„Virtual Exchange kann wichtige Fähigkeiten für den internationalen Arbeitsmarkt vermitteln“

iStock

Durch die Onlinekooperation mit Partnerkursen in anderen Ländern können Studierende ihre Kooperationsfähigkeit, ihre interkulturellen und digitalen Kompetenzen sowie ihre Fremdsprachenkenntnisse erweitern.

Mit „DAAD Forschung kompakt“ bietet der DAAD eine Publikationsreihe, die aktuelle wissenschaftliche Befunde für die Hochschulpraxis verständlich und nutzbar machen soll. In der vierten Ausgabe berichtet Dr. Robert O'Dowd, Associate Professor für Englisch als Fremdsprache und Angewandte Linguistik an der Universidad de León in Spanien, von den Einsatzmöglichkeiten virtueller Austauschformate in der internationalen Hochschulbildung und deren Vorteilen aus Sicht von Studierenden und Lehrenden.

Herr O'Dowd, könnten Sie zunächst noch einmal kurz erklären, was genau unter Virtual Exchange in der internationalen Hochschulbildung zu verstehen ist und worin der Unterschied zur Virtual Mobility besteht?
Ich definiere Virtual Exchange als einen Oberbegriff, der sich auf eine Vielzahl von Projekten und Methoden der Onlinelehre bezieht, die Studierende im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit Studierenden in anderen Ländern zusammenbringen. Der Schwerpunkt beim Virtual Exchange liegt also auf der Kommunikation von Mensch zu Mensch und auf der Frage, wie Studierende durch die Onlinezusammenarbeit unterschiedliche Kompetenzen entwickeln und Lernziele erreichen können. Durch die Onlinekooperation mit Partnerkursen in anderen Ländern sowie die Betreuung und Unterstützung durch die Lehrenden können die Studierenden ihre Kooperationsfähigkeit, interkulturelle und digitale Kompetenzen sowie ihre Fremdsprachenkenntnisse ausbauen.

Virtual Mobility hingegen ist etwas ganz anderes. Unter diesem Begriff versteht man die Teilnahme von Studierenden einer Hochschule an Onlinekursen, die an einer Partnerhochschule in einem anderen Land organisiert wurden. So waren zum Beispiel während der Coronapandemie viele Studierende an meiner Universität in Spanien nicht in der Lage, an ihrem Erasmus-Mobilitätsprogramm teilzunehmen. Einige von ihnen konnten sich jedoch online bei der Partnerhochschule anmelden, dort Kurse online belegen und am Ende auch Prüfungen absolvieren. Man könnte das also als ein virtuelles Mobilitätsprogramm bezeichnen. Viele Expertinnen und Experten stehen diesem Ansatz jedoch sehr kritisch gegenüber und weisen darauf hin, dass physische Mobilitätsprogramme viel mehr sind als die bloße Teilnahme an einem Onlinekurs und das anschließende Ablegen einer Prüfung. Die Erträge aus physischen Mobilitätsprogrammen ergeben sich durch die Menschen, die man an der Hochschule trifft, und aus den Begegnungen außerhalb der Unterrichtszeit. Ich denke aber, dass Virtual-Mobility-Ansätze mit Virtual-Exchange-Aktivitäten kombiniert werden können, um internationales Lernen für eine viel größere Gruppe von Studierenden zugänglich zu machen.

„Virtual Exchange kann wichtige Fähigkeiten für den internationalen Arbeitsmarkt vermitteln“

Universidad de León

Dr. Robert O'Dowd, Associate Professor für Englisch als Fremdsprache und Angewandte Linguistik an der Universidad de León in Spanien.

