DAAD-Jahresbericht 2021: Wissenschaftliche Kooperation in Zeiten der „Verkrisung“
DAAD
Die Pandemie, der Klimawandel sowie politische Konflikte prägten im vergangenen Jahr auch die global vernetzte akademische Welt. Um die internationale Zusammenarbeit gerade in Krisenzeiten zu stärken, wirbt der DAAD für eine neue „Science Policy“ und unterstützt intensiv den Ausbau des virtuellen Austauschs. Auch die Zahl der DAAD-Geförderten nahm 2021 wieder kräftig zu.
Das zweite Coronajahr, die Sorge ums Weltklima, geopolitische Zuspitzungen von Afghanistan über EU-interne Spannungen bis zum russischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine: 2021 stand im Zeichen von Ereignissen, die man als zunehmende „Verkrisung“ bezeichnen könnte. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund veröffentlichte der DAAD im Oktober 2021 ein außenwissenschaftliches Grundsatzpapier mit dem Titel „Mehr Verantwortung wagen in einer global vernetzten Welt“, das den wachsenden Stellenwert einer „Science Diplomacy“ unterstreicht – und das durch Russlands Überfall auf die Ukraine nochmals dramatisch an Aktualität gewonnen hat. „Zu einer Außenwissenschafts-Realpolitik gehört, den Austausch mit denjenigen Partnerinnen und Partnern zu intensivieren, von denen wir wissen, dass sie auf demselben demokratischen Wertefundament wie wir agieren“, sagt DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.
DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.
Fortschreitende Digitalisierung und Vielfalt
Trotz krisenhafter Entwicklungen und ungewisser Zukunft: Der Rückblick auf das vergangene Jahr lässt aus Sicht des DAAD auch erfreuliche Entwicklungen erkennen. So zeigten die steigenden Zahlen internationaler Studierender zum Wintersemester 2021/2022, dass Corona einen Einbruch, nicht aber einen Negativtrend hervorgerufen hat. Auch die Zahl der vom DAAD Geförderten wuchs kräftig: Mit fast 135.000 Promovierenden, Studierenden, Praktikantinnen und Praktikanten wurden etwa 24.000 Personen mehr unterstützt als 2020.
Generell entwickelt sich der virtuelle Raum für den DAAD zu einer zentralen Säule seiner Arbeit, denn er ermöglicht es, den wissenschaftlichen Austausch trotz pandemiebedingter Mobilitätseinschränkungen erfolgreich zu gestalten. Darüber hinaus bekennt sich der DAAD zu Diversität und Chancengerechtigkeit. „Wir möchten die Menschen in ihrer ganzen Vielfalt fördern und Chancen eröffnen. So versuchen wir zum Beispiel, durch eine noch bessere Ansprache auch solche Gruppen von Studierenden zum Auslandsaufenthalt zu bewegen, die diese Chancen oft nicht wahrnehmen. Wir wollen es aber nicht bei der Ansprache belassen, sondern auch finanzielle Anreize setzen. Dazu gehören etwa Studierende, die erwerbstätig sind oder deren Eltern nicht studiert haben sowie Studierende mit Kindern oder einer körperlichen Beeinträchtigung“, sagt DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks.
DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks.
Auf mehr Inklusion setzt auch die mit einem auf rund 28 Milliarden Euro verdoppelten Gesamtbudget (bis 2027) gestartete neue Programmgeneration Erasmus+. Ein Schritt in diese Richtung ist die Verkürzung der Mindestdauer für Studienaufenthalte von drei auf zwei Monate. Für wen diese Aufenthaltsdauer aus unterschiedlichen Gründen noch zu lang ist, bleibt die Möglichkeit der Kurzzeitaufenthalte von fünf bis 30 Tagen in Kombination mit
verpflichtenden virtuellen Elementen. Auch der finanzielle Spielraum des neuen Erasmus+ Budgets wurde genutzt, um spezielle Förderungen für Menschen mit geringeren Chancen umzusetzen.
