Bologna Hub Peer Support: Wirkungsvolle erste Halbzeit
Oliver Reetz/DAAD
Richtungsweisend: Nach der Stadt Bologna in Italien ist der Prozess benannt, mit dem ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum angestrebt wird.
Im Rahmen des Projekts „Bologna Hub Peer Support“, welches durch die Europäische Kommission und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, konnten sich Hochschulen aus ganz Europa um eine Beratung von ein bis zwei Bologna-Expertinnen und -Experten bewerben. Ziel des Projekts ist es, gemeinsam Verbesserungspotenziale bei der Umsetzung der transnationalen Hochschulreform zu identifizieren. Nach Ablauf der ersten Programmphase haben alle Beraterinnen und Berater gemeinsam ein motivierendes Zwischenfazit gezogen.
Die Pandemie hat leider wieder dazwischengefunkt: Statt eines persönlichen Treffens kamen die aus ganz Europa stammenden 26 Bologna-Expertinnen und -Experten nur per Videokonferenz an den jeweiligen Bildschirmen zusammen. Der sehr engagierten und freundschaftlichen Atmosphäre tat das aber keinen Abbruch. Anlass des Treffens war ein erstes ausführliches Zwischenfazit der Beraterinnen und Berater zum Projekt „Bologna Hub Peer Support“, zu dem die Spanische Hochschulrektorenkonferenz (CRUE) und der DAAD eingeladen hatten.
Was bisher geschah: Im Rahmen des Projekts hatten Bologna-Expertinnen und -Experten seit Anfang 2021 intensive Peer-to-Peer-Konsultationen mit insgesamt 28 Hochschulen aus dem Europäischen Hochschulraum (EHR) absolviert. Thema waren die Key Commitments des Bologna-Prozesses: Studierende sollen problemlos in verschiedenen Staaten Europas vergleichbare Leistungsnachweise sammeln, überall anerkannte Abschlüsse machen und sich auf ähnliche Qualitätsstandards verlassen können. „Bei der Umsetzung haben einige Hochschulen noch konkreten Unterstützungsbedarf“, weiß David Akrami Flores, Leiter des Referats Erasmus+ Leitaktion 3: Politikunterstützung in der Nationalen Agentur für Erasmus+ Hochschulzusammenarbeit im DAAD. So entstand die Idee, Kontakte zu Beraterinnen und Beratern herzustellen, die als Professorinnen und Professoren oder als Mitarbeitende in Bildungsministerien und anderen relevanten Institutionen selbst praktische Erfahrungen bei der Implementierung der Bologna-Reform gesammelt haben und diese auf Augenhöhe weitergeben können.
Sandra Kraze, Assistant Professor an der BA School of Business and Finance in Riga, Lettland.
Hohes Engagement
In einem Punkt waren sich die Teilnehmenden beim Treffen einig: „Es ist ein wirklich erfolgreiches Projekt“, sagte Sandra Kraze, Assistant Professor an der BA School of Business and Finance (BASBF) in Riga, Lettland, und Beraterin beim „Bologna Hub Peer Support“. Insbesondere der Peer-to-Peer-Ansatz verspreche eine hohe Wirksamkeit. „Unser internationales Team von Hochschulexpertinnen und -experten kann den europäischen Hochschulen wirklich einen Mehrwert bieten, indem es sie durch gemeinsame Trends und neue Entwicklungen des EHR im Bologna-Prozess führt.“ Dies gelte umso mehr, als die digitale Transformation neue Herausforderungen für die Hochschulen in all ihren Prozessen schaffe. Ein weiteres Fazit: Die Wirksamkeit der Konsultationen ist umso höher, je intensiver die einzelne Hochschule das Projekt für sich nutzt. „Viele haben sich wirklich gut auf ihre Fragen fokussiert, ein motiviertes Team zusammengestellt und uns schon im Vorfeld über eine hilfreiche Dokumentation Einblicke gewährt“, stellte Kraze fest.
Irine Darchia, außerordentliche Professorin für klassische Sprachen an der Staatlichen Universität Tiflis, Georgien.
