„New Kibbutz“: Israelische Start-up-Kultur (er)leben

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Geschäftsviertel in der israelischen Stadt Tel Aviv, wo sich viele Start-ups angesiedelt haben. 

Israels Gründerszene gilt als besonders dynamisch und innovativ. Ein Förderprogramm unter Federführung des DAAD ermöglicht deutschen Studierenden, zwei- bis sechsmonatige Praktika in den Hightech-Ideenschmieden des Landes zu absolvieren.

Kleines Land, großes Innovationspotenzial: Israel gilt mit seiner wissensbasierten Hightech-Industrie und seinen zahllosen jungen Unternehmen in diesem Feld als hochdynamisches Ökosystem für Start-ups mit weltweit enormer Anziehungskraft. Denn anders als etwa in Deutschland förderte Israel bereits ab Mitte der 1990er-Jahre eine inzwischen starke und ausgereifte Gründerszene, indem es ausländischen Risikokapitalinvestoren steuerliche Anreize im Land einräumte und versprach, jede Investition mit staatlichen Mitteln zu verdoppeln. Heute geht die besondere Attraktivität des „Silicon Wadi“ um Tel Aviv, wo auf 431 Einwohner ein Start-up kommt, auch von den vielen dort ansässigen internationalen wie deutschen Unternehmen aus, die den Kontakt zu den Start-ups suchen.

Talente finden und fördern
Vor diesem Hintergrund initiierten vier deutsche Bundesländer 2015 gemeinsam mit dem Generalkonsulat des Staates Israel für Süddeutschland in München und in Kooperation mit der AHK Israel das Förderprogramm „New Kibbutz“, in dessen Rahmen Studierende aus diesen Bundesländern für Praktika in israelische Unternehmen entsandt wurden. Seit Januar 2021 ist das Förderprogramm Teil des DAAD-Portfolios und bietet nun Studierenden aller deutschen Hochschulen die Möglichkeit, zwei- bis maximal sechsmonatige Praktika in israelischen Start-ups der Hightech-Branche zu absolvieren, finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Das „New Kibbutz“-Programm zielt auf die Findung und Förderung vielversprechender Talente im Hightech-Bereich, auf deren fachliche Qualifizierung durch einschlägige berufliche Erfahrungen in israelischen Hightech-Unternehmen, auf die interkulturelle Qualifizierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Auslandserfahrung, auf den Aufbau und die Stärkung persönlicher Netzwerke und nicht zuletzt auf die Gewinnung von Alumni als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Hightech-Szene in Deutschland. Das Programm ist bewusst so gestaltet, dass es den Wünschen vieler Studierender nach kürzeren Auslandsaufenthalten nachkommt und so auch zum Prinzip der Praxissemester an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften passt. „Bei den Studierenden kommt dieses Angebot sehr gut an“, sagt Jutta Thibault vom DAAD-Referat für Regierungsstipendienprogramme in Nordafrika und Nahost. „Bereits im ersten Jahr hatten wir erfreulich viele Bewerbungen, und das trotz Corona-bedingter Reisebeschränkungen und entsprechender Zurückhaltung bei vielen Studierenden.“

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AHK Israel

Im Rahmen von „New Kibbutz“ unternahmen die Teilnehmenden eine Exkusion in die israelische Stadt Beer Sheva.

Programm soll auch deutsch-israelische Verbundenheit festigen
Neben der Qualifizierung verfolgt „New Kibbutz“ ein weiteres Ziel. Israel und Deutschland sind durch enge politische, wirtschaftliche, kulturelle und zivilgesellschaftliche Kontakte verbunden. Die besondere Verantwortung Deutschlands für die Vergangenheit prägt jede Form deutsch-israelischer Zusammenarbeit. In diesem Kontext genügt es nicht, die Entwicklung und Pflege dieser Beziehungen allein staatlichen Stellen zu überlassen. Vielmehr sollte die gesamte Gesellschaft dazu beitragen, die menschlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschen und Israelis zu festigen und weiterzuentwickeln. Diesen Auftrag gilt es immer wieder aufs Neue zu vermitteln. Nicht zuletzt diesem Anliegen ist – wie viele andere Initiativen zum deutsch-israelischen Jugendaustausch – auch das „New Kibbutz“-Programm gewidmet. 

Von Gründern lernen und das Land bereisen: Eine Stipendiatin und ein Stipendiat des „New Kibbutz“-Programms berichten über ihre Erfahrungen:

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Privat

Isabella Hartmann (22) studiert International Management in Würzburg und war von November 2021 bis März 2022 Praktikantin bei dem Start-up PlaceSense in Tel Aviv.