Neue Förderprogramme
Als Erfolg darf schließlich auch der Start einer ganzen Reihe attraktiver DAAD-Programme und neuer Initiativen gewertet werden. Eine davon ist die Förderung von acht Globalen Zentren – je vier für Klima und Umwelt sowie für Gesundheit und Pandemievorsorge – in Ländern des globalen Südens. Denn die Zeit drängt: Ob beim Klimaschutz oder bei der Pandemiebekämpfung: Internationale Kooperation ist mehr denn je gefragt – und die schnelle Umsetzung neuer Ideen geboten. Besonderes Augenmerk liegt bei der Förderung der Globalen Zentren darauf, dass diese sich fächerübergreifend und auch außerhalb des Hochschulbereichs vernetzen, um den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu intensivieren. Partner jedes Zentrums ist jeweils eine deutsche Hochschule, die eng mit weiteren deutschen wie internationalen Institutionen zusammenarbeitet.
Ein weiteres Programm zielt gleichfalls auf eine neue Qualität strategischer Vernetzungsarbeit: Die Konrad Zuse Schools of Excellence in Artificial Intelligence sollen mit hochschulübergreifenden Lehr- und Lernformaten für herausragenden Nachwuchs in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI) sorgen. Im Rahmen des Programms, das nach Computerpionier Konrad Zuse (1910–1995) benannt wurde, wurden kürzlich drei Zentren für eine forschungsbasierte Ausbildung auf Master- und Promotionsebene ausgewählt: Die Konrad Zuse School of Excellence in Learning and Intelligent Systems (ELIZA) wird von der Technischen Universität Darmstadt getragen und befasst sich mit Maschinellem Lernen und Intelligenten Systemen. Die Konrad Zuse School of Excellence in Embedded Composite Artificial Intelligence (SECAI) an der TU Dresden forscht schwerpunktmäßig zur Kombination von Algorithmen und Elektronik (Embedded AI) sowie zur Integration von komplementären KI-Methoden (Composite AI). Und die Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI (relAI) der TU München widmet sich der vermeintlichen „Zuverlässigkeit“ von KI-Technologien, die bisher in Teilen als problematisch und zu unentwickelt gelten.
Stipendien für politisch Verfolgte, Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte
Den gesellschaftspolitischen Zuspitzungen weltweit will der DAAD mit einer speziellen Initiative begegnen: Das Hilde Domin-Programm des DAAD ermöglicht Studierenden und Promovierenden, die in anderen Ländern politisch verfolgt oder diskriminiert werden, in Deutschland in einem akademischen Schutzraum ohne Angst vor Repressalien zu studieren oder ihre Forschung voranzutreiben. Namenspatin der im April 2021 gestarteten Initiative ist die jüdische Schriftstellerin Hilde Domin (1909–2006), die vor den Nationalsozialisten fliehen musste, später aber nach Deutschland zurückkehrte. 2021 hat der DAAD 50 Stipendien vergeben, insgesamt sollen es mehr als 200 werden.
Besondere Erwähnung verdient schließlich auch German Colonial Rule, ein neues Programm zur Erforschung deutscher Kolonialgeschichte. Kamerun, Namibia, Tansania, Papua-Neuguinea – das sind nur einige Länder mit deutscher Kolonialvergangenheit. Obwohl die Ereignisse bis zum Ersten Weltkrieg in diesen Nationen bis heute tiefe Spuren hinterlassen, dringen sie hierzulande nur langsam ins Bewusstsein und sind noch wenig erforscht. Das Stipendienprogramm fördert neun Promovierende der Geschichts-, Politik- und Kulturwissenschaften aus den ehemals deutschen Kolonialgebieten. Im Fokus ihrer Arbeiten stehen das politische Handeln der Verantwortlichen im deutschen Kaiserreich sowie die vielfältigen Auswirkungen auf die betroffenen Länder.
Vor dem Hintergrund der Debatten um wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Kontext etwa mit Corona oder dem Klimawandel den gesellschaftlichen Meinungsaustauch heute viel stärker prägen als noch vor wenigen Jahren, wird schließlich auch das Thema Wissenschaftskommunikation immer wichtiger. Der DAAD reagiert darauf mit speziellen Fortbildungen für seine Alumnae und Alumni. Und er will die Ergebnisse geförderter Projekte künftig mehr publik machen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, was Forscherinnen und Forscher mit einer Förderung durch den DAAD weltweit bewegen.
Frank Giese (1. Juni 2022)