„Die Menschen in Indien sind krisenerprobt“

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Mit mehr als 28 Millionen Einwohnern ist Neu-Delhi die drittgrößte Metropolregion der Welt.

Corona-Hotspots wie die USA, Brasilien und Russland hatten Indien vorübergehend aus der Berichterstattung verdrängt. Doch seit dem Sommer steigt die Zahl der Neuinfektionen dort wieder rasant an. Dr. Katja Lasch leitet die DAAD-Außenstelle in Neu-Delhi derzeit von Deutschland aus. DAAD Aktuell erfuhr von ihr, wie Indien mit Corona umgeht und warum die deutschen Hochschulen langfristig davon profitieren könnten.

Welche Auswirkungen von Corona beobachten Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort auf das öffentliche Leben?
Man muss vorsichtig sein, ganz Indien über einen Kamm zu scheren. Die Kolleginnen und Kollegen wohnen in den großen Städten. Wir haben wenig Einblick in die ländlichen Regionen. Indien ist sehr früh landesweit in einen vollständigen Lockdown gegangen. Das hätte man damals niemals für möglich gehalten. Für nahezu acht Wochen galt eine strenge Ausgangssperre. Aus wirtschaftlichen Gründen hat man die Maßnahmen lockern müssen. Aber es ist noch nicht alles „back to normal“. Die Schulen und Hochschulen sind weiterhin geschlossen, in Delhi fährt die Metro nicht und auch der nationale Zugverkehr bleibt eingeschränkt. Die Lockerungen haben dazu geführt, dass die Infektionszahlen sprunghaft angestiegen sind. Allerdings wurden auch die Testkapazitäten hochgefahren. Hauptproblem sind die vielen Menschen auf engem Raum. Social Distancing ist für die ärmeren Bevölkerungsschichten schwer umzusetzen. Daher bringt man schon frühzeitig auch Fälle mit leichten Symptomen, die sich zu Hause nicht isolieren können, in eigens dafür geschaffene Zentren, um ein Social Distancing zu gewährleisten. Insgesamt bekomme ich aber in den Gesprächen das Gefühl, dass sich die Bevölkerung langsam mit der Situation arrangiert.

Wie reagiert das Land auf die stark steigenden Zahlen?
Indien hat viel Erfahrungen mit Seuchenbekämpfung. In den Slums gehen Vertreterinnen und Vertreter der Gesundheitsämter von Tür zu Tür, um die Leute zu informieren. Wenn in einem Viertel gehäuft Fälle auftreten, werden sogenannte Containment Zones eingerichtet und die Viertel abgeriegelt. In Delhi gibt es über 500 davon. Auch auf Landesebene geht immer mal wieder ein Bundesstaat in den vorübergehenden Lockdown. Das heißt, ähnlich wie in Deutschland wird auf regionaler Ebene sehr differenziert gesteuert. Und man muss bedenken: 60.000 bis 80.000 Neuinfektionen sind zwar sehr viele pro Tag. Aber Indien hat auch eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen.

Sie halten sich derzeit in Deutschland auf. Wie nehmen Sie die Lage in Indien im Vergleich zu Deutschland wahr?
Indien wollte sehr früh verpflichtend eine Warn-App einführen. Das war einer der wenigen Momente, wo es große Diskussionen gab, weil die App datenschutzrechtlich problematisch ist. Ansonsten habe ich die Furcht um Grundrechte und Freiheitsrechte in Indien nicht so wahrgenommen wie in Deutschland. Auch Diskussionen darüber, wo wir unseren Urlaub verbringen können, werden in Indien nicht geführt. Indien ist insgesamt wirtschaftlich sehr hart getroffen. Die Probleme dort sind von existenziellerer Natur als in Deutschland. Wir haben kürzlich auf eine Praktikantenstelle 300 Bewerbungen erhalten, darunter viele Bewerber, die schon im Berufsleben stehen. Und auch über Masken diskutiert man nicht – diese werden ohnehin getragen, aber nicht drinnen, sondern draußen, weil die Luftqualität in den Städten sehr schlecht ist. Insgesamt glaube ich, dass die Menschen in Indien krisenerprobt sind und mit unsicheren Bedingungen gut zurechtkommen.

