Mehrsprachigkeit im europäischen Bildungsraum

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Sprachenvielfalt in der EU: Fremdsprachenkenntnisse spielen eine entscheidende Rolle bei der Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität. Deshalb ist die Förderung der Mehrsprachigkeit auch ein Ziel der Europäischen Hochschulallianzen.

In der Europäischen Union gibt es 24 Amtssprachen – Mehrsprachigkeit ist eines ihrer Grundprinzipien. Jedes Jahr im September feiert die EU den Europäischen Tag der Sprachen, um auf die reiche sprachliche und kulturelle Vielfalt aufmerksam zu machen. Auch die Europäischen Hochschulallianzen wollen Mehrsprachigkeit fördern, wie die Beispiele von Arqus, EPICUR und 4EU+ zeigen.

„Alle Lernprozesse werden durch Sprache vermittelt“ – mit dieser einfachen Aussage bringt Prof. Dr. Olaf Bärenfänger von der Europäischen Hochschulallianz Arqus European University die Bedeutung von Sprache und damit von Mehrsprachigkeit auf Hochschulebene auf den Punkt. Egal, ob internationale Studierende nach Deutschland kämen oder Studierende von dort ins Ausland gingen: Sie seien weniger erfolgreich, wenn sie die Landessprache nicht mitlernen. „Studierende sollen sich während eines Auslandsaufenthaltes in Frankreich, Polen, Dänemark oder Griechenland nicht nur in einer englischsprachigen Blase bewegen. Sie brauchen die Landessprache, um sich im Sinne eines kulturellen Lernens mit den Studierenden und Lehrenden vor Ort auszutauschen. Sie müssen einkaufen, einen Film anschauen und am täglichen Leben teilnehmen können.“

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit

Micha Eßbach

Prof. Dr. Olaf Bärenfänger, Direktor des Sprachenzentrums der Universität Leipzig und innerhalb der Europäischen Hochschulallianz Arqus European University zuständig für den Bereich Multilingualism. 

Europäische Integration funktioniert nur mit Mehrsprachigkeit
Prof. Dr. Olaf Bärenfänger ist innerhalb von Arqus European University für den Bereich Multilingualism zuständig und Direktor des Sprachenzentrums der Universität Leipzig. Zahlreiche Beispiele von Studierenden, die während ihres Auslandsaufenthalts ohne Kenntnisse der Landessprache nicht gut zurechtkommen, zeigen, wie wichtig Mehrsprachigkeit für die Integration sei. „Die ganz große Idee hinter unseren Europäischen Hochschulallianzen ist doch die europäische Integration auf Hochschulebene. Ohne Mehrsprachigkeit halte ich diese nicht für denkbar.“ 

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit

Arqus European University

Die Partner von Arqus European University

  • Universitetet i Bergen, Norwegen
  • Universidad de Granada, Spanien (Lead)
  • Universität Graz, Österreich
  • Universität Leipzig, Deutschland
  • Université de Lyon, Frankreich
  • Università degli Studi di Padova, Italien
  • Vilniaus Universitetas, Litauen

Mehrsprachigkeit und Mobilität hängen eng zusammen
Wer ins Ausland geht, so Bärenfänger, solle elementare bis mittlere Kenntnisse der Landessprache haben und kulturell geschult sein, um sich adäquat bewegen zu können. Das Gleiche gelte für Lehrende und Forschende, die an Mobilität teilhaben. Dafür wertet Arqus gerade eine große Onlinebefragung aus, die innerhalb der Allianz durchgeführt wurde. Sie erfasst, welche sprach- und kulturbezogenen Trainings die Partnerhochschulen anbieten, um das zukünftige Schulungsangebot koordiniert zu planen. Parallel zur Auswertung gibt es bereits Onlineschulungen beispielsweise für Englisch als Lehr- und Studiersprache sowie Phonetikkurse für die richtige Aussprache.

Glossare für eine leichtere Kommunikation untereinander 
Eine weitere praktische Maßnahme, die Arqus umsetzt, ist eine Terminologie-Datenbank. In einem Glossar wird die Terminologie für die Bereiche Hochschule und Hochschulverwaltung in allen Konsortialsprachen zusammengeführt, um Fachbegriffe wie „Immatrikulationsbescheinigung“, „Härtefallregelung“ etc. zu erklären. Das erleichtere vor allem den Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung die Kommunikation untereinander, so Bärenfänger.

Sprachenpolitik als Leitfaden
Um Mehrsprachigkeit wirklich zu erhalten und zu fördern, müssen sich alle Partneruniversitäten auf eine konsortiumsübergreifende Sprachenpolitik einigen. „In diesem Prozess befinden wir uns gerade“, erläutert Bärenfänger. „Alle Partner müssen für sich klären, welchen Stellenwert Sprache für sie hat und welche Maßnahmen sich daraus ergeben.“ 

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit
Universität Heidelberg

Dr. Joachim Gerke, Leiter des Dezernats Internationale Beziehungen an der Universität Heidelberg und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Mobilität der Europäischen Hochschulallianz 4EU+.

