten?
Unter den Präsidentschaftskandidaten war Macron der einzige, der in seinem Programm überhaupt ernstzunehmende Ideen zur Zukunft der Hochschulen und der Wissenschaft entwickelt hat. Insofern ist der Wahlausgang aus meiner Sicht ein gutes Omen für die Zukunft des Hochschulsektors – auch wenn gerade die Lehrenden an Schule und Hochschule in Frankreich überwiegend links stehen und dies vielleicht anders sehen mögen. Eingebettet ist das Engagement des französischen Präsidenten für Bildungsfragen immer in sein allgemeines Bekenntnis zu Europa und zur internationalen Zusammenarbeit. Die Idee der Europäischen Hochschulen, die Macron 2017 mit seiner berühmten Rede an der Sorbonne aufbrachte, meint genau dies: das Primat des Netzwerkens, des Verhandelns und des Multilateralismus in einer zunehmend globalisierten Welt. Aus seiner Sicht ist es eine zentrale Aufgabe des Bildungssystems, diese Fähigkeiten und diese Haltung den jungen Generationen zu vermitteln. Dahinter steht zugleich die Überzeugung, dass die übergreifenden Herausforderungen anders nicht zu bewältigen sind.

Exemplarisch zeigt dies seine zweite herausragende Hochschulinitiave „Make our planet great again“. Damit reagierte Macron auf den Ausstieg des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen. Die Einladung des französischen Präsidenten richtete sich an alle Klimaforscherinnen und -forscher weltweit, denen er die Fortsetzung ihrer Tätigkeit in Frankreich anbot. „Make our planet great again“ war insofern typisch für Macrons Politik, als zum einen der französische Anspruch zum Ausdruck kam, in der oberen Liga mitzuspielen, zum anderen die Bereitschaft, auf Chancen schnell und mit mutigen Konzepten zu reagieren, und schließlich die feste Überzeugung, dass Deutschland und Frankreich in Europa nur gemeinsam die Dinge voranbringen können. Letzeres hat dazu geführt, dass die Initiative auch in Deutschland gestartet wurde, als Programm des DAAD.

Wo birgt Macrons nächste Amtszeit aus Ihrer Sicht Veränderungspotenzial zu früheren „quinquennats“ und was bedeutet das für die Arbeit des DAAD?
Präsident Macron hat noch in der Wahlnacht mitgeteilt, dass er eine „kollektive Erneuerung der Politik“ anstrebe. Sein Ziel sei es, in den kommenden Wochen diejenigen von seinem Projekt zu überzeugen, die den Urnen ferngeblieben seien. Die nächsten Jahre würden nicht leicht werden, müssten aber entschieden und mutig gestaltet werden, im Interesse der künftigen Generationen. Diese Sätze wurden ohne Zweifel auch mit Blick auf die anstehenden „Législatives“, die Parlamentswahlen im Juni, formuliert. Sie werden darüber entscheiden, wie komfortabel der neugewählte Präsident sein Programm umsetzen kann.

Sicher erscheint ferner, dass Europa weiterhin ein Eckpfeiler der französischen Politik sein wird. Dies ist gerade in der aktuellen angespannten politischen Situation ein echter Glücksfall – für Frankreich, Deutschland, aber auch etwa für die Ukraine. Aus Sicht des DAAD ist dieses klare Bekenntnis zu Europa sehr positiv zu bewerten: Gerade in dieser volatilen Zeit nach dem Brexit und mit einem russischen Angriffskrieg mitten in Europa ist der enge Schulterschluss mit Frankreich wichtiger denn je. Initiativen wie die Europäischen Hochschulen oder „Make our planet great again“ sollten wir auch in Zukunft aufnehmen und mittragen. Etwas mehr deutsche Eigeninitiative für gemeinsame Projekte könnte dabei nicht schaden, in der Hochschulkooperation wie in anderen Politikfeldern. Auch im Bereich der „Science Diplomacy“ ist es gut zu wissen, dass wir mit unseren französischen Partnern an einem Strang ziehen. Hier sollte ebenfalls ein stärkeres gemeinsames Auftreten auf dem internationalen Parkett angestrebt werden. So wie es vor zwanzig Jahren die Initiative gab, den Hochschul- und Forschungsstandort Europa gemeinsam zu bewerben, könnte in Zukunft eine wertebasierte Außenwissenschaftspolitik im deutsch-französischen Schulterschluss vertreten werden. Zum Glück haben wir über viele Jahrzehnte die akademischen Kontakte und Bindungen aufgebaut, die es braucht, um eine solche Initiative argumentativ zu untermauern.

(5. Mai 2022)