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Dr. Katja Lasch leitet die DAAD-Außenstelle Neu-Delhi derzeit von Deutschland aus.

Welche Konsequenzen hat Corona für die Arbeit des DAAD in Indien?
Das Büro in Neu-Delhi ist geöffnet für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die freiwillig kommen möchten, wobei wir sicherstellen, dass keine Massenverkehrsmittel genutzt werden. Die Büros in der Region halten wir weiter geschlossen. Ebenso das Büro in Bangladesch, für das die Außenstelle ebenso verantwortlich ist. Sri Lanka läuft fast wieder im Normalbetrieb. Ich leite das Büro von Deutschland aus. Einmal pro Woche haben wir ein großes Staff Meeting. Zusätzlich führe ich Einzelgespräche. So versuche ich, jeden aus dem Team mindestens zweimal die Woche zu hören. Wir haben allerdings festgestellt, wie wichtig es ist, dass sich die Kolleginnen und Kollegen auch persönlich austauschen. Deshalb hoffen wir, dass wir demnächst mit der gebotenen Vorsicht schrittweise ins Büro zurückkönnen.

Und wie hat sich die Arbeit inhaltlich verändert?
Diesbezüglich sind wir sehr schnell auf Onlineformate umgestiegen. Bei der Studienberatung ist uns das nicht schwergefallen, weil wir vorher schon viel online gemacht hatten. Aber wir haben gemerkt, dass wir auch interaktive Formate wie Q&A-Sessions brauchen. Ich leite auch das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Neu-Delhi (DWIH). Dort testen wir ebenfalls verschiedenste Formate. Beispielsweise hatten wir kürzlich drei Webtalks zum Thema Städte und Klima. Das bietet auch Chancen, weil wir das erste Mal Sprecher aus den DWIH in New York und Moskau zugeschaltet hatten. Zweites Beispiel: Mitte August fand das germanistische Nachwuchssymposium statt, wo Doktorandinnen und Doktoranden der Germanistik ihre Arbeiten präsentieren. Dieses Jahr haben sich 250 Leute angemeldet. Wir konnten mehrere Expertinnen und Experten aus Deutschland zuschalten und hatten über 100 Zuhörer. Das hätten wir offline nicht auf die Beine gestellt. Auch langfristig werden wir daher an den nun neuen digitalen Elementen festhalten und/oder auf hybride Formate setzen.

Welche Rolle spielt die Studienberatung aktuell noch?
Die gute Nachricht ist: Das Interesse an Deutschland ist ungebrochen. Wir können momentan noch nicht absehen, wie sich die Corona-Situation auf die Visa-Erteilung auswirken wird. Hier stehen wir mit der Botschaft in einem engen Kontakt. Wir hoffen, dass die Studierenden aus Indien rechtzeitig an die deutschen Hochschulen kommen. Mittelfristig glaube ich, dass die Nachfrage in Richtung Deutschland steigt. Denn man beobachtet in Indien sehr genau, wie gut Deutschland bislang durch die Krise gekommen ist. Traditionell orientierten sich die indischen Studierenden eher in Richtung Großbritannien und USA. Etwas kritischer sehe ich es für Studierende aus Deutschland, die einen Studienaufenthalt in Indien planen. Die indischen Hochschulen sind geschlossen und die Lehre läuft bis Jahresende digital. Auch Hochschulkooperationen sind aktuell schwierig, weil keine Kurzzeitaufenthalte möglich sind. Viele Hochschulkooperationspartner schwenken derzeit auf digitale Formate um. Allerdings hoffen wir, dass die reale internationale Erfahrung in Indien selbst auch für deutsche Studierende demnächst wieder möglich ist. Daran halten wir selbstverständlich fest.

Peter Nederstigt (4. September 2020)