DAAD-Außenstelle London: Blick zurück – und nach vorn
DAAD/Falcone
Glückwunsch: Die DAAD-Außenstelle (1952–2022) feiert dieses Jahr ihren 70. Geburtstag.
Der Zweite Weltkrieg war nur wenige Jahre vorbei, als der DAAD 1952 seine erste Auslandsvertretung, zuständig für das Vereinigte Königreich und Irland, in der britischen Hauptstadt eröffnete. Ende September feierte der DAAD das 70-jährige Bestehen seiner „London Branch“ mit einem Alumni-Treffen. Dabei wurde keineswegs nur das Jubiläum begangen, sondern – hochaktuell angesichts weltweiter Krisen – auch die Zukunft internationaler Wissenschaftsbeziehungen diskutiert.
Ein Doktorand der Anglistik als Büroleiter, eine Mitarbeiterin, eine Schreibmaschine: So beginnt die Geschichte der ersten DAAD-Außenstelle, die im April 1952 in London ihre Türen öffnete – übrigens ein Jahr, bevor die dortige deutsche Botschaft ihre Arbeit aufnahm. Die Wahl war nicht ohne Grund auf die britische Metropole gefallen: Zum einen hatte der Akademische Austauschdienst (AAD), die Vorläuferorganisation des DAAD, schon 1927 ein Büro in London eröffnet, um den Studierendenaustausch zwischen Deutschland und Großbritannien zu fördern – wobei diese Zweigstelle 1933 „gleichgeschaltet“ und 1939 kriegsbedingt geschlossen wurde. Zum anderen bemühte sich nach 1945 speziell die britische Besatzungsmacht im Rahmen der Re-Education, Deutschland aus der geistigen Isolation in die internationale Wissenschaftswelt zurückzuholen, und unterstützte in diesem Zuge auch den Aufbau des DAAD.
Tagungsmotto „Past – Present – Future“
Nun feierte der DAAD das Jubiläum seiner Londoner Außenstelle: mit Empfängen in der deutschen Botschaft und im Goethe-Institut – sowie mit einem Treffen der britischen und irischen DAAD-Alumnae und -Alumni unter dem Motto „Science for Diplomacy – Diplomacy for Science: 70 years of UK and Irish-German Academic Collaboration“. Rund 100 Alumnae und Alumni waren Ende September zu der zweitägigen Veranstaltung angereist, deren Konzept dem Dreiklang „Past – Present – Future“ folgte: Neben der Rückschau standen zum Beispiel Vorträge über die Mobilität Studierender auf der Agenda („A Showcase of Current Cooperation“), aber auch Panels zu Lehr- und Lernformen der Zukunft („The Future of Higher Education is digital!? – Mobility, Cooperation and Internationalisation for a post-digital Era“).
DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee beim Alumni-Treffen im Imperial College London.
Zunächst aber zeichnete DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee in seinem Grußwort die Historie der Außenstelle nach. So schilderte er den Gästen – zu denen die deutschen Botschafter in London und Dublin, Miguel Berger und Cord Meier-Klodt, ebenso zählten wie die Bundestagsabgeordneten Laura Kraft und Ruppert Stüwe –, in welch überschaubarem Rahmen der deutsch-britische Studierendenaustausch begann: 1952 erhielten je zwei Studierende aus Großbritannien und Deutschland Jahresstipendien; es wurden vier Ferienkurse finanziert, 100 Praktika vergeben und erste Lektorinnen und Lektoren für deutsche Sprache und Literatur an britische Universitäten entsandt. „Dabei war es ein außerordentlicher Vorgang, dass die Außenstelle schon im ersten Jahr ihres Bestehens einen DAAD-Lektor an die Aberystwyth University in Wales vermitteln konnte“, so der DAAD-Präsident. „Denn ich muss nicht betonen, dass Deutsch und deutsche Literatur zu lehren zu jener Zeit nicht in einem Vakuum politischer und kultureller Neutralität stattfand.“
Intensive Förderung von „German Studies“
Doch nach diesem ersten Lektor kamen viele weitere, und auch der Studierendenaustausch intensivierte sich. Nachdem bis in die frühen 1960er-Jahre vor allem Studierende der Ingenieurwissenschaften, Pädagogik und Medizin gefördert wurden, gab es 1963 einen ersten deutsch-britischen Juristenaustausch. 1972 startete der DAAD das „Anglistenprogramm“, das pro Semester bis zu 100 deutschen Studierenden die Chance gab, „British Life and Institutions“ vor Ort zu ergründen.