Ausgewogene Mehrsprachigkeit
Eine gemeinsame Sprachenpolitik ist auch für Dr. Joachim Gerke, Leiter des Dezernats Internationale Beziehungen an der Universität Heidelberg und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Mobilität der Europäischen Hochschulallianz 4EU+, das Fundament seiner Allianz. „Wir haben bereits im EU-Antrag in Grundzügen erläutert, wie unsere Sprachenpolitik aussehen soll. Unser Ziel ist es, eine Ausgewogenheit zwischen der Förderung von Mehrsprachigkeit auf der einen Seite und der Dominanz des Englischen als Lingua franca der Wissenschaft und der weltweit wachsenden Nachfrage nach englischsprachigen Studiengängen auf der anderen Seite herzustellen.“

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit

4EU+

Die Partner der 4EU+ European University Alliance

  • Univerzita Karlova (Prag), Tschechien 
  • Universität Heidelberg, Deutschland 
  • Sorbonne Université (Paris), Frankreich (Lead)
  • Uniwersytet Warszawski (Warschau), Polen
  • Københavns Universitet (Kopenhagen), Dänemark
  • Università degli Studi di Milano (Mailand), Italien

Erwerb von Sprache und Leistungspunkten 
Im Graduiertenbereich haben die Universität Heidelberg und die Partner von 4EU+ bereits viele englischsprachige Studiengänge. Außerdem sind neue gemeinsame englischsprachige Masterprogramme innerhalb der Allianz geplant, die für Studierende aus aller Welt attraktiv sind. Studierende zum Beispiel aus China hätten somit die Möglichkeit, ein Masterstudium an der Universität Heidelberg zu beginnen und an der Sorbonne in Paris oder an der Karlsuniversität in Prag fortzusetzen. Von ihnen könne man nicht erwarten, so Gerke, dass sie in kurzer Zeit mehrere europäische Sprachen lernen. Daher ist das englischsprachige Angebot nach wie vor wichtig. Allen Studierenden in englischsprachigen Programmen soll aber dennoch die Möglichkeit geboten werden, studienbegleitend Kenntnisse der Sprache und Kultur des jeweiligen Landes zu erwerben.

Im Bereich der grundständigen Studiengänge, wie dem Bachelorstudium, werden hingegen fast alle Studiengänge in den jeweiligen Landessprachen unterrichtet. Und dies soll auch in Zukunft so bleiben, um die Mehrsprachigkeit zu erhalten und zu fördern. „Dafür werden wir das Sprachkursangebot innerhalb der Allianz enorm erweitern, damit sich jeder Studierende frühzeitig an seiner Heimatuniversität auf den Auslandsaufenthalt an einer dieser Universitäten vorbereiten und seine Sprachkenntnisse dann an der Gastuniversität weiter verbessern kann“, sagt Gerke. „Wichtig ist, dass wir ein Unterstützungs- und Lehrangebot haben, das den Spracherwerb fördert, aber auch den notwendigen Erwerb von Leistungspunkten gewährleistet, zum Beispiel durch Integration einzelner englischsprachiger Fachveranstaltungen in das ansonsten in der Landessprache unterrichtete Studienangebot.“

Shirley Ann Rueschemeyer

Privat


Shirley-Ann Rüschemeyer, an der Universität Freiburg dezentrale Projektkoordinatorin für die Hochschulallianz EPICUR.

Breites Spektrum an Internationalisierung
Shirley-Ann Rüschemeyer, dezentrale Projektkoordinatorin für die Hochschulallianz EPICUR – European Partnership for an Innovative Campus Unifying Regions, und ihr Kollege Günter Schmidt-Gess, Leiter der Stabsstelle für Lehrqualität und Lehrentwicklung und ebenfalls EPICUR-Verantwortlicher an der Universität Freiburg, arbeiten eng mit der Partneruniversität in Amsterdam zusammen. Diese leitet die Arbeitsgruppe Mehrsprachigkeit und Inklusion und bringt viel Erfahrung in die Allianz ein.

