Das Haifa Zentrum für Deutschland- und Europastudien in der COVID-19-Krise

Katharina Konarek

Exklusives Onlinemeeting statt Präsenzveranstaltung am Europa-Tag: Studierende des HCGES diskutieren mit dem EU-Botschafter in Israel Dr. Emanuele Giaufret.

Über die Lage während der Coronakrise in Israel lesen Sie in unserem Bericht vom Haifa Zentrum für Deutschland- und Europastudien, einem Gemeinschaftsprojekt der Universität Haifa und des DAAD.

Alles war fest geplant. Pünktlich zum Semesterbeginn sollte der deutsche Historiker Prof. Jürgen Kocka am 12. März 2020 die Vorlesung „The Future and the Past – the Power of History“ halten – zu Ehren von Prof. Eli Salzberger. Dieser nämlich hatte verkündet, sich nach sechs Jahren im Amt als Leiter des Haifa Zentrums für Deutschland- und Europastudien (HCGES) zurückzuziehen. In festlichem Rahmen sollte der Stab an seinen Nachfolger Prof. Stefan Ihrig weitergegeben werden. Doch dann kam Corona. Alle Flüge nach Israel wurden gestrichen, Hotelbuchungen storniert, Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmenden abgesagt. Am 15. März 2020 schloss die Universität Haifa offiziell ihre Tore und verlegte alle Aktivitäten ins Netz. 

HCGES in der Coronakrise

DAAD

Das Zentrum im israelischen Haifa ist eins von zwanzig interdisziplinären Zentren für Deutschland- und Europastudien an herausragenden Universitäten weltweit, die der DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes fördert. 

Alles auf Onlinelehre umgestellt
Für das HCGES hieß das: Kein Präsenzunterricht mehr. Alles – auch die deutschen Sprachkurse – wurde kurzfristig auf Onlinelehre umgestellt, das gesamte HCGES-Team ins Homeoffice geschickt. So verbrachten wir die letzten beiden Monate zu Hause vor den Bildschirmen. Unsere rund 20 Masterstudierenden sowie Doktorandinnen und Doktoranden sahen wir nur per Video. Vormittags, zum Zeitpunkt der Deutschkurse, waren die Internetverbindungen meist noch stabil. Schnell und autodidaktisch arbeitete sich unsere DAAD-Lektorin Julia Papushado mit ihrem Sprachlehrteam in die Kniffe und Tricks der Onlineplattform ein und entwickelte neue Lehrformate. Der deutsche Sprachunterricht ist ein zentraler Bestandteil des HCGES. Sprachkurse werden auf allen Ebenen von A1.1 bis B2.2. angeboten und sowohl von unseren MA-Studierenden als auch von anderen Studierenden der Universität sowie externen Nicht-Studierenden besucht. In den letzten Jahren hat sich das HCGES damit auch zu einer zentralen Anlaufstelle für Deutsch im Norden des Landes entwickelt.

Nachmittags, zu Beginn der akademischen Kurse – beispielsweise „Einführung in die Europäische Union“ oder „Das deutsche Wirtschaftssystem“ – ruckelte die Verbindung bisweilen. Doch auch hier ließen sich Startschwierigkeiten dank Selbststudium der Lehrkräfte und zahlreicher Youtube-Tutorials bald überwinden.

HCGES_Corona_Daniel_Marwecki

Katharina Konarek

Buchvorstellung digital: Dr. Daniel Marwecki aus Berlin präsentiert sein neues Buch „Germany and Israel – Whitewashing and Statebuilding“.

Israelis sind sich verändernde Umstände gewohnt
Spontaneität und Gelassenheit im Umgang mit Notstandsverordnungen sind das Markenzeichen der israelischen Gesellschaft. Aufgrund immer wiederkehrender Gefahrenlagen und den damit einhergehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben die Menschen gelernt, sich schnell an veränderte Umstände anzupassen und sie zu akzeptieren. Entsprechend reibungslos verlief die Umstellung auf die Onlinelehre. Auch die wöchentlichen Kolloquien finden nun digital in fast gewohntem Umfang statt. Im April stellte beispielsweise Dr. Daniel Marwecki von Berlin aus sein neues Buch „Germany and Israel – Whitewashing and Statebuilding“ vor. Mit fünfzig Teilnehmenden war das Webinar sehr gut besucht. Anstelle des jährlichen Europa-Tages fand im Mai ein exklusives digitales Treffen mit dem EU-Botschafter in Israel Dr. Emanuele Giaufret und unseren Studierenden statt. Sowohl Fragen rund um COVID-19 in Europa als auch weitgreifende Themen, wie eine mögliche Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, wurden während des einstündigen Gesprächs diskutiert.