ECTS flexibel und transparent umsetzen
In einzelnen Arbeitsgruppen tauschten sich die Teilnehmenden während des Treffens schließlich über wichtige Beratungsfelder aus. Irine Darchia, außerordentliche Professorin für klassische Sprachen an der Staatlichen Universität Tiflis, Georgien, berichtete über die Implementierung und Umsetzung des Europäischen Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS). „Eine der größten Herausforderungen ist nach wie vor die Anerkennung von Lernergebnissen.“ Die Einrichtungen agierten hier vielfach starr, so Darchia. Das führe dazu, dass viele Studierende entmutigt und schlussendlich von der internationalen Mobilität Abstand nehmen würden. Viele der Expertinnen und Experten waren sich einig, dass das ECTS noch flexibler und transparenter umgesetzt werden müsse.
Digitale Lehrmethoden anwenden
Iryna Zolotaryova, Professorin an der Simon Kuznets Kharkiv National University of Economics in der Ukraine und Mitglied der National Agency for Higher Education Quality Assurance of Ukraine (NAQA), fasste die Ergebnisse zur Lehrplanentwicklung sowie zu innovativen Lern- und Lehransätzen zusammen. „Viele von uns haben festgestellt, dass die Hochschulen mehr Zeit in die Ausarbeitung modularer Kurse investieren müssen.“ Die dadurch gewonnene Flexibilität mache sie wettbewerbsfähiger, wenn es darum gehe, ausländische Studierende an ihren Campus zu holen. In Sachen Lern- und Lehrmethoden könnten vor allem digitale Möglichkeiten sehr viel stärker zum Einsatz kommen. „Das reicht von Software-Plattformen für den Fernunterricht bis hin zum Einsatz von Simulationen“, sagte Zolotaryova. So könne etwa eine medizinische Fakultät mit simulierten Operationssälen oder einer virtuellen Patientenschaft arbeiten.
Iryna Zolotaryova, Professorin an der Simon Kuznets Kharkiv National University of Economics in der Ukraine und Mitglied der National Agency for Higher Education Quality Assurance of Ukraine.
Internationalisierung braucht eine eigene Strategie
Jelena Starčević, stellvertretende Ministerin im Ministerium für Wissenschafts- und Technologieentwicklung, Hochschulbildung und Informationsgesellschaft der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina und ebenfalls Expertin, ergänzte die Erkenntnisse aus dem Bereich Mobilität und Internationalisierung. „Viele Hochschulen haben eine sehr allgemein gehaltene Internationalisierungsstrategie oder sogar gar keine“, fasste sie die Eindrücke der Kolleginnen und Kollegen zusammen. Wichtig sei es, die Alleinstellungsmerkmale der eigenen Hochschule herauszuarbeiten, um diese für ausländische Studierende sichtbar zu machen. Ebenfalls ein essenzieller Punkt: „Die Sprachkompetenz der eigenen Studierenden muss oftmals verbessert werden, um diese fit für ein Studium im Ausland zu machen“, so Starčević.
Jelena Starčević, stellvertretende Ministerin im Ministerium für Wissenschafts- und Technologieentwicklung, Hochschulbildung und Informationsgesellschaft der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina.
Größere Feedbackkultur erwünscht
Aus Sicht von Sandra Kraze wurde in den Arbeitsgruppen zudem deutlich, dass für ein Lernen und Lehren, bei dem die Studierenden im Zentrum stehen, die Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen Hochschulraum (ESG) eine entscheidende Rolle spielen. „Allerdings ist das aktuelle Wissen über den Wert der ESG den Hochschulen, die unsere Unterstützung suchen, nicht immer klar. Das gilt insbesondere in Bezug auf die interne Qualitätssicherung“, sagte die Beraterin. Hier hat die Expertengruppe unter anderem festgestellt, dass in vielen Fällen auch das Feedback der Studierenden bezüglich des Studienprozesses wertvoll sein kann.
Weitere Beratungseinsätze bis Sommer
Bis Juni finden nun die zweiten Beratungseinsätze der Bologna-Expertinnen und -Experten an den teilnehmenden Hochschulen statt. Dabei schauen sich die Beratenden an, ob und wie die gemeinsam erarbeiteten Lösungsansätze angenommen und umgesetzt werden. Anschließend folgen die Abschlussberichte. Wie es danach mit dem „Bologna Hub Peer Support“ weitergeht, steht noch nicht fest. „Der Bedarf seitens der Hochschulen für Peer-to-Peer-Beratung ist gegeben. Daher streben wir eine Fortführung des Projekts an“, so DAAD-Referatsleiter Akrami Flores.
Melanie Rübartsch (17. Januar 2022)