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit

EPICUR

Die Partner von EPICUR – European Partnership for an Innovative Campus Unifying Regions

  • Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu (Posen), Polen
  • Universiteit van Amsterdam, Niederlande
  • Aristotle University of Thessaloniki, Griechenland
  • Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland
  • Université Haut-Alscace (Oberelsass), Frankreich
  • Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Deutschland
  • Universität für Bodenkultur Wien (Boku), Österreich
  • Université de Strasbourg, Frankreich (Lead)

„Die Niederlande und vor allem die Universität in Amsterdam sind in einem viel höheren Maß internationalisiert als wir. Die Universität hat die Internationalisierung schon seit längerer Zeit ins Zentrum ihrer universitären Entwicklungsstrategie gestellt sowie Sprachenpolitik, Inklusion und Diversität als wichtige Eckpfeiler definiert. Sie ist mittlerweile komplett bilingual aufgestellt. Alle Angebote, Gremiensitzungen, Dokumente etc. sind zweisprachig. Gleichzeitig sind die Niederlande ein kleines Land. Sie kennen die Problematik, einer kleinen Sprachgemeinschaft anzugehören, und das ist für unsere Arbeit sehr wichtig“, sagt Schmidt-Gess über die Beziehung zu dem erfahrenen Allianzpartner. 

Der europäische Bildungsraum braucht Mehrsprachigkeit
Privat

Günter Schmidt-Gess, Leiter der Stabsstelle für Lehrqualität und Lehrentwicklung und EPICUR-Verantwortlicher an der Universität Freiburg.

Chancen der passiven Zweisprachigkeit 
Besonders attraktiv könnte die passive Zweisprachigkeit für EPICUR sein, die in Amsterdam bereits Alltag ist, erläutert Shirley-Ann Rüschemeyer: „Passive Zweisprachigkeit bedeutet zum Beispiel in einer Gremiensitzung an der Universität in Amsterdam, dass jeder die Sprache nutzt, in der er sich am besten ausdrücken kann. Die anderen können in ihrer Sprache antworten.“ Für einen Studierenden der EPICUR-Allianz hieße das beispielsweise, er erlernt Polnisch in einem Umfang, der es ihm erlaubt, in einer Diskussion zu verstehen, worum es geht. Eine Simultandolmetschersoftware schließt die Lücken – er kann sich versichern, ob er es auch richtig verstanden hat, und antwortet in seiner Landessprache. „So könnten wir das Problem lösen, dass wir immer alle gleich ins Englische verfallen, und die anderen Landessprachen fördern“, sagt Rüschemeyer.

Sprachbarrieren überwinden 
Da Sprachbarrieren für die Internationalisierung ein Schlüsselfaktor sind, überprüft EPICUR, wie man Lehrkräfte, Verwaltung und Studierende mit kleinen Hilfsmitteln dabei unterstützen kann, diese Barrieren zu überwinden. „Wir haben beispielsweise einen Übersetzungsservice für wichtige Websites. Außerdem entwickeln unsere Kolleginnen und Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie ein digitales Übersetzungsprogramm, mit dem sich Vorlesungen online aufnehmen und in Echtzeit übersetzen lassen. Der Pilot war Deutsch-Englisch, weitere EPICUR-Sprachen folgen“, so Rüschemeyer.

Ressourcen bündeln, kleine Sprachen zugänglich machen
Was ist zukünftig, wenn ein Studierender an der Universität in Thessaloniki gerne Schwedisch lernen möchte, es an seiner Universität aber gar nicht angeboten wird? „Dafür bündeln wir gerade einige Sprachprogramme an unseren Partneruniversitäten“, sagt Schmidt-Gess. „Wir beschränken uns nicht nur auf die EPICUR-Sprachen, sondern stellen zusammen, welche Sprachen an welchen Universitäten angeboten werden, und bringen Angebot und Nachfrage zusammen, um vernünftige Gruppengrößen zustande zu bekommen. Durch den Boom, den wir durch Corona im Bereich E-Learning und E-Teaching erfahren haben, ist das noch realistischer geworden.“

Heterogenität ermöglicht Sprachenpolitik mit Modellcharakter
Neben all diesen praktischen Maßnahmen zur Förderung der Mehrsprachigkeit ist auch für EPICUR eine flexible Sprachenpolitik entscheidend: „Wir sind als Konsortium sehr heterogen“, sagt Schmidt-Gess. „Wir haben kleine und große Sprachen und mit der Grenzregion Freiburg und Elsass einen weiteren Sonderfall. Aber gerade von dieser Vielfalt erhoffen wir uns, dass wir sämtliche Probleme, die man mit Sprachen haben kann, in unserer Allianz widerspiegeln. Wenn wir dafür entsprechende Ideen entwickeln und Lösungen finden, müssten diese auch für andere Konsortien und innerhalb von Europa funktionieren, sodass wir sie weitergeben können.“ Am 15. Oktober richtet EPICUR übrigens in Amsterdam ein virtuelles „Multilingualism Event“ aus, in dem es ein gemeinsames Statement zur „model language policy“ geben wird mit anschließender Paneldiskussion, inwieweit die Vielfalt Europas durch Sprachen gefördert werden kann. Die Veranstaltung ist kostenlos und Interessierte können sich registrieren, um den Link zum Livestream zu erhalten.

Astrid Hopp (21. September 2020)

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