„Eine Anerkennung auch für das Fach Deutsch als Fremdsprache“
Wilfried Hiegemann/DAAD
Dr. Gabriella Perge, Preisträgerin des Jacob- und Wilhelm-Grimm-Förderpreises 2022.
Dr. Gabriella Perge ist Universitätsoberassistentin am Lehrstuhl für Sprachpraxis und Fachdidaktik am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest, Ungarn. Am 27. September wurde ihr vom DAAD der Jacob- und Wilhelm-Grimm-Förderpreis verliehen. Im Interview berichtet Perge über ihre Vorliebe für ihr Forschungsthema, die Mehrsprachigkeit, inspirierende Lehrerinnen und ihren Einsatz für das Fach Deutsch als Fremdsprache.
Frau Dr. Perge, Sie haben keine deutschen Wurzeln, und auch der Urlaub in der Kindheit führte Sie nie nach Deutschland. Woher kommt Ihr Faible für die deutsche Sprache?
Das war eigentlich eine Entscheidung meiner Eltern. An der Grundschule, die ich in meiner Heimatstadt Miskolc (deutsch Mischkolz) besucht habe, musste ich in der zweiten Klasse zwischen Deutsch und Englisch als erster Fremdsprache wählen. Die Deutschlehrerin war die Klassenlehrerin meiner Schwester. Meine Eltern kannten sie also schon und waren begeistert von ihr. Aus dem Grund haben sie entschieden, dass ich Deutsch lerne. Am Anfang war ich ein bisschen enttäuscht, weil viele in der Klasse Englisch gewählt hatten. Aber letztlich war das der Grundstein für meine Karriere (lacht).
Deutsch hat Sie fortan also nicht mehr losgelassen?
Genau. Ich habe ein bilinguales Gymnasium besucht, auf dem ich bis zu neun Wochenstunden Deutschunterricht und zudem ausgewählten Fachunterricht auf Deutsch hatte. Auch hier hatte ich wieder das Glück, wirklich gute Lehrerinnen zu treffen, die uns sehr motiviert haben. Nach dem Schulabschluss dachte ich kurz darüber nach, eventuell Wirtschaftswissenschaften zu studieren – aber wirklich nur kurz. Eigentlich war klar, dass es Germanistik werden würde. Ich habe dann im Bachelor Deutsch als Hauptfach und als Nebenfach Niederländisch studiert und anschließend sowohl einen Master im philologischen Bereich gemacht als auch das Lehramtsstudium als Master absolviert. Fokussiert habe ich mich in dem Rahmen auf die Fächer Deutsch und Ungarisch als Fremdsprache. Das ist auch bis heute mein zentraler Tätigkeitsschwerpunkt.
In Ihrer Promotion ging es um die Mehrsprachigkeit, konkret um die rezeptive Mehrsprachigkeit. Erklären Sie uns, was das ist?
In der empirischen Forschung im Rahmen meiner Dissertation habe ich die Besonderheiten beziehungsweise die spezifischen Merkmale der sprachlichen Handlungsfähigkeit von Sprachlernenden mit Muttersprache Ungarisch in mehreren Sprachen im rezeptiven Bereich untersucht. Die rezeptive Mehrsprachigkeit bedeutet die Verstehensfähigkeit, mit der man Texte in verschiedenen Sprachen erschließen oder verstehen kann, wobei die gelernten Sprachen als Ressourcen genutzt werden und beim Lesen in unterschiedlichen Sprachen Strategien eingesetzt und zwischen den Sprachen transferiert werden können. Speziell ungarische Muttersprachlerinnen und Muttersprachler haben dabei das Problem, dass Ungarisch keine Sprachverwandtschaft mit germanischen oder romanischen Sprachen aufweist, die im institutionellen Fremdsprachenunterricht in Ungarn häufig gewählt und gelernt werden. Ich habe daher unter anderem untersucht, welche Brückensprache Ungarinnen und Ungarn beim Lesen von Texten in germanischen Sprachen nutzen können und inwiefern sie ihre Lesestrategien zwischen den Sprachen transferieren können. Das Thema war damals, 2013, noch sehr neu. Meine Doktormutter und Kollegin Prof. Dr. Ilona Feld-Knapp hat mich von Anfang an motiviert und begeistert, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Dr. Gabriella Perge bei der Preisverleihung mit ihrem Laudator Prof. Dr. Dietmar Rösler, dem Vorsitzenden des Beirats Germanistik im DAAD.
Inzwischen arbeiten Sie selbst als Universitätsoberassistentin am Lehrstuhl für Sprachpraxis und Fachdidaktik am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Welche Rolle spielt der internationale Austausch in Ihrer Arbeit?
