Außergewöhnliche Klangerlebnisse, lockere Leistungsschau
DAAD/Sebastian Schobbert
Stipendiaten-Oktett: Auch ein Ensemble um die tschechische Komponistin und Akkordeonistin Lucie Vítková trat in der Berliner Akademie der Künste auf
Zum Abschluss eines dreitägigen Treffens und künstlerischen Austauschs fand in der Akademie der Künste Berlin das Konzert der DAAD-Musikstipendiaten statt – unter der Überschrift „Vielfalt im Einklang“. Ein begeisterndes Erlebnis, bei dem auch die hohe Zahl der Eigenkompositionen von Stipendiaten beeindruckte.
Es war ein Konzert, das mutige, überraschende und zugleich sorgfältig erarbeitete junge Stimmen zu Gehör brachte – und das dabei das Repertoire der Klassischen Musik mit Spiellust und Humor weiter aufbrach. Dass deutsche Hochschulen im Prozess dieser Erweiterung international eine bedeutende Rolle spielen und sich Musiker aus den unterschiedlichsten Kulturen davon angezogen fühlen, darauf wies Ulrich Grothus, der stellvertretende Generalsekretär des DAAD, in seiner Begrüßungsansprache hin. „Deutschland ist ein Musikland, nicht nur in unserem Selbstbewusstsein, sondern auch in der Wahrnehmung der Welt.“
Beate Grzeski, Beauftragte für Außenwissenschaftspolitik, Deutschlandkommunikation und den Dialog zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt, zitierte in ihrem Grußwort den Schriftsteller Berthold Auerbach: „Musik allein ist die Sprache der Welt“ und gab ihrem Wunsch Ausdruck, dass die internationalen Stipendiaten die in Deutschland gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen mit in ihre Heimatländer und in ihre Netzwerke nehmen mögen.
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Kreatives Gitarrenspiel: Karmen Stendler aus Slowenien und Pedro Aguir aus Brasilien
„Hardcore Zeitgenössische Musik“
Durch das Programm des Konzertabends führte Dieter Mack, Professor für Komposition an der Musikhochschule Lübeck und Vorsitzender der Musikauswahlkommission des DAAD. Mack erzählte begeistert von dem vorangegangenen dreitägigen internationalen Treffen der Musikstipendiaten des DAAD, zu dem sowohl Workshops als auch Vorträge gehörten. Es war bereits das dritte Treffen dieser Art in der Akademie der Künste Berlin. Künftig soll es alle zwei Jahre stattfinden. 2015 beeindruckte auch die hohe Zahl der von Stipendiaten komponierten Werke. Dieter Mack bat die Komponisten auf die Bühne und stellte sie kurz vor, zu Beginn des Programms den 1988 geborenen Israeli Bnaya Halperin-Kaddari und die gleichaltrige Chinesin Cong Wei. „Hardcore Zeitgenössische Musik“ nannte Mack die Arbeiten der beiden.
Halperin-Kaddari beschreitet mit seinem Werk „Har Caxol (Blue mountain [as sand])“ tatsächlich eine geheimnisvolle, exotische Klanglandschaft. Der Brasilianer Pedro Aguir und Karmen Stendler aus Slowenien zupften, strichen, rubbelten und rissen sie aus zwei verstärkten akustischen Gitarren. Zur Aufführung des Werks „In diesem Moment“ der Chinesin Cong Wei sagte Dieter Mack: „Das zeigt, was unser Zusammenkommen bedeutet: Ein indonesischer Pianist spielt mit einem venezolanischen Oboisten das Stück einer chinesischen Komponistin, das eigentlich westlich-europäisch klingt.“
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Gemeinsame Konzentration: der indonesische Pianist Danang Dirhamsyah und der venezolanische Oboist Johans Camacho
Starkes Schlagzeug, strahlende Gesichter
Im zweiten Teil des Konzerts standen Improvisationen im Mittelpunkt, die zum großen Teil während der Workshops an den Tagen zuvor entstanden waren. Das Zusammenspiel von acht Musikern aus acht verschiedenen Ländern, die sich während des Treffens kennengelernt hatten, war ein berührendes Dokument der „Vielfalt im Einklang“, die die thematische Überschrift des Abends versprochen hatte. Die Musiker spielten zunächst eine Komposition des amerikanischen Stipendiaten Kenneth Edelson und anschließend die „Soft Songs“, ein sehr leises Stück der tschechischen Stipendiatin Lucie Vítková. Beide Komponisten waren zugleich Teil des Oktetts, das bei seinem Spiel ohne jegliche Noten auskam. Ebenfalls im zweiten Teil des Konzerts war die Komposition „Arioso“ des Brasilianers João Carlos Rocha de Olivera zu hören. Der 1983 geborene Rocha de Olivera sagte, er sei von Heitor Villa-Lobos, einem bekannten Komponisten aus seiner brasilianischen Heimat ebenso beeinflusst wie von Johann Sebastian Bach, von dessen Wirkungsstätte, der Thomaskirche in Leipzig, er derzeit keine zweihundert Meter entfernt lebe. Wenn das Werk eines so jungen Komponisten an Barockmusik erinnert, ist das schon eine Überraschung. Verblüffend war dann der elegante Sprung zu jazzigen brasilianischen Elementen.