Nicht alles online ersetzbar
Und doch: Nicht alles lässt sich am HCGES durch das Internet ersetzen. Die alljährlich stattfindende Studienfahrt nach Deutschland, ein Highlight des Masterprogramms, muss in diesem Jahr coronabedingt ausfallen. Ebenfalls hart getroffen hat es diejenigen unserer Studierenden, die in diesem Semester einen ERASMUS-Aufenthalt in Deutschland oder den Besuch von Sommerschulen beispielsweise in Mainz oder Fulda geplant und hierfür auch schon Stipendien erhalten hatten. So brach unsere Studierende Jing Anfang März für ein ERASMUS-Semester nach Tübingen auf. Kurz nach ihrer Ankunft wurden in Baden-Württemberg die Universitäten geschlossen. Da die Onlinelehre dort nur schleppend anlief, nimmt Jing heute von Deutschland aus an unseren Kursen hier in Haifa teil. Ein weiterer Wermutstropfen ist, dass inzwischen viele wichtige wissenschaftliche Konferenzen abgesagt oder auf Onlineplattformen belegt werden. Die aktive Teilnahme an diesen Konferenzen, das Vorstellen der eigenen Forschungsergebnisse, das Reflektieren mit Kolleginnen und Kollegen sowie das Bilden von Netzwerken ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des HCGES. Prof. Stefan Ihrig und Katharina Konarek beispielsweise haben beide erfolgreiche Arbeiten für die im Oktober 2020 geplante Konferenz der „German Studies Association“ in den USA eingereicht. Ob diese nun wie angekündigt stattfinden wird – und eine Reise nach Washington überhaupt möglich ist –, ist nicht vorherzusehen. 

HCGES in der Coronakrise

Katharina Konarek

Online in Kontakt mit den DAAD-Schwesterzentren: Für die „CHECK-IN“-Mini-Serie spricht das HCGES-Team mit Prof. Claudia Lima Margues vom Centro de Estudos Europeus e Alemães (CDEA) in Porto Allegre, Brasilien.

13 DAAD-Schwesterzentren „besucht“
Der Krise lässt sich aber auch etwas Gutes abgewinnen: Während der letzten sechs Wochen ist es dem HCGES-Team gelungen, eine „CHECK-IN“-Mini-Serie zu entwickeln. Dafür haben wir 13 unserer 19 DAAD-Schwesterzentren weltweit „besucht“ und jeweils ein kurzes Gespräch via ZOOM mit einem Mitarbeitenden vor Ort geführt. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und anschließend auf der Facebook-Seite des HCGES veröffentlicht. Wir erhielten dadurch verschiedenste Eindrücke, wie mit der Pandemie weltweit umgegangen wird und wie akademische Arbeit und Lehre trotz Einschränkungen weitergeführt wird.

Blick nach vorne
Auch am HCGES blicken wir langsam wieder nach vorne. Israel ist im Vergleich zu Deutschland relativ klein und hat nur einen international häufig frequentierten Zugang: den Ben-Gurion-Flughafen in der Nähe von Tel Aviv. Dieser wurde sehr schnell abgeriegelt. Insbesondere während des Pessach-Festes, Ostern und Ramadan wurden harte Ausgangsperren verhängt. So konnte die Pandemie bisher relativ gut in Schach gehalten werden. Das Ergebnis sind sinkende Infektionszahlen und freie Krankenbetten. Entsprechend gut stehen die Chancen, dass die Regelungen auch an der Universität Haifa bald gelockert werden und im kleinen Rahmen im Sommer wieder Präsenzkurse stattfinden können. Für das neue akademische Jahr, das im Oktober 2020 beginnt, sind bereits zwei Konferenzen zum Thema COVID-19 in Planung: Die erste soll den Einfluss der Pandemie auf die europäische Solidargemeinschaft beleuchten, die zweite – gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung – sich mit dem Thema „Krankheitsverbreitung und Umwelt“ befassen. Darüber hinaus strebt das HCGES eine Kooperation mit der Schule für Gesundheitswesen an der Universität Haifa an. Im Gespräch sind gemeinsame Wahlkurse für Masterstudierende, die sich mit dem Umgang mit Pandemien aus historischer Perspektive befassen. 

Wieder zurück in den normalen Prä-Corona-Universitätsalltag? Das scheint im Moment noch in weiter Ferne. Die Pandemie hat aber auch neue Möglichkeiten und Ideen aufgezeigt, die für das HCGES in Haifa zukunftsweisend sind.

Katharina Konarek (24. Juni 2020)