Auslandserfahrung für alle ermöglichen

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Diversität im internationalen akademischen Austausch: Der DAAD möchte die Teilnahme bisher weniger repräsentierter Gesellschaftsgruppen an seinen Förderprogrammen erhöhen.

Ein Auslandsaufenthalt ist eine wichtige Erfahrung für junge Menschen. Doch für einige von ihnen birgt der Weg ins Ausland im Rahmen einer Promotion, eines Studiums, Praktikums oder Sprachkurses besondere Hürden. Notwendig für sie sind gezielte Informations- und Beratungsangebote sowie zusätzliche finanzielle Unterstützungsleistungen.

Im Ausland zu studieren, zu promovieren, ein Praktikum zu absolvieren oder eine neue Sprache zu erlernen, bereichert nicht nur den Lebenslauf, sondern auch die eigene Persönlichkeit. Andere Kulturen intensiv kennen und verstehen zu lernen, ist eine wertvolle Erfahrung für junge Menschen und eine Voraussetzung für wechselseitiges Verständnis. Der DAAD will deshalb Studierende und Forschende aus allen Teilen der Gesellschaft an seinen Angeboten und Förderungen partizipieren lassen und die Teilnahme bisher weniger repräsentierter Gruppen an den einzelnen Programmen erhöhen.

Viele denken, Stipendien bekommen nur die anderen 
Wer verstehen möchte, warum ein Auslandsaufenthalt für bestimmte Personengruppen weniger zugänglich ist, muss sich zunächst den Weg dorthin vor Augen führen. Zahlreiche Studierende und Nachwuchsforscherinnen und -forscher fühlen sich durch Informationen und Beratungsangebote, die für einen Auslandsaufenthalt werben möchten, nicht angesprochen. Viele denken, Stipendien wie die des DAAD seien nichts für sie, sondern nur für offensichtlich herausragende oder fortgeschrittene Kommilitoninnen und Kommilitonen. Wenn dann zusätzlich Vorbilder oder Fürsprecherinnen und Fürsprecher fehlen, zieht man ein solches Vorhaben womöglich gar nicht in Betracht. „Ich habe keine Person in meinem persönlichen Umfeld mit akademischem Werdegang, geschweige denn jemanden, der ein Auslandssemester absolviert hat“, sagt Serhat Ipek, der an der Ruhr-Universität Bochum Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert und aktuell ein Auslandssemester im Rahmen von Erasmus+ an der Universität Bergen in Norwegen verbringt.

Studierende mit einem ähnlichen Hintergrund, die Ermutigung und benötigtes Wissen nicht aus dem unmittelbaren Familien- oder Freundeskreis erhalten, profitieren insbesondere von anderen Studierenden, die eine persönliche und gezielte Ansprache haben. Auf der Onlineplattform studieren-weltweit.de, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des DAAD, berichten Studierende, die gerade für ein Studium, ein Praktikum oder einen Sprachkurs im Ausland sind, als „Correspondents“ in persönlichen Blog-Beiträgen und in den sozialen Netzwerken von ihren Erfahrungen – nach dem Motto „von der Zielgruppe für die Zielgruppe“. Dabei teilen sie nicht nur ihre Erlebnisse, sondern geben auch wichtige Informationen zur Planung und Finanzierung eines Auslandsaufenthalts. Nach der Rückkehr stehen sie als Botschafterinnen und Botschafter zur Verfügung, um Studierende im Rahmen von Veranstaltungen an den Hochschulen zu beraten.  

Gleiche Chancen auch bei schwierigen Ausgangsbedingungen
Beim Thema Zugang zu Fördermöglichkeiten ist die gemeinnützige Organisation ApplicAid eine Anlaufstelle, die sich mehr Chancengerechtigkeit im Bereich Bewerbungen bei Stipendienorganisationen zum Ziel gesetzt hat. „Menschen mit einem bildungsbenachteiligten Hintergrund bewerben sich seltener für Stipendien und haben schlechtere Chancen, angenommen zu werden, wenn sie sich bewerben“, beobachtet Patrik Staak von ApplicAid. „Die Gründe für diese Chancenungerechtigkeit im Bereich von Stipendien sind vielseitig. Informationsdefizite und Vorurteile, fehlende Netzwerke, mangelnde Erfahrung bei Bewerbungen sowie Auswahlprozesse, die den sozialen oder finanziellen Hintergrund nicht konsequent berücksichtigen, untermauern dieses Problem.“ ApplicAid arbeitet auf vielfältige Weise für und mit Bildungsaufsteigerinnen und -aufsteigern. Neben einem digitalen Beratungsangebot werden beispielsweise in Workshops oder auch im Rahmen eines Mentoringprogramms gezielt Bewerbungsprozesse simuliert und Tipps für eine erfolgreiche Bewerbung vermittelt: Dies bereitet die Studierenden auf die damit einhergehenden Herausforderungen vor und bestärkt sie darin, den Mut für eine Bewerbung aufzubringen.

Auslandserfahrung für alle ermöglichen

Yasmin Tschakert


Hilfe auf Augenhöhe auf dem Weg zum Stipendium: Patrik Staak (l.) von ApplicAid.

Der DAAD ist sich darüber bewusst, dass bestimmte Gruppen in Bewerbungsprozessen schwierigere Ausgangsbedingungen mitbringen als andere. Daher lädt er Bewerberinnen und Bewerber zum Beispiel dazu ein, Besonderheiten im Lebenslauf zu erläutern, damit bisherige Leistungen besser eingeschätzt werden können. Darüber hinaus werden Gutachterinnen und Gutachter sensibilisiert, solche Besonderheiten bei ihren Bewertungen zu berücksichtigen.