Wie können Hochschulen den Virtual Exchange in ihren Lehrplänen sinnvoll einsetzen, welche Anwendungsszenarien sind hier besonders relevant oder sinnvoll?
Virtual Exchange kann an Hochschulen im Wesentlichen auf drei Arten genutzt werden: als Aktivität zur Vorbereitung von Studierenden auf ein Auslandsstudium, als Teil eines hybriden Mobilitätsprogramms oder als Teil einer normalen Lehrveranstaltung. Studierende und Lehrende profitieren von allen drei Ansätzen. Um Hochschulen bei einem möglichst erfolgreichen Einsatz von Virtual-Exchange-Projekten zu unterstützen, habe ich vier Handlungsempfehlungen entwickelt, die bei der Einführung von Virtual-Exchange-Elementen in ihre Studienprogramme berücksichtigt werden sollten. Erstens sollten Daten erhoben werden, um die Auswirkungen von Virtual Exchange auf das Lernen der Studierenden zu belegen. Lehrende sollten ermutigt werden, ihre eigenen Projekte zu evaluieren, um sie zu verbessern, aber auch, um den Nutzen des Virtual Exchange gegenüber anderen Lehrenden und der Hochschulleitung zu demonstrieren. Zweitens sollte sichergestellt werden, dass die Arbeit von Studierenden und Lehrenden, die an einem Virtual Exchange teilnehmen, anerkannt wird. Das bedeutet, dass Studierende in irgendeiner Form für ihre erfolgreiche Teilnahme belohnt werden sollten und dass auch der Einsatz der Lehrenden in irgendeiner Form honoriert werden sollte. Drittens sollten institutionelle Barrieren innerhalb der eigenen Hochschule überwunden werden. Der erfolgreiche Einsatz von Virtual-Exchange-Ansätzen hängt von der Fähigkeit der Mitglieder verschiedener Fakultäten und Serviceeinheiten innerhalb der Hochschulen ab, erfolgreich miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Viertens sollte man sich für eine nationale und internationale Unterstützung „von oben“ einsetzen. Denn der Erfolg von Virtual-Exchange-Initiativen wird auch von der Unterstützung durch nationale und internationale Organisationen abhängen. Ich glaube zum Beispiel, dass die Art und Weise, wie der DAAD Virtual-Exchange-Projekte fördert, der Schlüssel für die weitere Entwicklung hier in Deutschland sein wird.

Aus Ihrer Sicht als langjähriger Forscher in diesem Bereich: Welche Wirkungen des Virtual Exchange konnten durch die Forschung bislang nachgewiesen werden, was sind also die besten Gründe für die Implementierung von Virtual-Exchange-Ansätzen?
Ich erwähne in meinem Beitrag für „DAAD Forschung kompakt“ verschiedene groß angelegte Untersuchungen, die gezeigt haben, wie Virtual Exchange zur Entwicklung interkultureller Kompetenzen, zum Fremdsprachenerwerb und zum Aufbau von Soft Skills wie Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz beiträgt. Wenn der Austausch gut strukturiert ist und die Lehrenden eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Aufgaben und der Unterstützung der Studierenden während der Zusammenarbeit übernehmen, können die Lernergebnisse wirklich sehr beeindruckend sein. Die Forschung zeigt uns jedoch auch, dass die Studierenden am meisten aus Virtual-Exchange-Projekten lernen, wenn sie gezwungen sind, kommunikative oder kulturelle Herausforderungen zu bewältigen. Erst wenn die Zusammenarbeit schwierig wird und es zu Kommunikationsbarrieren kommt, werden sich die meisten Studierenden bestimmter Unterschiede bewusst und sind gezwungen, Kompromisse zu finden, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Und genau dabei ergeben sich Lernprozesse, die eine wichtige Grundlage für interkulturelle Kompetenz und erfolgreiche Onlinezusammenarbeit darstellen.

Virtual Exchange kann also sowohl bei Studierenden als auch bei Lehrenden zunächst für Verunsicherung sorgen: Wenn man Studierende aus unterschiedlichen Ländern zusammenbringt, kann man nicht wissen, wie sich dieser Austausch entwickelt und wie die Gespräche verlaufen. Aber genau dieser Aspekt ist entscheidend, da die Studierenden so aus erster Hand erfahren, welche Anforderungen ihnen die reale Arbeitswelt stellt. Denn viele Studierende werden später in internationalen Teams arbeiten und in Onlineumgebungen kommunizieren müssen. Virtual Exchange bereitet sie auf diese Erfahrungen vor. 

Interview: Dr. Jan Kercher (21. Juli 2022)

Zur Person

Dr. Robert O'Dowd stammt aus Irland und ist Associate Professor für Englisch als Fremdsprache und Angewandte Linguistik an der Universität von León, Spanien. Er hat an Universitäten in Irland, Deutschland sowie Spanien unterrichtet und zahlreiche Publikationen über die Anwendung von Virtual Exchange in der Hochschulbildung veröffentlicht. Zudem hat er drei Erasmus+ Projekte zur Integration und Ausweitung von Virtual Exchange koordiniert.