Im dritten Teil des Konzerts wurden unter der Überschrift „Von allerlei Phantasmen“ weitere Grenzen kunstvoll überschritten. Der Schweizer Harfenist Joel Phillippe von Lerber eröffnete mit dem Stück „FRA-TYO (Frankfurt-Tokyo)“ der italienischen Komponistin und Stipendiatin Lydia Carlisi. Außerdem standen drei Stücke für Oboe und Schlagzeug des Leipziger Komponisten Professor Reinhard Pfundt auf dem Programm, bei denen die großartige chilenische Perkussionistin Valentina Nobizelli im Zusammenspiel mit dem kolumbianischen Oboisten Cristian David Cardenas Veloza die bewundernswerte Klangvielfalt des Schlagzeugs bewies.
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Mit kunstvollem Elan: der Oboist Cristian David Cardenas Veloza und die Perkussionistin Valentina Nobizelli
Und wie bereits bei den ersten Abschlusskonzerten der Stipendiatentreffen gab es auch diesmal ein Tuba-Solo, das 1980 entstandene „Capriccio“ des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki, gespielt von Yuki Aso aus Japan. Ein Capriccio für eine einzelne Tuba bringt auch zum Schmunzeln und an dieser Stelle muss gesagt werden, dass das gesamte Konzert nicht allein durch die Moderation von Dieter Mack humorvoll aufgelockert wurde, sondern auch durch den Charme mancher Interpretation. So erfüllte etwa der im eleganten hellen Anzug auftretende kamerunische Tenor Christian Akoa den Saal mit dem voller Verve vorgetragenen „Ch’ella mi creda“ aus Puccinis „La fanciulla del West“ – und brachte die Gesichter der Konzertbesucher zum Strahlen.
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Starke Stimme: Zu den beeindruckenden Vokalisten des Konzertabends zählte auch die mexikanische Sopranistin Graciela Rivera Quiroz – hier begleitet von dem chinesischen Pianisten Shin Hwang
Kontroverse Diskussionen
Was bedeuten der Austausch der Musiker und das Konzert für den Veranstalter, den DAAD? „Wir möchten mit dem Konzert zeigen, was die Stipendiaten können“, sagt Dr. Christian Thimme, der beim DAAD als Bereichsleiter unter anderem für die Internationalisierung der deutschen Hochschulen zuständig ist. Thimme betont: „Die Sprache der Musik eignet sich am besten, das international Verbindende darzustellen.“ Die Auswahl der Stipendiaten erfolge fast ausschließlich nach ihrer Exzellenz, so Thimme. Allerdings wären grundsätzlich auch Ausnahmen denkbar, etwa wenn ein begabter Bewerber aus einem Land komme, in dem eine gute Ausbildung schlichtweg nicht möglich sei. „Das Besondere bei uns ist“, erklärt Christian Thimme weiter, „dass alle Jurymitglieder alle Kandidaten wählen, also wählt auch der Professor für Violoncello bei den Pianisten mit. So kommen viele Aspekte zur Sprache und werden kontrovers diskutiert. Oft wird dann auch kontrovers entschieden.“ Solange die kontroversen Diskussionen zu einer solch begeisternden Klangvielfalt wie beim Stipendiatenkonzert 2015 führen, kann dieser Ansatz nicht falsch sein.
Kathrin Schrader (22. April 2015)