Digitaler Campus baut Hürden ab

DAAD/Focke Strangmann

Deutschland braucht die Zuwanderung von internationalen Studierenden und Fachkräften. Doch die Hürden sind zum Teil hoch. Der Digitale Campus, den der DAAD gemeinsam mit Partnern aufgebaut hat, soll das nun ändern. Die barrierefreie Internetplattform bündelt relevante Informationen, vernetzt umfassende Services und ermöglicht Studieninteressierten aus aller Welt, die sprachlichen, fachlichen und kulturellen Voraussetzungen für ein Studium in Deutschland zu erwerben.

Mit dem Digitalen Campus soll der Weg an deutsche Hochschulen für internationale Studierende in Zukunft einfacher werden. Als Erste werden hiervon in einem Testlauf junge Geflüchtete aus der Ukraine profitieren. „Wir reagieren damit auf die drängende Situation, jungen Ukrainerinnen und Ukrainern eine Perspektive zu geben. Gleichzeitig evaluieren wir, wie sich das Angebot des Digitalen Campus in der Praxis bewährt und weiter zu verbessern ist“, sagt Alexander Knoth, Chief Digital Officer beim DAAD. Anschließend wird das Angebot für alle Interessierten geöffnet. Schon jetzt arbeitet das Konsortium daran, eine Trägerstruktur für den Digitalen Campus aufzubauen, um dessen Betrieb nachhaltig sicherzustellen und viele Hochschulen für dieses nationale Vorhaben zu gewinnen.

Ergänzung des erfolgreichen Hochschulmarketings
Vor drei Jahren ergriff der DAAD die Initiative. „Wir brauchten dringend ein digitales Angebot, das internationale Studieninteressierte auf ihrem Weg in die deutsche Hochschullandschaft begleitet und sie in ihrer sprachlichen, fachlichen und campuskulturellen Qualifizierung unterstützt“, beschreibt Knoth die Ausgangslage. Das Feedback der Zielgruppe sei eindeutig gewesen: Der Studienstandort Deutschland ist im Ausland zwar attraktiv. Jedoch schreckt mangelnde Digitalisierung ab, formale Anforderungen und Informationsflüsse sind unklar, relevante Unterlagen müssen mühsam recherchiert werden, und es fehlt vor allem an einheitlichen Standards und Voraussetzungen. „Es war einfach Zeit für unseren Digitalen Campus. Je einfacher wir den Zugang zum deutschen Hochschulsystem öffnen, desto geringer ist die Schwelle für motivierte junge Menschen aus dem Ausland.“ Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Der DAAD holte erfahrene Partner ins Boot, um Lehr- und Lernszenarien sowie innovative Inhalte für den Digitalen Campus zu erforschen und zu entwickeln. Die zielorientierte Strategie: Der Digitale Campus basiert nicht auf einer aufwändigen neuen Lernplattform, sondern vernetzt auf Metaebene die bestehenden Angebote. So werden die Kernkompetenzen der Projektpartner bei der Identifikation, Information, Vorbereitung, Auswahl, Zulassung und Begleitung internationaler Studierender gebündelt. Das ermöglicht qualitative und quantitative Wirkungsgrade, die kein System und kein Partner für sich allein erreichen könnte. Durchgängige digitale Prozesse und intelligente Tools eröffnen alle wesentlichen Aspekte zum Studium in Deutschland. Mit der erfolgreichen Eigenentwicklung von Single-Sign-On, Datawallet und Metadatenmanagement diente der Digitale Campus auch als Blaupause für die Nationale Bildungsplattform BIRD.

Eine Plattform für lebenslanges Lernen

DAAD

Alexander Knoth, Chief Digital Officer beim DAAD.

Internationales Level erreichen
Die Nutzerinnen und Nutzer agieren selbstbestimmt und flexibel mit einem sicheren Zugang. Sie erhalten individuell Unterstützung und Feedback sowie umfassende Kollaborationsmöglichkeiten. „Hier geht es nicht darum, ein Vorreiter zu sein. Im Gegenteil: Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren, damit wir überhaupt auf globalem Level mithalten können“, sagt Alexander Knoth. Internationale Studierende, die für Deutschland begeistert werden, bereichern das Hochschulsystem. So erzeugt der Digitale Campus direkten Nutzen für die Gesellschaft. Und selbst wenn letztlich ein Studium doch als Ziel ausscheidet, kann der Digitale Campus, in einer späteren Ausbaustufe, motivierten jungen Menschen aus dem Ausland über die entsprechende Verlinkung den Weg in eine Berufsausbildung ebnen.