„In meinem Studiengang ist ein Auslandspraktikum Pflicht. Weil ich schon zu Schulzeiten einmal in Israel war, fiel meine Wahl ein weiteres Mal auf dieses spannende Land. Ich wollte in fünf Monaten Praktikum nicht nur Berufserfahrung sammeln, sondern auch mehr über die Geschichte des Landes und seiner Menschen lernen. Auch kulinarisch versprach Tel Aviv einiges. Zu Recht wird die Stadt oft mit Berlin verglichen. Es gibt dort viele Clubs, viele junge Menschen, eine tolle Gastro-Szene und spannende Start-ups. Ich war als Praktikantin bei PlaceSense. Das Start-up hat sich auf standortbasierte Informationen und Analysen von Besucherfrequenzen spezialisiert. Ursprünglich sollte ich nur im Marketing arbeiten und dort mit einer externen Agentur zusammenarbeiten. Aber ich durfte auch im Vertrieb mitarbeiten und war zeitweise Personal Assistent des Gründers. Auch als ‚Praktikantin‘ wurde ich sehr gut in das Team integriert. Meine Meinung wurde gehört, ich bekam sofort verantwortungsvolle Aufgaben. Das liegt unter anderem an der ‚Just do it‘-Mentalität der Israelis: Es werden viel schneller Dinge ausprobiert, weniger Zeit auf Vorplanungen verwendet. Dadurch entsteht eine spannende Dynamik in der Produktentwicklung. Allein während meines fünfmonatigen Praktikums hat das Start-up nicht nur das Datentool gelauncht, sondern auch mehrere Updates weiterentwickelt. Neben diesen tiefen Einblicken in die Start-up-Szene habe ich die Zeit in Israel auch genutzt, um mir das Land anzusehen. Ich bin viel gereist, war nicht nur in Israel, sondern auch in Palästina. Ohne das Stipendium wäre das so wahrscheinlich kaum möglich gewesen, denn das Leben und Reisen in Israel ist sehr teuer. Dennoch möchte ich irgendwann noch einmal herkommen und eventuell noch etwas Hebräisch lernen.“

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Privat

Sebastian Bredel (26) studiert Wirtschaftsingenieurwesen an der RWTH Aachen und war von November 2021 bis April 2022 Praktikant beim Open Innovation Hub Konnect des Autoherstellers Volkswagen in Tel Aviv. 

„Über die lebendige Start-up-Szene in Tel Aviv hatte ich schon viel gelesen, war für meine Bachelorarbeit zwei Jahre zuvor bereits vor Ort und entsprechend begeistert, als ich die Chance für ein Auslandspraktikum bei Konnect bekam. Der Open Innovation Hub von Volkswagen unterstützt israelische Start-ups und bringt sie mit den Konzernmarken zusammen. Ein Schwerpunkt meines Studiums ist die Mobilität der Zukunft. In diesem Bereich konnte ich in den sechs Monaten einige neue Impulse sammeln. Viele Technologien, die ich bisher nur aus Vorlesungen kannte, sah ich hier in der Anwendung. Die Mentalität der Israelis ist sicher ein großer Vorteil – statt lange zu planen, wird vieles einfach ausprobiert. Eng damit verknüpft ist eine große Direktheit: Man spricht Probleme immer schnell an, und das Feedback ist sehr direkt, aber fair. Das war anfangs schon etwas gewöhnungsbedürftig. Gleichzeitig wurde meine Meinung stets gehört. So fühlte ich mich schnell wie ein vollwertiges Teammitglied. Insgesamt haben mich die sechs Monate in meinem Plan bestätigt, nach dem Abschluss in der Start-up-Szene zu arbeiten. Natürlich liefert ein solcher Auslandaufenthalt nicht nur ‚berufliche‘ Impulse, sondern erweitert auch die eigene Perspektive. So kann ich mir nun vorstellen, einmal im Ausland zu arbeiten und zu leben. Ich habe bereits sechs Monate auf Englisch gearbeitet und gelebt – das erhöht das ‚internationale‘ Selbstbewusstsein. Außerdem habe ich meine Zeit in Israel zum Reisen genutzt, so war ich in Jerusalem und im Westjordanland. Unterwegs habe ich viel mit den Menschen gesprochen, viel über das Land und den hochkomplexen Konflikt dort gelernt. Auch das war eine sehr spannende Erfahrung, die meinen Blick auf den Nahen Osten erweitert.“

Frank Giese/Birk Grüling (5. Juli 2022)

  • Das „New Kibbutz“-Programm richtet sich grundsätzlich an Studierende aller Fachrichtungen des Hightech-Bereichs.
  • Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel ermöglichen pro Haushaltsjahr die Vergabe von bis zu 100 Stipendien, je nach Dauer der einzelnen Praktikumsaufenthalte. 
  • Kooperationspartner des DAAD bei der Durchführung des Programms ist die AHK - Deutsch-Israelische Industrie- und Handelskammer in Tel Aviv. Sie nimmt Interessensbekundungen/Bewerbungen entgegen, berät und informiert Bewerberinnen und Bewerber, vermittelt die Praktika vor Ort und unterstützt bei der Suche nach Unterkünften sowie bei der Erledigung der erforderlichen Formalitäten.
  • Stipendiatinnen und Stipendiaten erhalten die DAAD-üblichen finanziellen Leistungen für Lebenshaltungskosten, Kranken-, Unfall-, Pflege- und Privathaftpflichtversicherung sowie einen Reisekostenzuschuss. Zusätzlich übernimmt der DAAD für Stipendiatinnen und Stipendiaten die anfallende Vermittlungsgebühr der AHK in Höhe von 500 Euro.
  • Ergänzende Programminformationen finden Interessierte hier.