Neue Chancen für Hochschulkooperationen in Vietnam
Anna ART - stock.adobe.com
Der wirtschaftliche Aufschwung Vietnams zeigt sich auch in der Metropole Hanoi im Norden des Landes. Hier befinden sich viele Hochschulen und die DAAD-Außenstelle.
Die Regierung in Vietnam forciert die Autonomiebemühungen und die Internationalisierung der Hochschulen. Deutschlands Hochschulen genießen vor Ort aufgrund der langjährigen deutsch-vietnamesischen Zusammenarbeit und der wissenschaftlichen Leistungsstärke einen guten Ruf. Über Chancen und Potenziale einer binationalen Partnerschaft informiert ein DAAD-Workshop.
China, Indien, Japan – hinter diesen Nationen hatte es Vietnam lange schwer, sich als international gefragter Hochschul- und Wissenschaftsstandort in Asien in Szene zu setzen. Doch die Zeiten haben sich geändert. „Wir stellen fest, dass das Interesse deutscher Hochschulen an Partnern in Vietnam kontinuierlich zunimmt“, sagt Stefan Hase-Bergen, DAAD-Außenstellenleiter in der Hauptstadt Hanoi. Gründe für die zunehmende Attraktivität gibt es einige: „Die Hochschulen in Vietnam stecken mitten in einem Reformprozess. Früher glichen sie eher bürokratischen Lehranstalten, die sehr theorielastig Wissen vermittelten. Mittlerweile spielt die Forschung eine deutlich wichtigere Rolle, der Praxisbezug erhält mehr Bedeutung“, sagt Hase-Bergen. Hinzu käme, dass die Politik und damit das zuständige „Ministry of Education and Training“ den Hochschulen einerseits mehr Freiräume ermöglicht, andererseits aber auch auf mehr Qualität achtet: So sind die Hochschulen zum Beispiel per Gesetz zur Akkreditierung der Studiengänge verpflichtet. „Insgesamt können die Hochschulen heute deutlich autonomer agieren als noch vor ein einigen Jahren“, bilanziert der Außenstellenleiter.
Stefan Hase-Bergen leitet seit fünf Jahren die DAAD-Außenstelle in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi.
Vietnam setzt auf Internationalisierung
Hintergrund der staatlichen Reformbemühungen ist, dass die Regierung Vietnam in Richtung wissensbasierter Industriegesellschaft entwickeln möchte. Dafür braucht sie Fachkräfte, die den neuen Anforderungen der Industrie 4.0 genügen. Parallel setzt das Land auf Internationalisierung. „Da man nicht in zu starke Abhängigkeit vom großen Nachbarn China geraten will, sucht Vietnam den globalen Austausch mit vielen Staaten“, erklärt Hase-Bergen. Für all das benötige das Land gute Bildungsmöglichkeiten sowie erfolgreiche Forschung und Innovation. Von diesen Ansprüchen profitiert das vietnamesische Hochschulwesen: Seit Beginn der 1990er Jahre wurden zwei Nationaluniversitäten in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sowie drei Regionaluniversitäten in Thai Nguyen, Hue und Danang aufgebaut. Die Hanoi University of Science and Technology hat sich mittlerweile als Flaggschiff exzellenter Technologieentwicklung etabliert und die 2008 in Ho-Chi-Minh-Stadt gegründete Vietnamesisch-Deutsche Universität bietet Bachelor- und Master-Studiengänge sowie eine Doktorandenausbildung in technischen, naturwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern nach deutschem Vorbild an. Zudem tauchen in jüngster Vergangenheit immer häufiger vietnamesische Universitäten in internationalen Hochschulrankings auf. So lagen zum Beispiel im aktuellen Ranking Times Higher Education World University erstmals gleich zwei Hochschulen aus Vietnam auf den Plätzen 400 bis 500: die 1997 gegründete Ton Duc Thang University in Ho-Chi-Minh-Stadt und die private Duy Tan University in Da Nang in Zentralvietnam.
Praxisorientierte Studiengänge sind besonders gefragt
Der gestiegene Anspruch des Landes, insbesondere Bachelor-Studierende gezielter für den Arbeitsmarkt auszubilden, bietet den deutschen Hochschulen gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Das gilt vor allem auch für Südvietnam. „Die Bevölkerung im Süden Vietnams ist aufgrund der historischen Vergangenheit schon immer sehr offen und weltläufig gewesen. Die Menschen hier sind Internationalität gewohnt“, sagt Dr. Berndt Tilp, der das DAAD-Informationszentrum (IC) in Ho-Chi-Minh-Stadt leitete. Das IC wird Ende 2022 im Zuge einer Umstrukturierung des globalen Netzwerkes des DAAD geschlossen. Die DAAD-Außenstelle wird nun für ganz Vietnam zuständig sein. „Dafür werden wir eine neue Struktur aufbauen, um im Süden Vietnams und vor allem im wichtigen Hochschulstandort Ho-Chi-Minh-Stadt auch weiterhin gut aufgestellt zu sein“, sagt Hase-Bergen.