Eine sehr große. Zum einen natürlich im wissenschaftlich-forschenden Bereich. Seit dem Studium hatte ich immer wieder Gelegenheit, unter anderem über Stipendien des DAAD und der Stiftung Aktion Österreich-Ungarn (AÖU), Studienreisen und Forschungsaufenthalte nach Deutschland und Österreich zu unternehmen. Ich war zum Beispiel in Berlin, Leipzig oder Oldenburg und mehrfach in Wien. Außerdem bin ich ebenfalls bereits seit dem Studium im Ungarischen Deutschlehrerverband (UDV) aktiv – seit 2014 als Generalsekretärin. In diesem Rahmen habe ich bereits mehrfach an internationalen Tagungen der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer teilgenommen und konnte mich mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt vernetzen. Sowohl die Forschung rund um mein Fach als auch die menschlichen Begegnungen sind wirklich sehr bedeutsam in meinem Leben.
Wie war Ihre Reaktion, als Sie die Nachricht über Ihre Auszeichnung mit dem Grimm-Preis erhalten haben?
Ich war wirklich überrascht. Es hat mich schon sehr gerührt, dass ich für den Preis nominiert wurde. Dass ich ihn dann bekommen habe, ist wirklich eine riesige Anerkennung. Ich freue mich sehr darüber. Aus meiner Sicht ist der Preis nicht nur eine Anerkennung für mich und meine Leistungen, sondern auch für das Fach Deutsch als Fremdsprache. In Ungarn ist das eine noch relativ neue Wissenschaft. Auch ein Lehrstuhl für Fremdsprachendidaktik ist noch längst nicht überall selbstverständlich. Meine Kollegin Prof. Dr. Ilona Feld-Knapp hat hier sehr viel Pionierarbeit geleistet. Ich freue mich, dass ich nun mit ihr gemeinsam daran weiterarbeiten kann.
Glauben Sie, der Preis verhilft Ihnen zu mehr internationaler Sichtbarkeit?
Das habe ich sogar bereits erlebt. Auf der Internationalen Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer (IDT), die ich kürzlich in Wien besucht habe. Zu dem Zeitpunkt war bereits bekanntgegeben worden, wer in diesem Jahr die Preise erhält. Es kamen einige Kolleginnen und Kollegen auf mich zu, um zu gratulieren. Zum Teil hatten sie mich dabei nur aufgrund des Fotos der DAAD-Pressemitteilung erkannt. Das war ein ganz neues Gefühl für mich. Ich werde diese Sichtbarkeit jetzt auf jeden Fall dafür einsetzen, um unsere Forschungstätigkeiten und Ergebnisse aus Ungarn noch bekannter zu machen.
Und wie werden Sie den Preis für Ihre eigene berufliche Zukunft nutzen?
Neben dem Preisgeld erhalte ich einen dreiwöchigen Forschungsaufenthalt in Deutschland. Den möchte ich gerne an einem der Zentren für das Fach Deutsch als Fremdsprache in Deutschland verbringen, um vor Ort zu forschen, Bibliotheken zu besuchen, Netzwerke auszubauen – auch mit Blick auf eine Habilitation, die der nächste Schritt in meiner Karriere wäre.
Melanie Rübartsch (29. September 2022)
Zur Person
Dr. Gabriella Perge
Die 35-Jährige studierte von 2006 bis 2013 an der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest Germanistik. In ihrer anschließenden Promotion widmete sie sich der rezeptiven Mehrsprachigkeit. Zwischen 2017 und 2020 war Perge Universitätsassistentin, und seit 2020 ist sie Universitätsoberassistentin am Lehrstuhl für Sprachpraxis und Fachdidaktik am Germanistischen Institut der ELTE. Durch zahlreiche Forschungsaufenthalte steht sie in engem fachlichen Austausch mit der Fremdsprachendidaktik und der deutschsprachigen Germanistik. Sie engagiert sich außerdem sowohl in ungarischen als auch in internationalen Fachverbänden von Lehrerinnen und Lehrern, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten.
Weitere Informationen
Der Grimm-Preis
Den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis verleiht der DAAD seit 1995 jährlich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland aus, die sich neben ihrer fachlichen Leistung in besonderer Weise für die internationale Zusammenarbeit in den Fachbereichen Germanistik und Deutsch als Fremdsprache engagieren. Seit 2011 gibt es zudem den mit 3.000 Euro dotierten Förderpreis für junge Germanistinnen und Germanisten aus dem Ausland. Neben dem Preisgeld erhalten die Ausgezeichneten eine Einladung zu einem Forschungsaufenthalt in Deutschland. Für die Auswahl der Preisträgerinnen oder Preisträger wird in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, aus dessen Mitteln der Preis finanziert wird, jeweils eine bestimmte Weltregion ausgewählt. In diesem Jahr waren die Slowakei, Tschechien und Ungarn als Zielländer definiert.