Auch die Bewerbung selbst kann eine Herausforderung sein, wie Katia Belkalem beschreibt. Die Studierende mit algerischer Staatsangehörigkeit studiert in Frankreich Germanistik und absolvierte im August 2021 im Rahmen eines DAAD-Stipendiums einen vierwöchigen Sommerkurs an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Aufgrund einer angeborenen chronischen Muskeldystrophie sitzt sie im Rollstuhl und ist körperlich stark eingeschränkt. „Schon die Bewerbung auf das DAAD-Stipendium war eine Hürde für mich: Da ich meine Hände nicht benutzen und ohne Hilfe keinen Computer bedienen kann, konnte ich am Einstufungstest nicht teilnehmen. Glücklicherweise erhielt ich die Möglichkeit, stattdessen eine mündliche Prüfung zu absolvieren.“

„Ohne Erasmus+ Zusatzförderung hätte ich nicht nach Norwegen gehen können“
Doch selbst wenn der Bewerbungsprozess erfolgreich verlaufen ist, bleibt die Frage nach der Finanzierung von individuellen Mehrkosten, die je nach Hintergrund weit über den durchschnittlichen Stipendiensatz hinausgehen können. Zur Zielgruppe für zusätzliche finanzielle Unterstützungsangebote zählen Menschen mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung, Studierende, die mit Kindern ins Ausland gehen, und im Europäischen Bildungsprogramm Erasmus+ auch Studierende aus einem nicht-akademischen Elternhaus sowie erwerbstätige Studierende. Bei Erasmus+ können diese Gruppen zusätzlich zur Grundstipendienrate einen monatlichen Zusatzbetrag von 250 Euro erhalten. Serhat Ipek gehört dazu: „Ohne die Erasmus+ Zusatzförderung hätte ich nicht nach Norwegen gehen können. Zum Glück hat mich das International Office meiner Heimatuniversität auf die Möglichkeit der Zusatzförderung aufmerksam gemacht.“ Als ergänzende Maßnahme, um Hemmschwellen auf dem Weg ins Ausland zu senken, hat der DAAD die Mindestlaufzeit bei der Studierendenmobilität von zwei auf einen Monat heruntergesetzt und richtete dafür entsprechende Kurzzeitstipendien ein. Dieses Angebot adressiert insbesondere Studierende mit Fürsorge- und Versorgungsverpflichtungen, denen es nicht möglich ist, lange ins Ausland zu gehen.  

Studierende und auch Hochschulmitarbeitende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sowie solche, die ihre Kinder mit ins Ausland nehmen, haben bei Erasmus+ zudem die Möglichkeit, Realkosten bis zu 15.000 Euro pro Semester für den Auslandsaufenthalt zu erhalten. Auch für eine vorbereitende Reise zur Erkundung der Umstände vor Ort kann zusätzliche Unterstützung beantragt werden. 

Auslandsstudium mit körperlicher oder gesundheitlicher Beeinträchtigung
Einer, der dank zusätzlicher finanzieller Unterstützung einen Auslandsaufenthalt im Rahmen von Erasmus+ absolvieren konnte, ist Danylo Rondiak aus der Ukraine. Als Studierender mit einer Sehbehinderung verbrachte er insgesamt acht Monate in Deutschland. Er studierte an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), Campus Gießen. Zudem hat er Deutsch-Sprachkurse an der Uni Gießen belegt. Nach Deutschland begleitet wurde Danylo Rondiak von seiner Mutter, die ihn als Assistenz unterstützt hat. Die Reisekosten und die Kosten für die Begleitperson wurden von der Erasmus-Sonderförderung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung übernommen. „Aufgrund meiner Sehbehinderung benötige ich Hilfe im Alltag. Meine Mutter hat mich überallhin begleitet und auch die Aufgaben im Haushalt übernommen. Ohne sie wäre es für mich nicht möglich gewesen, in Deutschland zu studieren.“ Seinen Aufenthalt hat Danylo Rondiak in guter Erinnerung. „Ich habe an der THM und im dazugehörigen Blindenzentrum viele nette Menschen kennengelernt und professionelle technische Hilfe erhalten.“ Doch nicht nur aus seiner persönlichen Sicht war der Auslandsaufenthalt ein Erfolg: Laut seiner Heimatuniversität Lvivska Polytechnika war Danylo Rondiak der erste ukrainische Studierende mit Behinderung, der jemals einen Auslandsaufenthalt realisiert hat.

Auch erfolgreiche Bewerberinnen und Bewerber auf ein DAAD-Stipendium, die aufgrund einer chronischen Erkrankung oder Behinderung besonderen finanziellen Bedarf haben, erhalten vom DAAD zusätzliche finanzielle Unterstützung, so zum Beispiel, wenn eine ebenerdige, barrierefreie Wohnung benötigt wird, deren Kosten über der Standardmiete liegen. Damit Katia Belkalem ihr Vorhaben realisieren konnte, übernahm der DAAD ihre Reise- und Hotelkosten und die der Betreuerin, die sie aufgrund ihrer Erkrankung rund um die Uhr benötigt. Zudem erhielt sie an der Universität Düsseldorf noch eine Assistenz, die ihr beispielsweise bei allen Arbeiten am PC oder sonstigen schriftlichen Arbeiten geholfen hat. „Trotz all der Schwierigkeiten, auf die ich gestoßen bin, war es eine gute Erfahrung, und ich schätze mich glücklich, dass ich diese Chance hatte. Ich habe viel über die deutsche Kultur und Sprache gelernt und mein Selbstbewusstsein gestärkt. An der Uni in Düsseldorf fühlte ich mich herzlich willkommen.“

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Privat

Wertvolle Erfahrung: Die Germanistik-Studentin Katia Belkalem konnte durch die Förderung des DAAD einen Sommerkurs an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf besuchen.

Sabine Moser (20. Dezember 2022)