„Wissen ist wie ein Baobab“
Tim Wegner
Wissen brauche Austausch, findet Dr. Ohiniko Mawussé Toffa, der mit einem DAAD-Stipendium an der Universität Bremen promovierte.
Religionsgegenstände, Gottheiten, Ikonen: Germanist, Kolonialhistoriker und DAAD-Alumnus Dr. Ohiniko Mawussé Toffa will klären, wo die Deponate am GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig herkommen, wem sie wie genommen wurden und wie sie nach Deutschland gelangten.
Ein Puppen-Brautpaar aus Sri Lanka liegt neben einem Umschlagtuch für Männer aus bunter Wolle, durchzogen von glänzenden Metallfaden-Stickereien. In den Glasvitrinen daneben ein Tempelamulett und Wächterfiguren aus Indonesien und die indische Gottheit Ganesha aus dem Bundesstaat Tamil Nadu. Auf den kleinen silbernen Schildern, die erklären, was zu sehen ist, steht immer wieder: Sammlung unbekannt. Genau das wollen Dr. Ohiniko Mawussé Toffa und sein Team am GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig ändern. Toffa kommt aus der Stadt Aného im Süden Togos. Mit einem DAAD-Stipendium kam er 2015 nach Deutschland, um an der Universität Bremen zu promovieren. Heute arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste geförderten Projekt „Provenienz von kolonialzeitlichen Sammlungen aus Togo“ im Museum für Völkerkunde Dresden und im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig (Staatliche Ethnographische Sammlungen Sachsen). Rund eintausend Artefakte aus unterschiedlichen Kulturen und Familien der togoischen Kolonisierten werden dort untersucht. Sie alle sind auf acht Kolonisatoren zurückzuführen, unter anderem Oskar Marx, Harry Grunitzky und Dr. Hans Gruner. Ethnologinnen und Ethnologen sollen nun die Provenienz und die sogenannten „Erwerbsumstände“ klären. Wo kamen die Artefakte her? Wurden sie gewaltsam entwendet? Und wie kamen sie nach Deutschland?
Arbeit hinter verglaster Scheibe
Im sogenannten „Care-Room“ suchen Toffa und Sammlungsverwalterin für Afrika Julia Pfau nach Antworten. Sie untersuchen die Deponate und tauschen sich über Forschungsfortschritte aus. Die Museumsbesucherinnen und -besucher können ihnen durch eine verglaste Scheibe bei der Arbeit zuschauen. „Uns ist diese Transparenz sehr wichtig. Wir legen den Fokus in diesem Bereich der neuen Dauerausstellung mehr auf unsere Arbeit hinter den Kulissen: auf die Provenienzforschung und auf die Restaurierung“, erklärt Pfau. Eine bestimmte Pflanzenfaser, ein bestimmtes Holz, Fell oder Leder, alles kann ein Indiz dafür sein, wo die Gegenstände ursprünglich herkommen. Toffas Expertise und seine Sozialisierung in Togo helfen dabei. „Ich kenne viele der Objekte von zu Hause, weiß sofort, in welcher Region sie zu verorten sind, wofür sie traditionell eingesetzt wurden und was sie den Menschen dort bedeuten.“ Es handele sich oft um Religionsgegenstände, Gottheiten, Ikonen. Auch das Objekt, das Julia Pfau gerade vorsichtig von einem Rollwagen auf den Tisch vor ihnen hebt, kennt Toffa aus seiner Heimat: eine Sprechtrommel des „Oberhäuptlings“. „In Togo wird sie Atopani genannt, ist ein religiöser Gegenstand und darf nur von initiierten Personen geschlagen werden. Daraufhin versammelt man sich, um Zeremonien durchzuführen oder Nachrichten zu verkünden“, erklärt Toffa der Sammlungsverwalterin, die mittlerweile am Computer sitzt und diese Erläuterungen in die Datenbank einträgt. „Sachgruppe: Musik, Tanz; Untersachgruppe: Membranofone“.
Video: Ein Tag mit Dr. Ohiniko Mawussé Toffa
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Zurück in die Herkunftsländer
Wenn Toffa und Pfau herausgefunden haben, wem die Artefakte gehörten und dass sie unter unrechten Umständen entwendet wurden, stellt das Museum sie nicht mehr aus und versucht, mit den Herkunftsgemeinschaften in Verbindung zu treten. „Ich würde gerne dazu beitragen, dass diese Trommel irgendwann wieder zurück nach Togo kommt“, sagt Toffa und inspiziert ein kleines Loch in ihrer Ledermembran.
Um weitere Hinweise zur Herkunft und den „Erwerbsumständen“ zu finden, recherchiert Toffa in Archiven in Deutschland und Togo, er liest Briefe zwischen den Kolonisatoren und den Museen und Erfahrungsberichte der „Sammler“ über ihre Expeditionen. Auch auf seinen eigenen Nachnamen ist er dabei schon gestoßen. Toffas Familie war lange Zeit selbst von der Kolonialisierung betroffen. „Einer meiner Vorfahren wurde im Norden Togos versklavt, meine Eltern sind die zweite Generation seit der Unabhängigkeit Togos. Die Konsequenzen und Einflüsse der Kolonialisierung gehören für mich leider zum Alltag.“ Sein Vater hatte ihm eher positive Erfahrungen mit den Deutschen geschildert. „Sei nicht so faul, sei ein bisschen mehr wie die Deutschen“, hieß es dann nach der Schule. Als Toffa sich aber mit seiner eigenen Familiengeschichte und der Kolonialisierung auseinandersetzte, erzählten die Archivalien eine andere Geschichte. „Diese Dissonanz faszinierte mich. So bin ich zu diesem Forschungsfeld gekommen.“
Durch das DAAD-Stipendium erhielt Toffa dann noch mal eine neue Sicht auf die Dinge, da er während seines Aufenthalts mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und vor allem aus verschiedenen Ländern Afrikas, zum Beispiel Ägypten, Burkina Faso und Benin, forschte. „Dabei habe ich gelernt, dass meine Erkenntnisse und Einstellungen nicht allgemeingültig sind und ich mich immer wieder kritisch hinterfragen muss“, erzählt der Kolonialhistoriker. „In Togo sagen wir: Wissen ist wie ein Baobab, ein afrikanischer Affenbrotbaum, den man wegen seines Umfangs nie alleine umarmen kann. So ist das auch beim Wissen. Wir brauchen immer Austausch.“
Christina Iglhaut (21. Juli 2022)
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht im Magazin für DAAD-Alumni und -Alumnae Letter, Ausgabe 1/2022.