Ein Jahr Hilde Domin-Programm: „Das Stipendium hat meine akademische Laufbahn gerettet“

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Proteste von Studierenden in Myanmar nach dem Militärputsch 2021.

Das Hilde Domin-Programm des DAAD unterstützt gefährdete Studierende und Promovierende weltweit. Seit dem Start vor einem Jahr konnte das Programm beachtliche Erfolge verzeichnen: Insgesamt hat der DAAD 135 Stipendien vergeben.

Die Rede- und Meinungsfreiheit ist weltweit stark bedroht. Ob Russland, Türkei oder Afghanistan – in vielen Ländern werden diejenigen, die gegen die derzeitigen Regierungen Position beziehen, gegängelt, geächtet und verfolgt. Dies betrifft in zunehmendem Maße auch die Wissenschaftsfreiheit, die Unabhängigkeit von Studium, Lehre und Forschung. 

So leben laut Academic Freedom Index aktuell 80 Prozent aller Menschen weltweit in Ländern mit eingeschränkter Wissenschaftsfreiheit. Das Scholars at Risk Network, ein internationales Netzwerk akademischer Institutionen zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit, verzeichnete im Zeitraum zwischen Januar 2020 und September 2022 rund 900 Angriffe auf den Hochschulsektor. Zu den häufigsten Vorfällen gehören Mord, Körperverletzung und das Verschwindenlassen von Personen (37 Prozent), Verhaftungen (26 Prozent) sowie Verfolgungen (11 Prozent). Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Vor dem Hintergrund dieser Bedrohungslage hat der DAAD das Hilde Domin-Programm initiiert, das aus Mitteln des Auswärtigen Amts (AA) finanziert wird. Das Stipendienprogramm unterstützt Studierende und Promovierende in aller Welt, denen in ihrem Herkunftsland das Recht auf Bildung verweigert wird. Mithilfe des Programms können die Geförderten ein Studium in Deutschland aufnehmen oder fortsetzen und einen Hochschulabschluss oder eine Promotion in sicherer Umgebung erlangen.

Ein Jahr Hilde Domin-Programm: „Das Stipendium hat meine akademische Laufbahn gerettet“

DAAD/stefan-zeitz.de

Anlässlich des einjährigen Bestehens des Hilde Domin-Programms informierte der DAAD in Berlin über Möglichkeiten zur Förderung.

„Vielleicht hätten Sie mich auch getötet“
Die 29-jährige Amira* promoviert an einer Fakultät für Agrarwissenschaften in Deutschland. In ihrem Heimatland Afghanistan hätte sie keine Chance auf eine Promotion gehabt: Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 sind dort Frauen in der Wissenschaft nicht mehr erwünscht. „Ich kann ehrlich sagen, dass das Hilde Domin-Programm meine akademische Laufbahn gerettet hat. Ich weiß jetzt, dass ich eine tolle Zukunft vor mir habe. Als Frau in Afghanistan hätte ich an der Universität vor verschlossenen Türen gestanden.“ 

Nickey* aus Myanmar kann Ähnliches berichten. Als erster Stipendiat des Hilde Domin-Programms promoviert der 39-jährige Moslem im Fach Soziale und Politische Anthropologie. In seiner Heimat wäre dies nicht möglich gewesen. Die buddhistisch geprägte Militärjunta Myanmars unterdrückt die verschiedenen muslimischen Minderheiten im Land. Angehörige der muslimischen Kultur der Rohingya etwa gelten als staatenlos, dürfen nicht wählen oder sich politisch vertreten lassen und haben weder Zugang zu Krankenhäusern noch zu Schulen. Muslime und Musliminnen anderer Kulturen werden als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt und leiden unter institutionalisierter Gewalt. Politischer Widerspruch wird nicht geduldet. „Ich bin ein bekannter politischer Aktivist in meinem Land“, sagt Nickey. „Nach dem Militärputsch 2021 lief ich Gefahr, verhaftet zu werden, vielleicht hätten sie mich auch getötet. Das Hilde Domin-Programm hat mich und meine Familie vor dem Terror des Militärs gerettet.“

Deutschkurs, interkulturelle Trainings und Beratung
Die Förderung umfasst monatliche Leistungen zur Deckung der Lebenshaltungskosten, Versicherungen sowie einen Reisekostenzuschuss. Je nachdem, welche Sprachkenntnisse die Geförderten mitbringen und für ihr Studium beziehungsweise Promotionsvorhaben benötigen, erhalten sie einen vorgeschalteten Deutschsprachkurs von zwei, vier oder sechs Monaten Dauer. Hinzu kommen Orientierungsseminare zur Vorbereitung auf das Studium in Deutschland, interkulturelle Trainings, Unterstützung bei der Beantragung von Visa sowie Beratungsgespräche.

Kandidatinnen und Kandidaten können von Institutionen nominiert werden, die juristische Personen in Deutschland sind und eine Tätigkeit im Bereich der Wissenschaft, Forschung und Lehre oder zum Schutz von Menschenrechten, Demokratieförderung, Rechtsstaat oder Friedensförderung ausüben, zum Beispiel Universitäten, Menschenrechtsorganisationen oder Stiftungen. Nach erfolgreicher Nominierung fordert der DAAD die Kandidatinnen und Kandidaten zur Bewerbung auf. Im Rahmen der Auswahl werden sowohl die persönliche Gefährdung als auch die akademische Leistungsfähigkeit bewertet. Mit Erhalt des Stipendiums reisen die Geförderten aus ihren Heimatländern oder – im Falle einer vorherigen Flucht – aus Drittländern nach Deutschland. Das Studienfach und die Hochschule können sie frei wählen.

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„Mit dem Programm erreichen wir den gesamten Bereich bedrohter und gefährdeter Personen aus dem Hochschul- und Wissenschaftssektor“, so Philipp Effertz, DAAD-Referatsleiter Naher Osten und Nordafrika.

Bewerbungen übersteigen verfügbare Stipendien um ein Vielfaches
Am 13. Oktober 2022 hat der DAAD zu einer Veranstaltung anlässlich des einjährigen Bestehens des Hilde Domin-Programms eingeladen. Seit seinem Start erzielte das Programm beachtliche Erfolge: Bis Juni 2022 hat der DAAD insgesamt 135 Stipendien verliehen. Das wichtigste Herkunftsland der Stipendiatinnen und Stipendiaten war Afghanistan mit 74 Stipendien. Darin enthalten ist eine Sonderquote von 26 Stipendien für afghanische Studierende und Promovierende, die der DAAD im Zuge der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 eingerichtet hat. Viele weitere Geförderte stammen aus Ländern wie Belarus und Myanmar. Aufgrund der aktuellen Weltlage übersteigt die Anzahl der eingereichten Nominierungen und Bewerbungen die Zahl verfügbarer Stipendien um ein Vielfaches. Daher konnten nicht alle potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten berücksichtigt werden.

„Die Etablierung des Hilde Domin-Programms hat sich als richtig erwiesen“, sagt Philipp Effertz, DAAD-Referatsleiter Naher Osten und Nordafrika. „In Kombination mit der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung erreichen wir den gesamten Bereich bedrohter und gefährdeter Personen aus dem Hochschul- und Wissenschaftssektor – von Bachelor-Studierenden bis zu erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.“

Johannes Kaufmann (25. Oktober 2022)

*Um die Sicherheit der Geförderten zu gewährleisten, wurden die Namen geändert.