HAW: Diversität und Inklusion als natürliche Katalysatoren für Innovation

DAAD/Stefan Zeitz

Austausch und Vernetzung zwischen Hochschulen und Projektmitarbeitenden sowie Absolventinnen und Absolventen auf der Programmtagung „HAW.International“.

Das DAAD-Programm zur Internationalisierung deutscher Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) „HAW.International“ hat in den vergangenen drei Jahren beachtliche Erfolge erzielt. Über die Bedeutung von Internationalität und Diversität diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Hochschulen sowie Praxispartner auf der Programmtagung „HAW.International“ in Berlin.

Früher oft als Universitäten zweiter Klasse belächelt, haben sich Fachhochschulen in den vergangenen Jahrzehnten zu angesehenen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) entwickelt. Kennzeichnend ist der besondere Schwerpunkt auf der anwendungsbezogenen Forschung und Lehre. Im Zuge der Bologna-Reform wurden HAW-Abschlüsse denen von Universitäten gleichgestellt. Heute sind HAW eine tragende Säule des deutschen Wissenschaftssystems. Rund 40 Prozent aller Studierenden in Deutschland sind an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften eingeschrieben.

HAW: Diversität und Inklusion als natürliche Katalysatoren für Innovation

DAAD/Stefan Zeitz

Dr. Muriel Helbig, Vizepräsidentin des DAAD und Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck.

„Die Forschungsleistung der HAW macht sie insbesondere in ihrer jeweiligen Region zu Innovationsmotoren. Gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen sowie die Bereiche Soziales, Bildung und Gesundheit sind sie unglaublich wichtig“, erklärt Dr. Muriel Helbig, Vizepräsidentin des DAAD und Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck. „Ihre besondere Ausrichtung bringt genau die Fachkräfte hervor, die Wirtschaft, soziale Einrichtungen und Kommunen so dringend benötigen.“ 

HAW werden zunehmend internationaler und diverser
In der Vergangenheit waren HAW weniger international ausgerichtet als deutsche Universitäten. Gerade auf dem globalen Arbeitsmarkt und in der Forschung gewinnen internationale Kompetenzen aber immer mehr an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund startete der DAAD 2019 das Programm „HAW.International“, das die HAW bei ihrer Internationalisierung auf allen Ebenen unterstützt. Gefördert werden unter anderem der fachliche und personelle Austausch zwischen deutschen und ausländischen Hochschulen, Kooperationen mit Hochschulen weltweit sowie der Aufbau internationaler Lehrangebote.

Drei Jahre nach dem Start hat das Programm beträchtliche Erfolge erzielt. Trotz globaler Pandemie haben sich bislang knapp 4.200 Studierende für einen Studien- oder Praxisaufenthalt im Ausland beworben; rund 1.000 Stipendien konnten vergeben werden. Auf Hochschulebene fördert der DAAD inzwischen 89 Projekte deutscher HAW. Sie umfassen Kooperationen mit mehr als 360 Partnerhochschulen aus 89 Ländern und über 100 Unternehmen. Zusätzlich unterstützt HAW.International die Chancengerechtigkeit im Hochschulsystem: Rund 40 Prozent der Studierenden, die ein DAAD-Stipendium für einen Auslandsaufenthalt erhielten, waren sogenannte Erstakademikerinnen und Erstakademiker –  die ersten Mitglieder einer Familie, die an einer Hochschule studieren. Darüber hinaus hat sich die Zahl internationaler Studierender an HAW in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Im Wintersemester 2021 studierten 96.000 junge Menschen aus dem Ausland an einer HAW in Deutschland.

HAW: Diversität und Inklusion als natürliche Katalysatoren für Innovation

DAAD/Stefan Zeitz

Eva Burger, Beraterin zum Themenbereich Diversität & Inklusion bei Deloitte Consulting Österreich: „Ohne Diversität im Denken landet man oft bei zu einseitigen Lösungsansätzen.“

30 Prozent weniger Risiko, 20 Prozent mehr Innovation
Wie wichtig eine internationale Ausrichtung und die daraus entstehende Diversität für HAW ist, darüber haben Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Hochschulen sowie Praxispartner auf/im Rahmen der Programmtagung „HAW.International“ vom 23. bis 26. November 2022 in Berlin diskutiert. Dieser Befund wird durch die aktuelle Forschung gestützt: Eine Studie der Stanford University in Kalifornien etwa kommt zu dem Schluss, dass demografisch unterrepräsentierte Studierende eine höhere Innovationsrate aufweisen als Studierende der Mehrheitsbevölkerung. 

Auch eine empirische Auswertung verschiedener Studien der Universität Birmingham in Großbritannien zeigt, dass international geprägte Belegschaften positive Effekte im Unternehmen und der jeweiligen Region hervorrufen. Demnach steigern sie die Produktivität und erleichtern den Wissenstransfer zwischen Unternehmen. Darüber hinaus können ausländische Arbeitskräfte mit ihrer Qualifikation und ihrer Kombination unterschiedlicher Hintergründe die Innovationsfähigkeit von Unternehmen verbessern, heißt es in der Erhebung. 

Eva Burger, Beraterin zum Themenkomplex Diversität & Inklusion, Deloitte Consulting Österreich, kann die Studienergebnisse aus der Praxis bestätigen. Sie begleitet Unternehmen, Behörden und NGOs dabei, ihre Teams vielfältiger zu machen sowie ihre Strukturen und Kulturen inklusiv zu gestalten. „Diversität und Inklusion wirken als natürliche Katalysatoren für Innovation. Beides führt zu sogenannter Diversity of Thinking, der Fähigkeit, mit unterschiedlichen Denkweisen auf Probleme zu reagieren“, sagt Burger. Ohne diese Diversität im Denken lande man oft bei zu einseitigen Lösungsansätzen, die nicht alle Perspektiven reflektierten und in Entscheidungen miteinbezögen. „Durch die diverse Aufstellung einer Organisation können wirtschaftliche Risiken durchschnittlich um rund 30 Prozent verringert werden. Gleichzeitig steigt die Innovation in einer Organisation um rund 20 Prozent.“

Diversität ist allerdings kein Selbstläufer. Zum einen muss sie aktiv von Organisationen und ihren Führungskräften gefördert werden. Zum anderen verschenkt man ohne Inklusion, also ohne das Schaffen einer Kultur des Miteinanders, weitestgehend ihr Potenzial. Die Studie der Stanford University etwa zeigt, dass die innovativeren Beiträge von Forschenden, die einer Minderheit angehören, weniger gewürdigt werden. Diese Forschenden erhalten demnach auch weniger Chancen auf akademische Positionen als Forschende von Bevölkerungsmehrheiten. „Inklusion kann nur über einen langen Prozess mit drei Stufen erreicht werden“, so Beraterin Burger. „Die erste Stufe bezieht sich auf Fairness und Respekt im Miteinander. Auf der zweiten Stufe entstehen gemeinsame Werte und Zugehörigkeiten, auf der dritten geht es um Inspiration und Vertrauen. Nur wenn ich gehört, gesehen und akzeptiert werde und authentisch sein darf, kann ich mich öffnen und auch die kritischste Idee aussprechen.“

Johannes Kaufmann (7. Dezember 2022)