Im Lauf der Jahre war die Außenstelle zudem tatkräftig daran beteiligt, die Angebote auszubauen, mit denen der DAAD für die deutsche Sprache und Kultur warb: 1969 wurde ein Sonderstipendienprogramm für britische Germanistinnen und Germanisten aufgelegt und 1974 die „Association for the Study of German Politics“ begründet, die bis heute „Wahlbeobachterreisen“ für ausländische Deutschlandexpertinnen und -experten organisiert. 1994 entstand in Kooperation mit dem DAAD ein erstes Institut für „German Studies“ an der Universität Birmingham, dem weitere folgten. Und seit 2010 wirbt das Programm „Promoting German Studies“ in Großbritannien und mittlerweile auch in Irland für einschlägige Studienangebote und Forschungsvorhaben. „Darüber hinaus haben in den vergangenen 70 Jahren Hunderte britischer und irischer Studierender sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland gelernt, geforscht, Sommerkurse und Praktika absolviert“, sagte Prof. Mukherjee, um den Alumnae und Alumni anschließend zuzurufen: „Das Ergebnis dieser Fördermaßnahmen können Sie heute hier betrachten: Sie sind es selbst!“
Außenstellenleiterin Ruth Krahe (Mitte) mit ihrem Team im Sitzungsraum der DAAD-Außenstelle London.
Sorge um Wissenschaftsbeziehungen
Für die DAAD-Alumnae und -Alumni bot das Treffen, das von Außenstellenleiterin Ruth Krahe und ihrem Team organisiert worden war, einen wie immer hochwillkommenen Anlass zum persönlichen Austausch und zum Networking. Und mancher nahm das Jubiläum zum Anlass, „seine“ DAAD-Geschichte Revue passieren zu lassen – zum Beispiel Filippo Nereo, Associate Professor und Associate Director an der Keele University, der als Stipendiat drei Jahre lang deutsche Linguistik an der Universität Regensburg studierte: „Was ich dort erarbeitet habe, bildete das Fundament für meine spätere Arbeit. Diese Phase hat mir natürlich geholfen, meine sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen weiterzuentwickeln, aber auch belastbarer zu werden und meine Problemlösungsfähigkeiten zu verbessern.“ Professor Seán Allan, University of St Andrews, charakterisierte den Einfluss des DAAD mit den Worten: „Während meiner Zeit an den Universitäten von Reading, Warwick und jetzt der in St Andrews haben die Germanistik-Fachbereiche, an denen ich gearbeitet und die ich geleitet habe, von den DAAD-Lektorenprogrammen enorm profitiert. Und ich bin noch dankbarer für die maßgebliche Rolle, die der DAAD bei der Unterstützung der ‚German Studies‘ heute, nach dem Brexit, spielt.“ Professor Ingo Cornils von der University of Leeds schließlich kleidete sein Tagungsfazit in einen Appell: „Das Treffen hat seinen Zweck auch in der folgenden Weise erfüllt: Uns an das übergreifende Ethos des DAAD zu erinnern – und uns zu motivieren, trotz der gegenwärtigen politischen Großwetterlage weiter optimistisch den ‚Wandel durch Austausch‘ zu fördern.“
Persönlicher Austausch beim Alumni-Treffen anlässlich des 70. Bestehens der DAAD-Außenstelle London: am Mikrofon Professor Seán Allan, University of St Andrews.
Die Sorge um die internationalen Wissenschaftsbeziehungen, vor allem angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, hob auch der DAAD-Präsident vor den Festgästen ausdrücklich hervor – um anschließend mit einer hoffnungsvollen Analogie noch einmal den Bogen zurück zu den Anfängen des DAAD zu schlagen: „In diesen herausfordernden Zeiten sollten wir nicht vergessen, dass eine Umkehr möglich ist“, so Prof. Mukherjee. „Ich möchte noch einmal an den Weg erinnern, den Deutschland seinerzeit mit dem Vereinigten Königreich und Irland gegangen ist: den von Gegnern zu Freunden. Der DAAD und seine Londoner Außenstelle waren in der glücklichen Lage, diesen Prozess mitzuprägen. Und diesen Weg wollen wir gemeinsam mit unseren britischen und irischen Partnern auch fortsetzen.“
Frank Giese (7. Oktober 2022)