Abenteuer Langzeitdozentur im Land der Tempel und Tuk Tuks
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Jan Bockholt (hinten Mitte) mit Teilnehmenden der Abschlussklasse 2020. Die Mehrheit der Studierenden am Department of Media and Communication sind Frauen.
Bei Kambodscha denken die meisten bis heute an die Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Auch wenn das südostasiatische Land inzwischen eine parlamentarische Monarchie ist, bleibt die Meinungsfreiheit eingeschränkt, weiß Jan Bockholt. Vor einem Jahr übernahm der Journalist eine DAAD-Langzeitdozentur für Medienwissenschaft in der Hauptstadt Phnom Penh.
Wenn Jan Bockholt an den Februar 2020 zurückdenkt, als er zum ersten Mal in Phnom Penh aus dem Flugzeug stieg, dann kommen ihm sofort die Hitze in den Sinn und die vielfältigen Gerüche, die ihn dort empfingen: der Duft der exotischen Gewürze aus den Restaurants, der sich mischt mit dem Gestank der offenen Abwasserkanäle und den Abgasen der Tuk Tuks, der typischen Autorikschas auf den Straßen der kambodschanischen Hauptstadt. „Es ist, als liefe man gegen eine Hitzewand. In den ersten 30 Minuten im Tuk Tuk habe ich gedacht: ‚Das kann ich nicht.‘ Aber das gehört dazu beim Abenteuer Langzeitdozentur“, erzählt Bockholt.
Neuland im doppelten Sinn
Genau das hatten Freunde ihm vorhergesagt: Das Besondere an Phnom Penh seien die Hitze und die Gerüche. Und über Freunde hatte der 49-Jährige 2019 auch seinen Vorgänger kennengelernt, Dr. Andreas Oldag. „Von ihm erfuhr ich, dass die Position als Langzeitdozent am Department of Media and Communication an der Royal University of Phnom Penh vakant ist.“ Diese Stelle finanziert der DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA) seit 20 Jahren. Für Bockholt kam der Tipp zum richtigen Zeitpunkt. Nach zwei Jahrzehnten als Journalist in Führungspositionen bei verschiedenen Zeitschriftenverlagen, in denen er bereits viele Seminare geleitet und unter anderem als Gastdozent an einer Journalistenschule gearbeitet hatte, stand ihm der Sinn nach Veränderung. Was er allerdings nicht hatte, waren Erfahrungen als Dozent an einer Universität und ein Doktortitel. „Deshalb hielt ich es erst für einen Witz, als mein Vorgänger meinte, ich solle mich bewerben. Aber ich habe es trotzdem versucht, denn genau so etwas wollte ich machen. Schließlich habe ich mir schon immer gewünscht, einmal in Asien zu leben.“ Seine Begeisterung und seine journalistischen Erfahrungen überzeugten auch die Kommission, die über die persönliche und fachliche Eignung der Bewerberinnen und Bewerber entscheidet. Sie verzichtete in seinem Fall auf die normalerweise vorausgesetzten universitären Lehrerfahrungen. Und auch für Bockholt stand nach dem ersten Besuch in Kambodscha im Februar 2020 endgültig fest, dass er sich auf das Abenteuer einlassen würde.
Der Journalist Jan Bockholt unterrichtet seit August 2020 als Langzeitdozent an der Royal University of Phnom Penh in der kambodschanischen Hauptstadt.
Traditionelle Medien wenig verbreitet
Die 1960 gegründete staatliche Royal University of Phnom Penh ist die älteste und größte Hochschule und gehört zu den renommiertesten Bildungseinrichtungen des asiatischen Landes. Insgesamt besuchen rund 20.000 Studentinnen und Studenten die Hochschule. Bockholt unterrichtet dort rund 150 Studierende – davon etwa zwei Drittel Frauen – im Studiengang International Media Studies. Obwohl der Bachelorstudiengang auf eine Führungsposition in der Medienwirtschaft vorbereitet, beginnen nach Beobachtung von Bockholt nur wenige das Studium mit dem klaren Ziel, im Journalismus zu arbeiten. „In Kambodscha haben Journalistinnen und Journalisten aber auch wenige Möglichkeiten. So gibt es nur zwei englischsprachige Tageszeitungen, und im Printbereich kann man nicht von einer freien Presse sprechen“, sagt der Journalist. Stattdessen informierten sich die jungen Menschen in den sozialen Medien, die auch zunehmend Beschäftigungsmöglichkeiten böten – ganz vorne Facebook, gefolgt von Instagram.
Dass die traditionellen Medien eine untergeordnete Rolle spielen, hat auch mit den politischen Strukturen zu tun. Auch wenn das Land 30 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs offiziell eine parlamentarische Wahlmonarchie ist, regiert de facto die Kambodschanische Volkspartei (Cambodian People's Party) alleine, die seit 2018 alle 125 Abgeordneten der Nationalversammlung stellt. Die größte Oppositionspartei wurde im Vorfeld der Wahl durch das Oberste Gericht aufgelöst. Der König wird von einem Thronrat gewählt, dem ebenfalls Politiker angehören, und hat keine exekutiven Befugnisse. „Die Menschenrechtslage in Kambodscha wird generell als schwierig dargestellt, unter anderem von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen insbesondere hinsichtlich der Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie der Rechtsstaatlichkeit“, hält das Auswärtige Amt in seinem politischen Porträt fest.
