''Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort"
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DAAD-Lektorin Heitz mit Absolventinnen des Deutschstudiums
Von der politischen Öffentlichkeitsarbeit an die Universität: Monica Heitz arbeitet seit zwei Jahren als DAAD-Lektorin in Rio de Janeiro. Dort sind Sprachstudiengänge bisher wenig prestigeträchtig - doch mit der Internationalisierung der Ausbildung vollzieht sich ein Bewusstseinswandel.
Wenn ihre Studierenden den Seminarraum mit weit über dreißig Minuten Verspätung betreten, schaut Monica Heitz durchaus konsterniert. Doch eigentlich hat sie sich an die routinierte brasilianische Unpünktlichkeit in den letzten zweieinhalb Jahren gewöhnt: „Ich bin zwar immer noch meistens als Erste da, weil es mir unangenehm ist, zu spät zu kommen. Aber ich bleibe entspannt beim Warten.“ Der Gegensatz zu ihrem früheren Job könnte größer nicht sein: Heitz war in der politischen Öffentlichkeitsarbeit tätig, eine Branche, in der Pünktlichkeit und Form stets gewahrt werden müssen. Nach zehn Jahren hatte die Politologin das Gefühl, zu wenig Freude an ihrer Arbeit zu haben. Sie ging mit ihrer Zusatzqualifikation „Deutsch als Fremdsprache“ nach Spanien und Italien, um Deutschkurse zu geben. Die Freunde, die sie dort fand, kamen unter anderem aus Brasilien. So bewarb sie sich als Quereinsteigerin um das Lektorat an der Universidade Federal do Rio de Janeiro – und bekam die Stelle.
Bandbreite von Literatur über Politik zu Fußball
Mitten im Karneval kam Heitz in Brasilien an. „Das war Segen und Fluch zugleich“, erinnert sie sich. „Ich habe das bunte Treiben in den Straßen sehr genossen und war ganz begeistert. Aber während des Karnevals steht in Rio alles still!“ Anstehende Behördengänge und die Wohnungssuche mussten deshalb eine Woche länger warten. Doch Heitz lebt sich schnell ein. Sie gibt Sprachkurse auf verschiedenen Niveaustufen, unterrichtet Literatur und lehrt Studierende der höheren Semester, selbst Sprachkurse zu geben. Außerdem organisiert sie regelmäßig größere Kulturprojekte: 2014 bietet sie gemeinsam mit den Sprach- und Lehrassistenten des DAAD ein Landeskundeseminar an, in dem sie mit mehr als vierzig Interessierten von drei Universitäten den Widerstand der Weißen Rose im Dritten Reich behandelt. Ein Jahr lang erarbeitete die Lektorin mit zehn Deutschstudierenden eine Ausstellung zu Erinnerungsorten in Brasilien und Deutschland, die gerade in verschiedenen Bildungseinrichtungen Rios gezeigt wird.
Vor der Fußball-Weltmeisterschaft bot sie einen Kurs zur Geschichte, Ökonomie und integrativen Funktion des Sports an. Auch zeitgenössische deutsche Literatur konnte sie den Studierenden so näherbringen. Dass solche Kurse überhaupt belegt werden, ist nicht selbstverständlich. Denn das brasilianische Hochschulsystem ist viel starrer als das deutsche: Es gibt kaum Auswahlmöglichkeiten im Seminarplan. Hinzu kommt, dass die Studierenden der Sprachen selten aus wohlhabenden Familien stammen – diese wollen lieber Ingenieure oder Betriebswirte werden. Die jungen Deutschstudierenden haben fast alle Nebenjobs, um ihre Studien zu finanzieren, und oft eine weite Anfahrt. Außerdem müssen sie alle parallel ein Portugiesisch-Studium absolvieren. Umso motivierter wirken sie auf Heitz: „Sie sind so aufgeweckt und machen immer das Beste aus allem."
Deutschland eines der wichtigsten Ziele für den Austausch
Brasilien investiert derzeit stark in akademische Auslandsaufenthalte: Das milliardenschwere Stipendienprogramm „Ciência sem Fronteiras“ wurde 2014 um vier Jahre verlängert. Deutschland gehört dabei zu den wichtigsten Zielen. „Das Interesse an Mobilität ist hier unglaublich gewachsen. Es ist ein richtiger Bewusstseinswandel“, erzählt Monica Heitz. Die Studierenden erkundigen sich schon in ihren ersten Semestern nach Auslandsstipendien und wollen viel über den Alltag an deutschen Hochschulen wissen. „Hier passiert gerade so viel. Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Heitz. Sie hofft, dass auch die Sprachfakultäten von den Investitionen profitieren können, die sich derzeit hauptsächlich an technische und naturwissenschaftliche Fächer richten. Für die unterschiedlichen Vorstellungen von Pünktlichkeit hat die Lektorin inzwischen eine Lösung gefunden: Jeder kann kommen und zuhören, wann er mag – aber bei mehr als dreißig Minuten Verspätung wird eine Fehlstunde eingetragen. "Für viele Studierende ist das anfangs ungewohnt", berichtet sie. "Dann sagen sie: ‚Immerhin wissen wir, woran wir sind.‘"
Julia Bähr (11. November 2014)