Digitalisierung macht sichtbar und mobil

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Die Internationalisierung durch Digitalisierung ist ein zentrales Thema der Europäischen Hochschulallianzen.

Der digitale Campus wird Dreh- und Angelpunkt der Europäischen Hochschulallianzen sein. Er wird alle Studierenden, Lehrenden und Verwaltungsangestellten miteinander vernetzen. Die Hochschulallianzen EDUC und CIVIS geben einen Einblick in die Aufbauphase und erläutern, warum mithilfe der Digitalisierung eine innovative Pädagogik und mehr Mobilität möglich sind.

Es ist „Call-Zeit“. Die beiden Europäischen Hochschulallianzen EDUC (European Digital UniverCity) und CIVIS – a European Civic University haben jüngst ihre Universitätsdozierenden aufgerufen, Themen und Projekte für die virtuelle Lehre einzureichen. „Auf dieser Grundlage wollen wir innovative virtuelle Lehrszenarien entwickeln“, erläutert Dr. Katja Jung, Referentin für die Hochschulallianz EDUC an der Universität Potsdam. Sowohl EDUC als auch CIVIS wollen in den kommenden drei Jahren eine Vielzahl solcher virtueller Lehrszenarien umsetzen. „Diese werden ein wesentlicher Baustein für unsere Europäischen Hochschulallianzen sein“, meint Prof. Dr. Monique Scheer, Prorektorin für Internationales an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Ansprechpartnerin in der Hochschulallianz CIVIS. Das Ziel ist, dass mindestens zwei Dozierende von Partneruniversitäten ein gemeinsames Format entwickeln. Über den Aufruf wollen die Verantwortlichen von EDUC und CIVIS bei ihren Partneruniversitäten jeweils entsprechende Fachleute identifizieren und vorschlagen, welche Partner gut zusammenpassen.

Digitalisierung macht sichtbar und mobil

EDUC
 

Hochschulallianz EDUC - European Digital UniverCity

  • Universität Potsdam (Deutschland), 
  • Universität Cagliari (Sardinien/Italien), 
  • Masaryk-Universität (Tschechien), 
  • Universität Paris Nanterre (Frankreich), 
  • Universität Pécs (Ungarn), 
  • Universität Rennes 1 (Frankreich).

Immer stärker in „blended“-Formaten denken
Präsenzveranstaltungen mit virtueller und physischer Mobilität zu kombinieren sei eine große Chance der Europäischen Allianzen, so Monique Scheer: „Wir werden dadurch Lehre immer europäischer denken und überlegen, wie man Studierende und Dozierende aus anderen Ländern einbinden kann. Gerade auch für kleinere Fachbereiche ist das ein großer Gewinn.“ Für CIVIS hat sie ein passendes Beispiel, das gerade in der Umsetzungsphase ist: Eine Dozentin und ein Dozent aus der Tübinger Geschichtswissenschaft haben ein gemeinsames Lehrpaket im Bereich der „Food History“ entworfen. Im Wintersemester wird es hierzu ein erstes englischsprachiges Online-Proseminar „Food History“ für CIVIS-Studierende geben, ergänzt durch ein Hauptseminar „Recipes and Cookbooks“ mit stärkerem Forschungsanteil. Anhand der Rezepte geht es um Fragen von Migration, Identität und Authentizität. Denn Rezepte sind wesentlich mehr als nur Kochanleitungen. Sie vermitteln Alltagspraktiken von Generationen und reichen häufig weit in die Geschichte zurück. Insbesondere für Migrantinnen und Migranten sind Kochrezepte oft ein wichtiger Teil ihrer kulturellen Herkunft. Das CIVIS-Team berät dabei zu Modellen und Möglichkeiten der digitalen Lehre. Parallel dazu wird ein Onlinetreffen mit Fachkolleginnen und -kollegen der CIVIS-Partneruniversitäten durchgeführt, um weitere Kooperationen in diesem Feld zu eruieren. Mit den Teilnehmenden des Hauptseminars ist im Frühjahr 2021 eine Spring School „Food, History and Identity“ in Tübingen als Präsenzveranstaltung geplant.

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CIVIS

Hochschulallianz CIVIS – a European Civic University

  • Universität Aix-Marseille (Frankreich), 
  • Nationale und Kapodistrias-Universität Athen (Griechenland), 
  • Universität Brüssel (Belgien), 
  • Universität Bukarest (Rumänien), 
  • Autonome Universität Madrid (Spanien), 
  • Universität La Sapienza (Italien),
  • Universität Stockholm (Schweden), 
  • Eberhard –Karls-Universität Tübingen (Deutschland).

