„Einfach machen!“
DAAD/Stephan Pramme
Internationale Erfahrungen und interkulturelle Kenntnisse helfen angehenden Lehrkräften bei der Arbeit im Klassenzimmer.
Mit einem Studienaufenthalt oder einem Praktikum im Ausland bereiten sich angehende Lehrerinnen und Lehrer gut auf das multikulturelle Klassenzimmer vor. Das DAAD-Programm Lehramt.International, das solche Aufenthalte fördert, ist ein großer Erfolg. Das zeigte eine Konferenz im November in Berlin.
Die Grundschullehrerin Katharina Schenk hält mit ihren Drittklässlern regelmäßig einen Klassenrat ab. Da sitzen sie zusammen und reden über Vorkommnisse, die nun mal zum Schulalltag gehören. „Es ist für das Miteinander förderlich, solche Dinge offen zu besprechen“, sagt Schenk, die in der hessischen Stadt Dreieich unterrichtet. Sie hatte den Klassenrat während ihres Auslandspraktikums in Australien kennengelernt, für das sie ein Stipendium vom DAAD erhielt. 2019 war sie für drei Monate an der Deutschen Schule Melbourne tätig. Sie hospitierte, unterrichtete eine dritte Klasse, tauschte sich mit Kolleginnen und Kollegen aus.
Einen solchen Auslandsaufenthalt zu organisieren, ist für angehende Lehrkräfte schwierig. An vielen Hochschulen in Deutschland wird darum gerungen, ob und wie Lehrveranstaltungen und Praktika im Ausland als Studienleistungen angerechnet werden. Gelingt das nicht, können Studierende Zeit verlieren, da sie diese Module später im Heimatland nachholen müssen. Viele scheuen außerdem die Kosten und den organisatorischen Aufwand. Oder sie wollen sich nicht von ihrer Familie, Freundinnen und Freunden trennen; zum Teil fehlen Sprachkenntnisse. Deshalb gehen künftige Lehrerinnen und Lehrer seltener ins Ausland als Studierende anderer Fächer. Besonders gering ist die Bereitschaft unter angehenden Berufsschullehrenden und Lehrenden mit naturwissenschaftlichen Fächern. „Lehrerinnen und Lehrer, die sich im Ausland mit anderen Perspektiven auseinandergesetzt und erfahren haben, wie es ist, fremd zu sein, sind aber besser auf das multikulturelle Klassenzimmer vorbereitet“, sagt Peter Greisler. Er leitet die Unterabteilung Hochschulen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Politiker, Hochschullehrende und Studierende treten in Dialog
Das Programm Lehramt.International will künftige Lehrerinnen und Lehrer motivieren, ins Ausland zu gehen oder daheim internationale Erfahrungen zu sammeln. Es läuft von 2019 bis 2024 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Der DAAD fördert Praktika, die zwischen 30 Tagen und zwölf Monaten dauern. An 38 Hochschulen wurden Modellprojekte etabliert, um die Zusammenarbeit mit ausländischen Hochschulen dauerhaft zu verbessern. Beratungen und Informationsveranstaltungen über Auslandsaufenthalte werden vom DAAD bezuschusst. Darüber hinaus tauschen sich Bildungspolitikerinnen und -politiker sowie Hochschullehrende und Studierende in einem eigens eingerichteten Dialog-Format darüber aus, wie sie die Barrieren beseitigen können, die den internationalen Austausch noch hemmen. Solche Dialoge fanden bereits in Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern statt.
Auf einer Konferenz in Berlin haben Vertreterinnen und Vertreter von Hochschulen, aus dem Bildungsmanagement sowie Alumnae und Alumni Halbzeitbilanz gezogen. Ihre Beobachtung: Lehramt.International ist ein großer Erfolg. Studierende können nützliche Auslandserfahrungen sammeln. Hochschulen können dauerhaft Lehrveranstaltungen etablieren, die interkulturelle Erfahrungen vermitteln.
Früher waren Studierende auf sich allein gestellt
Ein Beispiel ist die Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg – eines der 38 Modellprojekte, welche der DAAD fördert. „Das Projekt gibt uns Impulse, in unserem Bundesland bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mehr Studierende ins Ausland gehen“, sagt Dr. Myriam Hummel, Leiterin des Referats Internationalisierung der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Sie berichtet: „Früher haben sich immer wieder Studierende selbst einen Praktikumsplatz im Ausland gesucht.“ Es sei für sie und die Dozierenden mühselig gewesen, die Betreuung und Anerkennung der Praktika im Ausland zu organisieren und abzustimmen.