Einen solchen fließenden Übergang ermöglicht seit Jahren das in Berlin gegründete Social Start-up Kiron, das Geflüchteten Zugang zu Bildung ermöglicht. Das Ziel „open higher education for refugees“ habe man aber zwischenzeitlich an die Realität angepasst, sagt CEO Dr. Tobias Ernst. Neben sehr hochwertigen Angeboten eröffnet Kiron bewusst auch niederschwellige Zugänge. „Damit können möglichst viele Menschen auf der Welt von den Chancen der digitalen Bildung profitieren.“ Aktuell lernen fast 20.000 Geflüchtete auf dem Campus der internationalen NGO. Kiron macht jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer zu einem „student“ im digitalen Raum. „Geflüchtete sind oftmals traumatisiert. Wichtig ist, dass sie wieder die Autorenschaft über ihr Leben übernehmen und ihnen werthaltige Angebote offenstehen. Wir geben ihnen die Möglichkeit dazu.“

Digitaler Campus baut Hürden ab

Kiron

Dr. Tobias Ernst leitet das Berliner Social Start-up Kiron. Das Unternehmen ermöglicht Geflüchteten Zugang zu Bildung. 

Services und soziales Miteinander gefragt
Nachfrageschwerpunkt bei Kiron sind digitale Kompetenzen. „Unsere Teilnehmerschaft hat eine hohe Affinität zu allen Themen im Bereich Cloud Computing, Künstliche Intelligenz und Computersprachen“, sagt Tobias Ernst. Das zweite große Thema:  „Entweder Englischkenntnisse im globalen Kontext oder gezielt Deutsch für Menschen, die schon hierzulande leben oder hierher kommen wollen.“ Für das Lernen im digitalen Raum brauche es allerdings nicht allein einen technischen Zugang, der unter den Lebensbedingungen Geflüchteter oftmals schwer zu realisieren ist. Entscheidend sind nach Ernsts Erfahrung entsprechende Services – von der Befähigung zum erfolgreichen Selbstlernen am Rechner bis hin zu kleinen Stipendien. Und natürlich erzeugt das soziale Miteinander einer Community mit menschlicher Nähe und Wertschätzung eine starke zusätzliche Motivation.

Standards für die Zulassung vereinbaren
Ein zentraler Erfolgsfaktor für den Digitalen Campus ist die Bereitschaft der Hochschulen, sich auf Standards für die Zulassung internationaler Studierender einzulassen. „Anerkannte Tests und Zertifikate sind der Schlüssel für faire und transparente Entscheidungen“, weiß Dr. Jörn Weingärtner, Geschäftsführer der Gesellschaft für Akademische Studienvorbereitung und Textentwicklung (g.a.s.t.) in Bochum. „Davon profitieren beide Seiten. Für die Hochschulen geht es um eine passgenaue und ressourcenschonende Auswahl. Studieninteressierte wiederum brauchen die Gewissheit, dass sie die Studienerfordernisse erfüllen können. Ein Scheitern im Studium ist oftmals vermeidbar und individuell tragisch. Objektive Testverfahren haben eine hohe Sicherheit in der Prognose eines späteren Studienerfolgs und helfen beiden Seiten, frühzeitig einen Erwartungsausgleich herzustellen.“

Der Projektpartner g.a.s.t. bringt seine Kompetenz aus rund 1.000 Testzentren in über 100 Ländern in den Digitalen Campus ein. „Wir wollen mit unserer Arbeit internationalen Studierenden den Weg in ein erfolgreiches Studium ebnen. Ein Test ist ein hoch valides Instrument. Interessierte erhalten so Aufschluss, ob sie für ein Studium in Deutschland die notwendigen Kompetenzen mitbringen. Zudem finden sie heraus, wo gegebenenfalls noch passgenaue Unterstützung notwendig ist. Gleichzeitig können Hochschulen erkennen, ob die Bewerberinnen und Bewerber die Studienvoraussetzungen erfüllen.“ Wichtig für Jörn Weingärtner sind verlässliche Standards als Basis aussagekräftiger Tests. „Internationale Studierende und besonders Geflüchtete in zumeist prekären Lebensumständen brauchen Sicherheit. Dazu tragen anerkannte Zertifikate bei. Der Digitale Campus ist genau der richtige Weg dorthin.“

„Wir brauchen mutige Ideen für den Austausch“

Eric Lichtenscheidt/DAAD

Dr. Muriel Helbig ist Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck und Vizepräsidentin des DAAD.

Vielfalt der deutschen Hochschullandschaft präsentieren
Aus einer doppelten Perspektive unterstreicht Dr. Muriel Helbig, Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck und DAAD-Vizepräsidentin, den Wert des Digitalen Campus. „Als zukunftsorientierte Hochschule setzt die TH Lübeck seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf innovative Online-Lehrformate. Es ist wichtig, die Chancen, die uns die Digitalisierung bietet, voll auszuschöpfen, um auch neuen Zielgruppen den Weg in die deutsche Hochschullandschaft zu ermöglichen. Diese Vision nimmt nun durch den Digitalen Campus Gestalt an.“ Muriel Helbig freut sich, dass die TH Lübeck ihre langjährigen Erfahrungen in digitaler Lehre bei der Umsetzung des Projekts einbringen kann, und wünscht sich, dass künftig weitere Hochschulen folgen und ihre Angebote ebenfalls über den Digitalen Campus zur Verfügung stellen werden. „Je vielfältiger sich die deutsche Hochschullandschaft in diesem digitalen Schaufenster präsentieren kann, desto attraktiver wird der Hochschulstandort Deutschland für internationale Studieninteressierte.“

Alfred Harke (22. September 2022)