Auch Katja Jung stellt ein interessantes Projekt für Blended Learning vor: Im Rahmen des Calls im EDUC-Netzwerk meldete ein Historiker der Universität Potsdam Interesse für das Thema an, wie in den verschiedenen europäischen Kulturen Gedenkorte von geschichtlichen Ereignissen aussehen. Eine großartige Fragestellung für ein virtuelles Lehrszenarium, wie Jung findet. Man könne die Studierenden an den Partneruniversitäten zum Beispiel Videos über Gedenkorte des Zweiten Weltkriegs erstellen lassen und bekäme so heraus, wie Erinnerungskultur in ihren Gesellschaften jeweils aussieht. Die Ergebnisse würden in einem virtuellen Seminar vorgestellt werden und am Ende des Seminars gäbe es Vor-Ort-Besichtigungen der Gedenkstätten. „Durch diese Herangehensweise machen wir Diversität sichtbar, lernen sie wertzuschätzen und fördern den europäischen Gedanken“, sagt Jung.

Transparenz der Informationen stärkt Mobilität
Neben der Digitalisierung von Lehre und Lernen schieben die Allianzen momentan auch die Entwicklung universitärer Services an. So testet die Universität Potsdam gerade, wie sie für Studierende den Onlinezugriff auf alle Bibliotheken im EDUC-Netzwerk realisieren kann. „Wir gehen in kleinen Schritten voran“, erläutert Jung. „Jede unserer Partneruniversitäten hat bereits digitale Formate und Systeme. ‚One size fits all‘ funktioniert hier nicht. Im Gegenteil: Wir suchen nicht die eine Lösung. Wir klopfen ab, welche Services wir alle nutzen und wie wir sie durch eine Schnittstelle miteinander verbinden können.“

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Privat

Dr. Katja Jung ist Referentin für die Hochschulallianz EDUC und vertritt die Universität Potsdam innerhalb der Allianz.

Das alles werden die Allianzen in ihren zukünftigen Webportalen bündeln – Intranet-Lösungen, die im Endstadium den digitalen Campus darstellen werden. Langfristiges Ziel ist, dass sich die Mitglieder einer Allianz nur einmal anmelden und dort sämtliche Services ihrer Partneruniversitäten finden: vom gemeinsamen Vorlesungsverzeichnis über eine Plattform, um Lehrformate zu teilen und zu organisieren bis hin zu Cloud-Systemen für eine gemeinsame Ablage, einen gemeinsamen Kalender, virtuelle Lernräume etc. „Eine solche digitale Plattform bringt eine enorme Sichtbarkeit für die verschiedenen Fachbereiche. Durch diese Transparenz der Informationen werden die Europäischen Hochschulallianzen die Mobilität von Studierenden und Lehrenden erleichtern und stärken“, so Jung.

Blended Mobility 
Und mehr Mobilität erhofft sich die Europäische Union, die hinter diesen Allianzen steht, auf jeden Fall. 50 Prozent Mobilität hat sie als Ziel angegeben. Sehr ambitioniert, wenn man bedenkt, dass die Hochschulallianz CIVIS allein schon 400.000 Studierende umfasst. Würde CIVIS nur zehn Prozent zur Mobilität verhelfen, wären das allein schon 40.000 Studierende innerhalb von Europa. Daher ist für die Europäischen Hochschulallianzen auch die virtuelle Mobilität enorm wichtig. „Sie bringt uns viel Flexibilität und wirkt zudem wie ein Inklusionsprogramm“, sagt Monique Scheer. „Mitvirtueller Mobilität ermöglichen wir ‚Internationalisation at home‘ und holen die internationale Perspektive in den Hörsaal.“ 

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Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen

Prof. Dr. Monique Scheer ist an der Universität Tübingen Prorektorin für Internationales und die Ansprechpartnerin für die Universität Tübingen innerhalb der Hochschulallianz CIVIS.

Das bestätigt auch Katja Jung von EDUC. Das Netzwerk geht sogar schon einen Schritt weiter: „Wir wollen eine digitale Hochschulallianz sein, daher ist Barrierefreiheit für uns sehr wichtig.“ Das Team in Potsdam macht sich aktuell mit den verschiedenen Voraussetzungen vertraut und profitiert dabei sehr von der Expertise, die die tschechischen Kolleginnen und Kollegen der Masaryk-Universität in Brünn einbringen. Die Digitalisierung soll dabei helfen, relevante Informationen für Studierende mit Handicap möglichst zentral an den Universitäten zugänglich zu machen: für die administrative Seite, die Betreuenden und die Studierenden. 

Zusammenwachsen zu einer großen Einheit
Obwohl sich beide Allianzen noch in der Aufbauphase befinden, ist für Katja Jung von EDUC und für Monique Scheer von CIVIS jetzt schon klar: Die vielen kleinen Schritte in der Zusammenarbeit und in der Grenzüberschreitung, die auch dank der Digitalisierung möglich sind, summieren sich zu einer großen diversen Einheit. Da EDUC als European Digital UniverCity seinen Schwerpunkt auf die Digitalisierung legt, ist es Katja Jung besonders wichtig, auf den Nutzen und die Grenzen derselben hinzuweisen: „Digitalisierung muss bei uns für Freiheit stehen. Universitäten müssen die Freiheit haben, zu forschen und zu lehren. Die Digitalisierung darf das nicht einschränken, sie muss es fördern. Dann, sichert sie auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen und unterstützt die Studierenden in ihrer digitalen Kompetenz.“

Astrid Hopp (9. Juli 2020)