Dr. Myriam Hummel, Universität Hamburg, betont, dass das Modellprojekt die Vorbereitung und Betreuung der Auslandspraktika verbessert.
Nun konnte die Fakultät ein Modul einrichten, das Studierende mehrerer Bachelor-Studiengänge auf Schulpraktika im Ausland vorbereitet. Wenn die Studierenden im Ausland sind, bekommen sie über eine Online-Plattform Aufgaben gestellt und werden zur Reflexion über das Erlebte angeregt. Das Modul ist verpflichtend; die Universität Hamburg bietet aktuell Praktikumsplätze in Frankreich, Spanien, den USA, Brasilien und Ghana an – weitere Standorte sollen folgen. „In den Austausch über die Auslandserfahrungen werden auch Studierende einbezogen, die sich ihren Praktikumsplatz in Deutschland suchen“, sagt Dr. Myriam Hummel.
Während des Studiums interkulturelle Erfahrungen zu sammeln – das ist nur eine von vielen Aufgaben, vor denen Lehramtsstudierende stehen. Prof. Dr. Bärbel Kopp, Vizepräsidentin Education an der Universität Erlangen-Nürnberg, zählt weitere wichtige Punkte auf: Künftig wird es mehr digitalen Unterricht und mehr Lernformen geben, die das demokratische Miteinander fördern. Auch müssten sich Lehramtsstudierende damit auseinandersetzen, wie sie Kinder mit Lernschwierigkeiten in den Unterricht einbeziehen.
Den Auslandsaufenthalt weiter vereinfachen
Mehrere Konferenzteilnehmende betonen, dass angehende Lehrkräfte unterschiedliche Aufgaben miteinander verbinden könnten. Während ihres Aufenthalts im Ausland könnten sie schauen, wie dort digitales Lernen funktioniert und wie Kinder mit Behinderung gefördert werden. „Einfach machen!“, fordert ein Teilnehmer: Studierende sollten sich ohne Scheu auf den Weg ins Ausland begeben. Gleichzeitig sollte es für sie leichter werden, ins Ausland zu gehen.
Trotz der Pandemie und der politischen Krisen ist Lehramt.International ein Erfolg: Allein 2022 vergab der DAAD eine Förderung für 639 Auslandspraktika. Spanien, Großbritannien und Südafrika waren die beliebtesten Länder. 94 Prozent der Stipendiatinnen und Stipendiaten gaben an, dass sie ihre interkulturellen Fähigkeiten verbessert hätten. 87 Prozent fühlen sich besser auf das multikulturelle Klassenzimmer vorbereitet.
Grundschullehrerin Katharina Schenk sieht einen großen Mehrwert in den Erfahrungen durch ihr Auslandspraktikum für den Unterrichtsalltag in Deutschland.
Die Grundschullehrerin Katharina Schenk stieß 2019 „eher zufällig“ auf den Praktikumsplatz an der Deutschen Schule Melbourne. Sie wünscht sich, dass die Hochschulen umfassender beraten, was jetzt dank der DAAD-Förderung geschieht. Auch sollten Lehrkräfte, die im Ausland waren, bei Bewerbungen um interessante Stellen stärker berücksichtigt werden als Kolleginnen und Kollegen ohne solche Erfahrungen, findet Schenk. Ihr Auslandsaufenthalt kommt ihr jetzt zugute. In Melbourne wechselten Kinder und Lehrende wie selbstverständlich zwischen Englisch und Deutsch, den beiden Sprachen, die an der Schule gesprochen wurden. Schülerinnen und Schüler bekamen Aufgaben, die jeweils ihrem Leistungsniveau entsprachen. „Mir fiel auf, dass sie dadurch viel selbstständiger arbeiten konnten“, erzählt Katharina Schenk.
Diese Impulse nimmt sie jetzt in ihrer Schule in Dreieich auf. So gut es in einer großen Klasse möglich ist, gibt sie Aufgaben in mehreren Schwierigkeitsstufen. Schenk resümiert: „Ein Praktikum im Ausland lohnt sich – und sei es auch nur für vier Wochen.“
Josefine Janert (24. November 2022)