Brücken bauen zu westlichen demokratischen Werten
„Viele Kambodschanerinnen und Kambodschaner hoffen, dass der Staat wieder demokratischer wird. Dabei brauchen sie unsere Unterstützung“, erzählt Bockholt. Er sieht es daher auch als Teil seiner Aufgabe an, einen kritischen Geist unter seinen Studentinnen und Studenten zu entwickeln. „Ich beziehe hier bewusst selten Stellung. Aber ich versuche, Diskussionen unter den Studierenden anzuregen.“ Viele von ihnen werden später in die Führungsetagen von Institutionen und Unternehmen einziehen und damit Teil der Machtelite sein. „Der DAAD möchte Brücken bauen. Genau das passiert hier“, fasst der Dozent seine Rolle zusammen.
Leider hat er viele seiner Studierenden bisher kaum persönlich kennenlernen können. Aufgrund der Einreisebeschränkungen infolge der Covid-19-Pandemie musste er im ersten halben Jahr von Hamburg aus unterrichten und sah die Studierenden nur auf dem Monitor. Erst im Dezember 2020 konnte er endlich nach Kambodscha reisen und sein Büro einrichten, das er sich mit einem Vertreter der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und einer kambodschanischen Kollegin teilt. „Allerdings musste die Universität nach vier Wochen Präsenzunterricht aufgrund steigender Inzidenzen wieder schließen“, bedauert er. Und auch den persönlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen vermisst er – ebenso wie die effiziente Meeting-Struktur, die er aus deutschen Unternehmen kennt.
Ein Tuk Tuk vor dem National Monument. Die bunten Autorikschas sind allgegenwärtig im Stadtbild der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh.
Europäisches Flair um den Russian Market
Bockholt lebt im Süden des Stadtzentrums, mit dem Tuk Tuk rund 30 Minuten von der Universität entfernt. Das Stadtviertel ist gerade bei Ausländern sehr beliebt. Der belebte Markt „Toul Tom Poung“ ist auch als „Russian Market“ bekannt, da in dem Viertel in den 1980er Jahren viele Russinnen und Russen lebten. Heute trifft man in Phnom Penh vor allem Menschen aus Frankreich, China und Australien. „Das Viertel erinnert mich ein bisschen an Hamburg-Ottensen. Es gibt hier viele kleine Geschäfte und Restaurants“, erzählt Bockholt. Als ehemaliger Food-Journalist hat er vor allem die Restaurantlandschaft rund um seine Wohnung schon ausgiebig erkundet. „Wenn ich europäisches Soulfood brauche, gehe ich in eines der italienischen oder griechischen Restaurants. Aber es gibt auch viele Lokale, in denen die kambodschanische Küche neu interpretiert wird.“ Als Nationalgericht Kambodschas gilt Amok, ein mildes Fisch-Curry im Bananenblatt gedämpft. Manchmal probiert er auch Snacks aus den Garküchen – obwohl er sich dabei schon den Magen verdorben hat. „Aber auch das gehört zum Abenteuer dazu“, meint er lachend.
Viele Pläne für das neue Semester
Für das neue Semester hat er sich drei Projekte vorgenommen: „Ab dann bietet das DMC zusätzlich einen Abendstudiengang an. Außerdem gehöre ich der Projektgruppe an, die für die ‚Cambodian Communication Review‘ verantwortlich ist. Diese wissenschaftliche Zeitschrift wird jetzt zum ersten Mal nach fünf Jahren wieder erscheinen. Und ich würde gerne zusammen mit meinen Studierenden eine Zeitschrift im Newsroom-Management-Kurs produzieren.“ Eine Menge Pläne. Bockholts Stelle ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Er kann sich auch vorstellen, noch drei Jahre dranzuhängen. „Ich schätze die Arbeit mit den Studierenden sehr. Und ich mag das Essen und die vielen Tempel in Kambodscha“, sagt Bockholt. „Nur das feucht-warme Klima gefällt mir bis heute nicht.“
Peter Nederstigt (9. September 2021)
Jan Bockholt ist im Juni 2022 leider unerwartet verstorben. Er hatte sich große Verdienste um das Department of Media and Communication erworben und war im DAAD für sein erfolgreiches und engagiertes Wirken hochgeschätzt. Seinen frühen Tod bedauern wir sehr.
Jan Bockholt über Kambodscha und Langzeitdozenturen
Das Besondere an Kambodscha ist …,
… dass es so wahnsinnig jung ist. Das Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren.
Die Jugend bringt viel Energie mit.
Wer nach Kambodscha reist, sollte unbedingt …
… Angkor Wat besuchen. Man sollte offen sein für die Zeit der Roten Khmer und ihre Folgen. Und ich rate, unbedingt die vielfältigen Möglichkeiten der einheimischen Küche auszuprobieren.
Über eine Langzeitdozentur sollte jeder nachdenken, der …
… oder die gerne als Deutscher oder Deutsche im Ausland ist, um Brücken zu bauen. Denn als Langzeitdozentinnen oder -dozenten des DAAD repräsentieren wir auch unser Land.