Doch auch andere Faktoren machen den Süden Vietnams interessant für deutsche Hochschulen. So zeichnet sich die Region durch eine starke Industriepräsenz aus. Firmen wie Siemens, Bosch und Schaeffler haben hier ihre Standorte. Dazu kommen sehr gut aufgestellte Hochschulen wie die Ho Chi Minh University of Technology, die Ton Duc Thang University in Ho-Chi-Minh-Stadt oder etwa die An Giang University in Long Xuyen mit einem Schwerpunkt in den Agrarwissenschaften. Dies alles macht den Süden attraktiv für Kooperationen mit deutschen Partnern – nicht nur mit forschungsstarken Universitäten, sondern auch mit Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), etwa in den Natur-, Wirtschafts- und den Ingenieurwissenschaften. „Die HAW bieten mit ihren praxisorientierten Studiengängen genau das an, was der vietnamesische Arbeitsmarkt braucht“, sagt Tilp. Hinzu komme, dass der Praxisbezug ziemlich gut die Ansprüche vieler lernwilliger junger Menschen trifft. „Das Studium als solches ist nicht so oft die Hauptmotivation, sondern es geht für potenzielle Studierende mehr um die Frage, wie man mit den an einer Hochschule erworbenen Kenntnissen eine erfolgreiche berufliche Karriere in der Wirtschaft machen kann“, sagt er. Wesentlich sei für die Studierenden, dass der Abschluss international anerkannt sei und er eine erfolgreiche Integration in den vietnamesischen, aber auch den internationalen Arbeitsmarkt ermögliche.
Dr. Berndt Tilp, Leiter des DAAD-Informationszentrums in Ho-Chi-Minh-Stadt, übergibt die Aufgaben an die DAAD-Außenstelle in Hanoi.
Workshop „KIWi Connect Vietnam – Gute Potenziale eines sich rasch entwickelnden Hochschulmarktes“
Welche Chancen der vietnamesische Hochschulmarkt und eine Zusammenarbeit mit Vietnam bieten, zeigt auch ein Onlineworkshop auf, den das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) am 23. Juni 2022 veranstaltet. Dass sich ein solcher Schritt lohnen könnte, erkennen auch immer mehr Hochschulen, wie der Blick auf die Statistik verrät: So hat sich die Zahl der deutsch-vietnamesischen Hochschulkooperationen der Hochschulrektorenkonferenz zufolge in den vergangenen zehn Jahren auf mehr als 170 verdreifacht. Beispielsweise tauschen die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und die Hanoi University of Science and Technology Studierende und Lehrende im Bereich „Internet Communications Engineering” aus. Die TH Köln kooperiert seit mehreren Jahren auf dem Gebiet der Wasserressourcen mit der Vietnam Academy for Water Resources sowie der Thuy Loi University in Hanoi und ermöglicht so beispielsweise deutschen Masterstudierenden einen einsemestrigen Studienaufenthalt in Hanoi. Nicht jede Hochschule kann so langjährige Beziehungen zu Vietnam aufweisen. Für Interessierte an einer neuen Partnerschaft hat der DAAD nun einen Kooperationsleitfaden für Vietnam veröffentlicht, der nicht nur Chancen einer binationalen Zusammenarbeit beschreibt, sondern rechtliche und finanzielle Tipps gibt, wie sich die Kooperation nachhaltig umsetzen lässt. „Deutschland wird aufgrund seiner langen akademischen Zusammenarbeit etwa aus DDR-Zeiten, einer daraus resultierenden aktiven Alumni-Szene und seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit in Vietnam sehr geschätzt“, bilanziert Stefan Hase-Bergen. Das Land biete deswegen für deutsche Hochschulen viel Potenzial.
(Benjamin Haerdle, 15. Juni 2022)
Weitere Informationen
Im Rahmen der KIWi-Eventreihe „Indo-Pazifik im Fokus: Neue Chancen für Wissenschaftskooperationen“ veranstaltet das DAAD-Kompetenzzentrum am Donnerstag, 23. Juni 2022, von 9 bis 11 Uhr den Workshop „KIWi Connect Vietnam - Gute Potenziale eines sich rasch entwickelnden Hochschulmarktes“ im Rahmen der digitalen DAAD Netzwerkkonferenz.
Hier können Sie sich anmelden.